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Was die Natur in den Alpen leistet

22.07.2022 / Veronika Hribernik, CIPRA International
Almweiden, die uns mit Lebensmitteln versorgen. Bäume, die ein angenehmes Mikroklima bewirken. Alpine Landschaften, die heilen und berühren. Eine Geschichte über den Wert der Natur im Alpenraum – und was CIPRA International macht, um sie zu schützen.
Bild Legende:
Eine Collage verschiedener Lebensräume: Bergwälder, Almweiden und alpine Landschaften schützen, versorgen und bereichern uns auf vielfältige Weise. © Jenni Kuck

Die biologische Vielfalt bildet die Grundlage für das Leben auf der Erde, doch laut Weltbiodiversitätsrat drohen Millionen Tier- und Pflanzenarten auszusterben. Die alpine Landschaft ist besonders vielfältig: Rund 30‘000 Tier- und 13‘000 Pflanzenarten sind dort heimisch. Gleichzeitig prägt und gestaltet der Mensch durch Landwirtschaft, Tourismus und Bauen die Natur wie nie zuvor. Die aussergewöhnliche biologische Vielfalt des Alpenraums kann langfristig nur erhalten werden, wenn die Menschen der Natur in ihrem Denken und Handeln einen ebenso wichtigen Platz einräumen wie anderen Bedürfnissen.

Das Konzept der Ökosystemleistungen sieht die Natur und ihre Fähigkeiten als eine Dienstleistung für die Menschen und misst ihr einen finanziellen Wert bei. Es ist der Versuch, eine Brücke zwischen Ökonomie und Ökologie zu schlagen. Der Wert der Natur ist dadurch greifbarer und wir sind eher bereit, sie zu schützen. Zudem können wir sie in politischen, unternehmerischen oder privaten Entscheidungen einfacher bewerten. Diese Bewertung birgt aber auch Gefahren, denn Ökosysteme sind keine abgeschlossenen Systeme. Eine Übersicht ihrer Leistungen ist daher nie vollständig und ihr Wert könne nie mit einer absoluten Summe beziffert werden.

So vielfältig wie Ökosysteme sind auch die Leistungen, die sie erbringen: Sie versorgen uns mit Nahrung, Trinkwasser und Holz. Sie regulieren natürliche Prozesse, indem sie die Luft reinigen, das Klima ausgleichen oder vor Erosion schützen. Aber Ökosysteme erfüllen auch ästhetische, spirituelle und intellektuelle Bedürfnisse und dienen der Erholung. Was die Natur in den Alpen leistet und was CIPRA International unternimmt, um alpine Ökosysteme und ökologische Prozesse zu schützen, können Sie auf dem Poster in der Mitte des Jahresberichts entdecken.

Wächter der Klimakrise

Gletscher speichern grosse Mengen an Süsswasser und fungieren als Klimaindikatoren: Anhand von Bohrungen kann man im Eis, ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen, frühere klimatische Zustände mit den heutigen vergleichen. Aufgrund steigender Temperaturen schmilzt dieses Klima-Archiv immer schneller weg. In manchen Regionen nutzen die Menschen die Gletscher zur Bewässerung in der Landwirtschaft und zur Trinkwasserversorgung. In trockenen Zeiten speisen sie Flüsse und ermöglichen damit auch die Erzeugung von Wasserkraft. Dort wo sich die einst mächtigen Gletscher zurückziehen, entsteht eine neue Wildnis voller Dynamik – sogenannte Gletschervorfelder. Am und im Eis leben zahlreiche Organismen wie Schnee- und Eisalgen, die Sauerstoff produzieren, organisches Material ansammeln und Kohlendioxid aus der Atmosphäre speichern.

Hotspot der Biodiversität

Der alpine Lebensraum liegt oberhalb der Baumgrenze von etwa 2‘000 Metern und beherbergt zahlreiche Pflanzen und Tiere, die nur dort vorkommen. Alpine Pflanzen sind darauf spezialisiert, auch unter extremen Umweltbedingungen wie klirrender Kälte, intensiver Sonneneinstrahlung oder starkem Wind zu überleben. Das alpine Grasland bietet eine riesige Weidefläche für Vieh und versorgt uns so mit zahlreichen Milch- und Fleischprodukten. Unterschiedliche Gesteinsarten und eine komplexe Topografie erschaffen ein Mosaik aus Kleinlebensräumen. 90 Prozent des Kohlenstoffs sind in der alpinen Zone unterirdisch gespeichert, etwa in Permafrost-Böden. Die durchgehend gefrorenen Böden sorgen für stabile Hänge, schützen vor Muren und schliessen Treibhausgase ein. Die Klimakrise gefährdet dieses ökologische Gleichgewicht.

Grünes Multitalent

Der Wald liefert Holz und Bodenfläche, reinigt Luft sowie Wasser und produziert Sauerstoff. Als Lebensraum für Pflanzen und Tiere leistet er einen wichtigen Beitrag für die Biodiversität, die unsere Lebensgrundlage darstellt. Er versorgt uns mit Nahrung, zum Beispiel direkt mit Wildbret oder indirekt als Lebensraum für Bienen und Insekten, die unsere Obstbäume bestäuben. Der Wald schützt vor Muren, Steinschlag oder Lawinen. Und wenn wir am Wochenende zwischen den Bäumen spazieren und uns an der Schönheit der Landschaft erfreuen, macht uns das gesund und glücklich. Durch landwirtschaftliche Nutzung, Forstwirtschaft und Unwetter steht der Lebensraum Wald immer stärker unter Druck.

Im Klimasumpf

Ein Hektar Moor nimmt in einem Jahr so viel CO2 auf wie ein Auto produziert. Ein intaktes Feuchtgebiet speichert auch Wasser: kein anderer Bodentyp in den Alpen hat eine so hohe Kapazität. Während zunehmender Trockenperioden oder Starkregenereignisse regulieren Sümpfe den Wasserhaushalt und übernehmen darüber hinaus wichtige Funktionen bei der Reinigung des Grund- und Trinkwassers. Sie gelten auch als Orte der Artenvielfalt und dienen den Menschen als Freizeit- und Naherholungsräume. Die Trockenlegung von Mooren für den Torfabbau schadet dem Klima gleich doppelt: der CO2-Speicher wird dauerhaft zerstört und Treibhausgase werden freigesetzt.

Partner fürs Leben

Gesunde Böden sind von entscheidender Bedeutung, um den Klimawandel einzudämmen, die Biodiversität zu erhalten und Nahrungsmittel sicherzustellen. Es dauert Jahrhunderte bis Jahrtausende, bis sich neuer Boden aus Gestein bildet. In einem einzigen Teelöffel Waldboden tummeln sich etwa eine Milliarde Bakterien, Pilze und andere Kleinstlebewesen. Viele Pflanzen gehen mit Pilzen eine enge Partnerschaft ein, indem sie in einer Wurzelsymbiose (Mykorrhiza) zusammenleben. Die Pilzpartner verbessern das Wachstum der Pflanzen, sorgen für stabile Bodenaggregate und speichern so Wasser und Nährstoffe. Starkregen, Winderosion, Dürren und Hitzewellen reduzieren den natürlichen Vorrat an Mykorrhizapilzen und Bodenbakterien drastisch.

Was CIPRA International macht, um sie zu schützen

Keine Pflanzen ohne Wildbienen: Wildbienen bestäuben rund 80 Prozent der Blütenpflanzen. Ohne diese Leistung würde die genetische Vielfalt der Pflanzen schrumpfen und damit unser Nahrungsangebot. Ob Böschungsmauer oder Blumenwiese: Gute Beispiele aus dem Projekt BeeAware! zeigen, wie Gemeinden und Einzelpersonen Wildbienen schützen können.

Spurenarm unterwegs: Von Infotafeln über Comics bis zu ÖV-Tourentipps: Das Projekt speciAlps2 sammelt gute Beispiele zur Besucherlenkung und erarbeitet in vier Pilotregionen Lösungen sowie einen Verhaltenskodex für einen sorgsamen Umgang mit der Natur.

Klimafreundlich reise: Rund 120 Millionen Menschen besuchen jährlich die Alpen. 80 Prozent reisen mit dem eigenen Auto an und hinterlassen einen enormen CO2-Fussabdruck. Das Projekt YOALIN (Youth Alpine Interrail) ermöglicht jungen Menschen mit klimafreundlicheren Verkehrsmitteln wie Zug und Bus durch die Alpen zu reisen.

Gemeinsam die Alpen verändern: Randgruppen besser einbinden, Geisterstädte wiederbeleben oder Biodiversität fördern: Beim «Alpine Changemaker Basecamp» entwickeln junge Menschen Projekte für eine lebenswerte Zukunft in den Alpen.

Fit zur Arbeit: Um die Auswirkungen der Klimakrise zu verringern, müssen wir unsere Emissionen senken. Das Interreg-Projekt AMIGO zielt darauf ab, den grenzüberschreitenden Autoverkehr einzudämmen und setzt auf aktive Mobilität in Pilotbetrieben.

Klimabrücken bauen: Von Kroatien über Bosnien-Herzegovina bis nach Albanien: Gemeinsam mit weiteren NGOs baut die CIPRA im Projekt Climate Bridges eine Netzwerkplattform für den transnationalen Klimaschutz im westlichen Balkan auf.

Wert der Natur: Anfang Juli 2021 diskutierten Teilnehmende aus allen Alpenländern an der Jahresfachtagung in Biella/I über den Nutzen und den Wert der Natur im Alpenraum. In Vorträgen entdeckten sie gute Praktiken, um das Naturerbe der Alpen nachhaltig zu bewahren.

Unter der Lupe: Biologische und kulturelle Vielfalt, Solidarität, innovative Ideen und mehr: Die Alpen bergen einen unglaublichen Schatz an Ressourcen. Wie wir möglichst nachhaltig mit ihnen umgehen, beantwortet das im August 2021 erschienene Themenheft SzeneAlpen.

Weiter wandern: Regionale Spezialitäten, umweltfreundliche Baukulturen und die vielfältige Natur entlang der Via Alpina machen den komplexen Begriff Nachhaltigkeit greifbar. Der alpenquerende Wanderweg ist ein Umsetzungsprojekt der Alpenkonvention und ein Beispiel für sanften Tourismus. CIPRA betreut das internationale Sekretariat.