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Standpunkt: Gemeinsam den Verkehrskollaps vermeiden

14.06.2023
Für den wachsenden Individual- und Transitverkehr gilt: Regionale oder nationale Sichtweisen führen nicht zu Lösungen. Wir müssen sie gemeinsam finden, denn die Alpen liegen mitten in Europa. Diese geographische Banalität ist zentral für das Verständnis verkehrspolitischer Probleme in den Alpen, um den Verkehrskollaps zu vermeiden, meint Kaspar Schuler, Geschäftsführer von CIPRA International.
Bild Legende:
Kaspar Schuler, Geschäftsführer CIPRA International (c) Cristian Castelnuovo

Bis in die 1980er galt eine einfache Klassifizierung im alpenweiten Verkehrswesen: Es gab Reisende und Einheimische. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen ihres Verhaltens standen im Vordergrund. Die Einheimischen profitierten von den Reisenden und nahmen den zunehmenden Tourismus- und Transitverkehr in Kauf. Das ging gut, bis Lärm- und Luftbelastung überhandnahmen, während das Umweltbewusstsein grösser wurde. Ökologische Grenzen wurden sichtbar. Heute reisen auch Bewohner:innen der Alpen in die Ferne, viele pendeln mit dem Auto zur Arbeit und füllen die Strassen in den Haupttälern, wo zusätzlich der Transitverkehr unablässig brummt. Folglich wird nach dem Ausbau von Autobahnen und Schnellstrassen gerufen.

Der lange Weg von der Strasse auf die Schiene

Das probate Mittel zur Abhilfe heisst Verkehrsverlagerung. Es gilt den privaten Auto- und LKW-Verkehr zu reduzieren, verstärkt den öffentlichen Verkehr, das Fahrrad oder den Fussweg zu nutzen, auf lange Distanzen im Ferien- und Gütertransit vorab die Bahn. Aus freien Stücken machen das die wenigsten, Privatpersonen wie auch Unternehmen benötigen Anreize oder Vorschriften. Im Personenverkehr funktionieren stark vergünstigte Angebote wie das erfolgreiche Klimaticket in Österreich oder das kommende 49-Euro-Ticket in Deutschland. Beim Schwerverkehr gilt die Devise: Güter auf die Bahn! Doch kein Frachtunternehmen macht das freiwillig, solange seine Lastwagen die Alpen günstiger auf der Strasse überqueren. Es braucht finanzielle Lenkungsmassnahmen. Die 2022 revidierte europäische Wegekostenrichtlinie (Eurovignette Directive) sieht eine vermehrte Verrechnung jener Kosten vor, die der Strassenschwerverkehr mitverursacht, wie Umweltschäden, Infrastruktur- und Krankheitskosten. So weit wie das Schweizer Vorbild, die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe, die den Bahntransport der Güter vorteilhafter macht, geht die Eurovignette Directive leider nicht.

Simplon Allianz: Meilenstein trotz Querschüssen

Umso erfreulicher ist es, dass die Schweizer Präsidentschaft der Alpenkonvention die Initiative ergriff und 2022 erstmals sowohl die Umwelt- wie auch die Verkehrsministerien der acht Alpenländer hinter ein gemeinsames Programm zu scharen vermochte. Am sonnigen Morgen des 27. Oktobers 2022 schlossen sie sich in der Alpenstadt Brig zur Simplon Allianz zusammen und machten sich «auf den Weg zu Netto-Null-Emissionen im alpinen Verkehr bis spätestens 2050». Der dazu gehörende Aktionsplan will die Verlagerung und Dekarbonisierung des gesamten Verkehrs im Alpenraum erreichen, im Güterverkehr und im grenzüberschreitenden Personenverkehr, in der Tourismus- wie auch der lokalen Freizeitmobilität. Leider hat die italienische Delegation in Brig zwar ihre Zustimmung gegeben, aber nicht unterschrieben. Ihre nationale Regierung hatte unmittelbar zuvor gewechselt, seither hält Verkehrsminister Salvini seine Mitunterzeichnung in der Schwebe.

Verkehrskapazitäten bleiben limitiert

Alle gesteckten Ziele beruhen auf einer zentralen Einsicht: Die maximalen Kapazitäten der alpenquerenden Verkehrsbindungen sind limitiert. Das bleibt so, auch mit den neuen Flachbahnstrecken und Eisenbahntunnels unter dem Brenner oder dem Mont-Cenis, die in den 2030ern in Betrieb gehen sollen. Das gilt genauso für die Strassen. Um bestmögliche Lösungen zu finden, muss man diese Kapazitäten wie miteinander kommunizierende Röhren betrachten. Man kann die Verkehrsströme verlagern, aber die Gesamtkapazität nicht steigern. Folglich braucht es ein gemeinsames, alpenweites Verkehrsmanagement, das auch die Schweiz einschliesst. Es gilt, die Bevölkerung in und um die Alpen zu schonen, jedoch nicht die kurzfristigen Gewinne. Denn Verkehr ist von und für Menschen gemacht.

Dies ist eine gekürzte Textfassung. In voller Länge ist dieser Text im aktuellen, kostenlosen Themenheft SzeneAlpen Nr. 110 «Begegnungszone Alpen» nachzulesen: www.cipra.org/szenealpen