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Wie aus einer Misere eine Chance wird

20.07.2018
Klimawandel, verändertes Gästeverhalten, zugebaute Landschaft – die Herausforderungen im Tourismus sind immens. La Grave hat in der Not einen nachhaltigen Prozess angestossen.
Bild Legende:
© Johannes Gautier

La Grave möchte die Tourismuswende einläuten. Der französische Ort auf rund 1’200 Meter über Meer ist im Winter ein Mekka  für Freerider. Eine Gondelbahn aus den 1970er Jahren und zwei  Schlepplifte auf dem Gletscher stellen die Infrastruktur. Es gibt zwei  Pisten, zwei Restaurants, keinen Rettungsdienst. Die Konzession  für die Gondelbahn lief vergangenes Jahr nach 30 Jahren aus. Die  Gemeindekassen waren leer, man kam gerade so durch. Kürzere  Winter und Probleme mit der Zufahrtstrasse zogen immer weniger  Gäste an. Dass die Konzession der Gondelbahn ausläuft, gab den  Anstoss, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen.
Eine heftige Diskussion entbrannte. Manche hofften, dass ein Seilbahnbetreiber  der angrenzenden Skiarenen Alpe d’Huez oder Les  Deux Alpes die alte Gondelbahn übernimmt, neue Pisten planiert  und mehr Lifte aufstellt. Die grossen Skiarenen mit ihren Bettenburgen  liegen 30 Autominuten von La Grave entfernt, eine Anbindung  über den Berg läge in Reichweite. Doch es formierte sich auch eine  Interessensgruppe, die sich für La Grave keine zusätzlichen und  schnelleren Transportanlagen wünscht, keinen Ausbau von Pisten, Bars und Hotels. «Keep La Grave Wild» lautet deren Leitspruch. Nicht einfach den Winterbetrieb in der heutigen Form wollen die Initianten  sichern, sondern sie streben ein ganzheitliches Konzept an,  wie es mit dem Ort weitergehen könnte. Mit der Nutzung der Infrastruktur  auch im Sommer soll das Risiko verteilt werden, Mountainbike-  Trails sollen für mehr Attraktivität und neue Gäste sorgen. Auch  eine Stärkung der Landwirtschaft und der erneuerbaren Energieerzeugung  steht auf ihrer Prioritätenliste. Mit einer Crowdfunding-Aktion wollten sie das nötige Geld zusammenbringen, um die Konzession  und den Betrieb der Gondelbahn übernehmen zu können.

Diskussion starten
Die Interessensgruppe bekam die Konzession für die Seilbahn nicht. Im Mai 2017 wurde entschieden, dass die Seilbahngesellschaft  aus dem benachbarten Alpe d’Huez die Gondel in Zukunft  betreiben wird – mit der Auflage, dass der Grundcharakter von La  Grave bestehen bleibt. Damit dieses Versprechen eingelöst wird,  bleibt die Bewegung «Keep La Grave Wild» aktiv. Vanessa Beucher  von «Keep La Grave Wild» verbucht die Crowdfunding-Aktion  dennoch als Erfolg. Die Summe, die bei der Aktion zusammengekommen  ist, wird für eine nachhaltige Dorfentwicklung eingesetzt.  Fast wichtiger sei aber, so Beucher, dass die Diskussion  in der Region überhaupt gestartet sei. «Wir haben unglaublich  viel Unterstützung erfahren von den Leuten.» Ebenso wichtig wie  die Vernetzung untereinander seien sichtbare Ergebnisse wie der  Mountainbike Trail.
Auch die Nachbar-Gemeinde Alpe d’Huez kämpft. Dort warten  Bettenburgen und planierte Pisten auf Gäste und Skifahrer. Die  Skiarena ist, wie Les Deux Alpes nebenan, eine der grössten Skidestinationen  in den Alpen. Auch hier werfen der Klimawandel,  ein verändertes Gästeaufkommen und deren neuen Bedürfnisse  Fragen auf. Manchmal fragwürdige, wie die nach dem Ausbau der  Infrastruktur, der Erschliessung unberührter Landschaften, der Finanzierung  über die öffentliche Hand oder der Eventisierung des  Angebots. Manche Tourismusfachleute suchen Antworten in der  künstlichen Beschneiung, fordern Investitionen in Millionenhöhe  oder den Zusammenschluss und die Erweiterung von Skigebieten.

Die richtigen Fragen stellen
Pauschale Lösungen gibt es keine. Es geht darum, die richtigen Fragen  zu stellen. Wie können die Dörfer weiterhin ein gutes Leben für  Einheimische und Gäste bieten? Wie können die vorhandenen Ressourcen  genutzt und gleichzeitig langfristig gesichert werden? Welche  Strategien sind langfristig erfolgversprechend und tragbar? Gerade  Destinationen in tiefen und mittleren Lagen sind angesprochen.  Es sind die Natur, die Bäume, die Felsen, Steine, Gämsen, Blumen,  der Himmel, die die Menschen in die Berge locken, und zwar das  ganze Jahr über. Möglichkeiten, diese Natur zu erleben, gibt es viele.  Möglichkeiten, wie man Gästen die eigene Kultur und das Brauchtum,  Spezialitäten und Besonderheiten der Region näherbringen  kann, fehlen indes mancherorts. Welche Ressourcen und Schätze  stellt die Umwelt zu Verfügung, welche Fähigkeiten und welches  Wissen besitzen die Beteiligten? Die Bewohnerinnen und Bewohner  in den Alpen haben es in ihrer Hand, diese in Wert zu setzen.

abgelegt unter: SzeneAlpen, Tourismus, Klimawandel