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Versteckte Schätze in den Alpen

26.08.2021 / Veronika Hribernik und Kristina Bogner, CIPRA International
Ausgediente Ski, Totholz am Waldboden, die Weite am Berg: Oft sind es unerwartete Ressourcen, die eine wichtige Rolle in unseren Berufsleben spielen. Sechs Menschen aus den Alpen erzählen von ihren persönlichen Schätzen.
Bild Legende:
Kristina Sever, Försterin und Vorsitzende von Pro Silva Slowenien, Grostuplje/SI. © ZGS

«Ein toter Baum ist ein ganzes Ökosystem»

«Abgebrochene Äste, Totholz oder Aushöhlungen im Baum bieten viel Lebensraum für Pilze, Vögel und Insekten, die sich dort einnisten und fortpflanzen können. Für einen gesunden, artenreichen und an den Klimawandel adaptierten Wald sind solche Habitat-Bäume und die darin beherbergten Mikrolebensräume sehr wichtig. Sie steigern die Biodiversität in Wäldern enorm und machen sie viel resilienter gegenüber dem Klimawandel. Beim Spazieren kann man nachschauen, was in den verschiedenen Aushöhlungen so lebt. Ich mag Dendrotelme sehr. Das sind mit Wasser gefüllte Löcher im Inneren der Bäume, in denen man immer wieder Insekten findet. Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass ein gut bewirtschafteter Wald aufgeräumt sein muss wie ein Garten. Dabei liefert Totholz im Wald wichtiges organisches Material. Ein Habitat-Baum ist ein ganzes Ökosystem mit sehr viel Leben.»

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Marc Risch, Psychiater und «Hüttenwart» im Clinicum Alpinum, Gaflei/LI. © Sven Beham

 «Geh doch mal in den Wald spazieren!»

«Wir bieten einen Ort für Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung bei uns Halt machen müssen. Für den Bau der ‘Schutzhütte’ haben wir viele natürliche Materialen verwendet, von Stein über verschiedene Holzarten. Die Idee war ein Gebäude zu haben, das den Patient:innen Orientierung gibt, sie aber auch in der alpinen Welt abholt. Es geht um heilende Architektur in einer heilenden Umgebung. Die Alpen vereinen Gesundheitsfaktoren, die wir hier Wohnenden manchmal gar nicht mehr wahrnehmen: Diese Ruhe des alpinen Waldes, die Luft und diese Erdung zu spüren. Daher ist die Arbeit in unserer Klinik nichts anderes als eine Verneigung vor diesem grossen Naturraum, den wir als Ressource in die Therapie integriert haben. In dem Sinne ist die Klinik eine Schutzhütte, wo die Patienten:innen ihren Rucksack absetzen, neu packen und mit neuen Erfahrungen ihren Lebensweg weiter gehen können.»

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Kasimir Schuler, Bergbauer und Bergführer, Avers/CH. © Christ Malär

«Da oben isches no eifach»

«Als Bergbauer sind die Flächen hier oben eine wertvolle Ressource für uns. Sie sind zum Teil recht steil und weisen eine hohe Biodiversität auf. Und in dem Zusammenhang natürlich auch die Tierhaltung, wo man das Futter verwertet und Fleisch oder andere Produkte herstellt. Aus der Bergführer-Perspektive ist es für mich sehr wertvoll, mit Gästen unterwegs zu sein, ihnen die Bergwelt zeigen, Gipfel zu besteigen, schöne Erlebnisse zu haben.

Was das Spezielle an diesem Ort ist? Der Raum, der mir grosse Freiheiten gibt, weniger verschachtelt ist, weniger Grenzen vorgibt. Das gibt mir als Bergführer und Bauer viele Möglichkeiten, geht aber auch einher mit Eigenverantwortung. In Zusammenhang mit mehr Besucher:innen in diesem Lebensraum wird das in letzter Zeit natürlich auch schwieriger. Wir stehen vor einem Dilemma: Alle suchen das Unverspurte. Je mehr Leute das suchen, desto weniger gibt es davon und wir zerstören es in gewissem Masse. Gerade als Bergführer ist man da natürlich in einem gewissen Zwiespalt.»

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Anna Holzer, Hauswirtschaftslehrerin und Kräuterexpertin am Strumerhof, Matrei/A. © Alex Papis

«Wenn ein Kraut vor deinen Augen wächst…»

 «Ein grosser Schatz, der oft unbeachtet bleibt, ist unser Boden und die unzähligen Wurzeln und Kräuter, die auf ihm wachsen. Da finden sich unzählige Schätze wie Rosenwurz, Bärwurz oder Hauswurz. Kräuter und Wurzeln wurden früher oft nach dem benannt, für was sie verwendet wurden. Auch die Art, wie sie wachsen, lässt oft Schlüsse zur Wirkung ziehen. Wenn der Löwenzahn durch den Asphalt wächst, wissen wir: Jede Pflanze, die einen Stein durchbricht, bricht auch einen Stein im Menschen, so wie Nieren- oder Gallensteine. Die Geschichten und Märchen hinter diesen Kräutern faszinieren mich.

Meine Motivation ist es, Menschen zu überraschen, zum Hinausgehen zu inspirieren und die Umgebung bewusster wahrzunehmen. Wenn wir uns wieder regionaler und saisonaler ernähren, wäre schon ein wunderbarer Schatz bewahrt. Denn die meisten Kräuter, die wir brauchen, wachsen vor unseren Augen.»

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Thomas Schamasch, Bauingenieur bei ArtSkiTech, Chartreuse/F. © Artskitech

«Es beginnt immer mit einer verrückten Idee»

«Bei ArtSkitech entwickeln wir Ideen, wie man aus alten Skiern Möbel und ungewöhnliche Konstruktionen machen kann. Damit möchten wir zeigen, dass alte Skier mehr sind als Abfall. Denn auch wenn sie nicht mehr im Schnee gebraucht werden, sind sie ein sehr spannendes Baumaterial. Mir unserer Arbeit möchten wir Menschen zum Nachdenken bringen. Was sind die Dinge, die uns umgeben? Ist es Müll oder können wir es auf eine andere Art und Weise, vielleicht künstlerisch, wiederverwenden? Ausrangierte Skier sind nur ein Beispiel dafür, was wir erreichen können, wenn wir mit Hand und Hirn anpacken. Man kann vieles erfinden, wenn man nur träumt. Mit dieser verrückten Idee und dieser einen Ressource zeigen wir, wie ein nachhaltiges Wirtschaftsmodel aussehen könnte.»

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Delphine Six, Glaziologin und stellvertretende Direktorin des Institut des Géosciences de l’Environnement (IGE), Grenoble/F. © Fanny BRUN, IGE (CNRS, IRD, UGA)

«Gletscher sind Wächter des Klimawandels»

«Ihre Entwicklung in der Landschaft ist von Jahr zu Jahr gut sichtbar. Gletscher sind daher ein sehr wertvoller Klimaindikator zur Überwachung und zum Verständnis des Klimawandels. Ausserdem sind sie eine bedeutende Süsswasser-Ressource und werden in einigen Regionen der Welt für die Landwirtschaft und zur Bewässerung genutzt. In den Alpen erreicht die Gletscherschmelze ihren Höhepunkt im Juli und August, einer allgemein niederschlagsarmen Zeit. Sie speisen daher auch in der Trockenzeit Flüsse und ermöglichen damit die Erzeugung von Wasserkraft. Als Glaziologin vermesse ich Gletscher. Trotz ihrer Grösse wirken sie oft zerbrechlich und verändern sich sehr schnell. Ihr beschleunigtes Abschmelzen in den letzten Jahrzehnten birgt auch Risiken für den Menschen. Der Meeresspiegel steigt und wird weiter steigen und die Anzahl der damit verbundenen Naturgefahren wird zunehmen.»

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