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Die soziale Bäckerin

26.08.2021 / Michael Gams, CIPRA International
Flora Mammana knetet Teig und macht Beziehungen sichtbar: Mit ihrem mobilen Brotbackofen reist sie durch das italienische Vallagarina-Tal und bringt Ideen zum Sprudeln.
Bild Legende:
© Matteo Pra Mio

Ein mit bunten Wimpeln und einem Brotbackofen bestücktes Lastenfahrrad rollt um die Ecke. Flora Mammana, eine junge Frau mit Kurzhaarschnitt, sitzt im Sattel und lächelt. Mit dem «Forno Vagabondo» veranstaltet sie in und um Rovereto/I Brotbackkurse, um «wünschenswerte Zukünfte zu kneten». Flora spricht über «wilde Fermentation», die sie als Metapher für sozialen und kulturellen Wandel sieht. Dabei ist Flora gar keine gelernte Bäckerin. Als in Bayern aufgewachsene Tochter eines Sizilianers und einer Allgäuerin absolvierte sie eine Schneiderausbildung, lebte fünf Jahre in Berlin und studierte Textilingenieurswesen. Ein Praktikum brachte sie nach Jakarta, Indonesien. Die ökologischen Auswirkungen der Massenproduktion stimmten sie nachdenklich. «Wir haben die Beziehung zu vielen alltäglichen Dingen verloren und betrachten sie als stumpfe Ware – nicht als etwas, das auch mit unserem Leben zusammenhängt.» Das Wort «Ressourcen» verwendet Flora ungern, weil es suggeriere, «dass die Welt eine Quelle von Rohstoffen ist, die wir nutzen und ausschöpfen können.»

Flora kehrte nach Deutschland zurück, ein Freund schenkte ihr eine Sauerteigkultur zum Brotbacken. «Ich entdeckte, dass das ein Lebewesen ist, das man nähren muss und nicht vollständig kontrollieren kann: Die Mikroben, das Klima, die Hände beim Teig kneten – alles hat Einfluss.» Sie begann an der Universität für bildende Künste in Braunschweig, Transformationsdesign zu studieren. Der Sauerteig begleitete sie auch zum Auslandssemester nach Bozen, wo sie heute lebt. Gemeinsam mit dem soziokulturellen Verein «La Foresta» erkundete sie, die Gegend um Rovereto. Daraus sprudelte kollektiv die Idee eines mobilen Backofens, der «wie ein Alien durchs Tal reist, aber auch anregend wirkt.» Er sollte sichtbar machen, was hinter dem Brot als Lebensmittel steckt. Die Idee war, Zusammenhänge zu erkunden und sich mit dem Umfeld zu vernetzen. «Wir wollten eine Aufmerksamkeit für ökonomisch-ökologische Verwebungen kultivieren – aber auf eine Art, die für viele zugänglich ist – nicht nur für die, die sich schon mit diesen Themen beschäftigen oder sensibilisiert sind.» Deshalb arbeitet Forno Vagabondo beispielsweise mit einer Kräuterexpertin oder einer Puppenspielerin zusammen. Das Mehl kommt von regionalen LandwirtInnen, so entstand auch eine lokale Einkaufsgruppe für den Direktvertrieb.

«Wir versuchen, durch das Brotbacken mit den Menschen ins Gespräch zu kommen», sagt Flora. Anfangs war sie unsicher, ob die Idee auch tatsächlich angenommen wird, denn der Brotbackofen durfte während der Corona-Pandemie nicht an stark frequentierten Orten Halt machen. «Ich dachte, da kommt ja niemand, der ganze Aufwand ist umsonst.» Doch die Menschen freuten sich über den unerwarteten Besuch. «Die sagten: Wieso kommt ihr denn jetzt genau hier zu uns mit einem Ofen? Und wir dürfen mit euch Brot backen? Wie cool ist das denn! Es ist eine gute Art, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die sonst nie mit solchen Themen in Berührung kommen.» Der mobile Backofen animiert zur Diskussion: über gesunde und regionale Ernährung oder Bio- und Mikrobiodiversität, über Kreislaufwirtschaft oder Landschaftspflege – und über nachhaltige Mobilität. Flora betrachtet die vielfältigen, oftmals unsichtbaren Beziehungen, die zu unserem Lebensunterhalt beitragen, als Schätze der Alpen. «Teil der Reise des Forno Vagabondo durch das Vallagarina-Tal war es, eine Aufmerksamkeit für diese wimmelnden Beziehungen zu schaffen.»