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Standpunkt: Der Klimawandel ist nicht demokratisch!

18.11.2021 / Francesco Pastorelli, CIPRA Italien
Starkregen und Überschwemmungen, Hitzewellen und Waldbrände: Damit haben vor allem Bergregionen immer häufiger zu kämpfen, obwohl sie nicht die Hauptverursacher des Klimawandels sind. Das ist wenig demokratisch. Dennoch müssen wir alle unseren Beitrag leisten, um den Klimawandel einzudämmen, meint Francesco Pastorelli, Geschäftsführer von CIPRA Italien.
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Francesco Pastorelli, Geschäftsführer CIPRA Italien. (c) Maya Mathias, CIPRA International

Jedes Jahr, wenn es im Alta Val Tanaro/I regnet, kreuzen wir die Finger: Die erste Überschwemmung hatten wir 1994, die letzten 2016 und 2020. In diesem Jahr zog der Sturm, einige Dutzend Kilometer weiter östlich zwischen Ligurien und Piemont auf. Innerhalb von zwölf Stunden gingen 740 mm Regen nieder. Trotz massiver Sachschäden gab es glücklicherweise keine Opfer. Wären diese Regenfälle in einem Ballungsgebiet und nicht am Land niedergegangen, wäre es eine Katastrophe gewesen. Meteorologen bezeichnen diese Niederschläge als «sich selbst regenerierende Wolkenbrüche», die offenbar auf die Überhitzung des nahen Ligurischen Meeres zurückzuführen sind.

Wie in den gesamten Alpen gibt es bei uns Binnen-, Transit- und touristischen Verkehr, der Emissionen verursacht. Nicht jeder heizt mit Holz oder hat ein isoliertes Haus. So leisten auch wir unseren Beitrag zum Klimawandel, aber in einem viel geringeren Ausmass als Ballungsräume, Industriegebiete oder Hauptverkehrsachsen. Unsere Region ist reich an Wäldern, die CO2 absorbieren. Dennoch sind die Auswirkungen des Klimawandels hier stärker als anderswo. Unsere Probleme in den ländlichen Alpengebieten sind klein im Vergleich zu den Regionen südlich der Sahara, die unter Desertifikation leiden, oder den pazifischen Inseln, die buchstäblich untergehen. Die meisten Bewohner dieser Regionen sind noch nie geflogen, besitzen kein Auto und essen wahrscheinlich kaum Fleisch. Dennoch gehören sie zu denjenigen, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Der Klimawandel ist nicht demokratisch!

Diejenigen, die glauben, dass der Klimawandel sie nicht betrifft, weil sie das Glück haben, in einer Region zu leben, in der noch keine extremen Wetterereignisse aufgetreten sind, liegen falsch. Überschwemmungen, Überflutungen und Erdrutsche breiten sich in Regionen aus, die einst als sicher galten. Ebenso ist die Wüstenbildung nicht mehr nur ein Phänomen, das bestimmte Regionen in Afrika betrifft – dort ist die Situation so dramatisch, dass die Menschen wegen des Klimas sogar die Flucht ergreifen müssen. Wir als Bewohner:innen der Alpen müssen rasch Anpassungsstrategien umsetzen, aber das reicht nicht aus. Die Beschleunigung des Klimawandels ist schneller als die bisher ergriffenen Gegenmassnahmen. Die ordnungsgemässe Pflege und Nutzung des Bodens reicht nicht aus, auch wenn sie notwendig ist.

Aus der jüngsten Klimakonferenz in Glasgow lernen wir, dass es schwierig sein wird, ein globales Klimaabkommen zu erreichen. Die Klimaziele von Paris 2015 wurden bisher bei weitem verfehlt. Fast 200 Länder müssen davon überzeugt werden, ihre Treibhausgasemissionen rigoros zu reduzieren, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen – ein Ziel, das viele für unerreichbar halten. Im August warnte der Weltklimarat der Vereinten Nationen vor einer unumkehrbaren Klimakatastrophe.

Auf globaler Ebene wird zu wenig getan, es gibt nur Slogans und Versprechungen, wie es die Jugendlichen der Bewegung «Fridays for Future» immer wieder anprangern. Die ganze Welt ist aufgerufen, ihren Konsum zu reduzieren, nicht mehr an unendliches Wachstum zu denken – sowohl wirtschaftlich als auch demografisch – und neue Modelle zu suchen. In den Alpen wird es nicht ausreichen, die Flussläufe zu sichern. Es wäre besser, erst gar nicht in ihrer Nähe zu bauen, das würde auch viele Dämme zum Schutz vor Hochwasser überflüssig machen. Man sollte die letzten verbliebenen intakten Flüsse nicht auch noch nicht mit Kraftwerken zur Energieerzeugung verbauen, sondern weniger Energie verbrauchen. Es reicht nicht aus, Motoren schadstoffärmer zu machen, sondern der Verkehr muss reduziert werden. Die Alpenregionen und -staaten können Vorreiter:innen im Kampf gegen den Klimawandel sein. Viele lokale Initiativen zeigen, dass es funktionieren kann. Machen wir die Alpen zu einer klimaneutralen und widerstandsfähigen Region!