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Vision: Mit Flugtaxis zum Palmengarten am Matterhorn

03.06.2022
«Nachdem die Baumgrenze inzwischen 3’800 Meter erreicht hat, häufen sich die Klagen über den fehlenden Ausblick.»
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Georg Bayerle © Markus Konvalin

Morgens um 9 Uhr sind an diesem Maiwochenende im Jahr 2092 alle Landeplätze für Flugtaxis zur Birkhuhnbalz auf dem Jochberg bei München belegt. Dem «Living-Nature»-Programm der EU ist es zu verdanken, dass hier in den 2050er Jahren die letzten Exemplare in Grossvoliere verfrachtet wurden. Ähnliche Attraktionen wurden alpenweit im Umkreis der Metropolen von Wien/A bis Turin/I angelegt, um vor allem der Jugend neben Saurierausstellungen auch Streichelzoos einst verbreiteter heimischer Arten zu bieten. Sie gehören zu flächendeckenden alpinen Park- und Sportlandschaften.

Durchgesetzt hat sich die Schweizer Exitstrategie für Gebirgstäler, in denen Felsstürze und Muren durch den Rückgang des Permafrosts und Extremwetterereignisse unvorhersehbar geworden sind. Übergänge wie Grimselpass oder Timmelsjoch wurden aufgegeben, die zugehörigen Täler teils ganz entvölkert. Der einst belächelte Palmengarten am Matterhorn dagegen zählt inzwischen zu den alpinen Besuchermagneten – hauptsächlich für arabische Gäste. Streit gibt es derzeit um eine Initiative aus Österreich, die hohe Berggipfel unbedingt waldfrei halten will. Nachdem die Baumgrenze inzwischen 3‘800 Meter erreicht hat, häufen sich die Klagen über den fehlenden Ausblick von Gipfeln wie dem Grossvenediger.

Da nun auch Teile Siziliens, Süditaliens und Südfrankreichs in den Sommermonaten praktisch unbewohnbar geworden sind, lässt sich der Andrang der Klimaflüchtlinge nicht stoppen. Die einst nahezu menschenleeren Täler des Piemont wurden bereits vollständig für Flüchtlingssiedlungen erschlossen. Der mehrfache Versuch, durch Volksabstimmungen in der Schweiz eine Zwangsenteignung der Zweitwohnsitze für humanitäre Zwecke zu erreichen, ist gescheitert. Erfolgreich ist das Geschäftsmodell «Klimakuren»: Ein ägyptischer Grossinvestor hat das «Heilmodell Andermatt» entwickelt und firmiert als offizieller Partner der Krankenkassen. In besonders luxuriösen Stationen wie der Therme Vals docken die Flugtaxis an Landeplattformen der Suiten in den 400 Meter hohen Zwillings-Hoteltürmen an. Die autonomen Flugshuttles pendeln direkt aus überhitzten Metropolen wie Mailand/I, Zürich/CH und Lyon/F. Dank künstlicher Intelligenz in der Lotsentechnik ist es gelungen, die Unfallzahlen durch Zusammenstösse mit rotierenden Windrädern oder Überlandleitungen auf ein Minimum zu reduzieren.

Nach mehreren Energiekrisen in den Jahren 2030 bis 2050 sind die Alpen Europazentrum für Wind- und Wasserkraft. Vorbild war ein Staatsunternehmen aus Tirol, das schon Anfang des Jahrhunderts grossflächig vernetzte Pump- und Speichersysteme mit Windparks auf den Bergkämmen gekoppelt hat. Umstritten bleibt die Abgabemenge von Wasser zur Versorgung der Bevölkerung im Flachland. Die Landwirtschaft in ungünstigen Gebieten wie dem oberen Rhonetal im Wallis oder in Teilen Südtirols wurde eingestellt. Dort, wo noch ausreichend bewässert werden kann, wachsen Mangos und Orangen anstelle von Äpfeln und Birnen. Viele, so wird berichtet, finden das gut.

Georg Bayerle arbeitet seit 1999 als Spezialist für Berge und Umwelt beim Bayerischen Rundfunk. Er veröffentlichte zahlreiche Fernseh- und Radioreportagen über Berge, alpine Kultur und Natur.

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