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Quelle des Lebens und des Profits

24.09.2013 / Stefan Kunz
Die Landwirtschaft will bewässern, die Energiekonzerne wollen Strom produzieren, die Umweltverbände Fische retten, die Skidestinationen beschneien und der Nachbar möchte den Swimmingpool mit klarem Wasser füllen. Der Kampf um die endliche Ressource Wasser führt zu Zielkonflikten, die mit sektoralen Betrachtungsweisen nicht gelöst werden können.
Quelle des Lebens und des Profits
Bild Legende:
Das blaue Gold der Alpen: Ein unberührter Fluss inspiriert unsere Sinne. © Heinz Heiss / Zeitenspiegel
Stellen Sie sich vor: Hochsommer, Sie kehren mit Ihrer Familie von einer Wanderung ins Berghotel zurück. Schon von weitem hören Sie den Bergbach rauschen. Die Kinder sind nicht zu halten und rennen zum Wasser. Abrupt bleiben sie stehen: Ein hoher Zaun umgibt den Bach, eine Schild warnt: «Privat – Zutritt nur für Berechtigte». Enttäuscht und verschwitzt trotten sie weiter.
Eine Szene aus einem Science-Fiction-Film? Nicht unbedingt; für uns Alpenbewohner ist Wasser zwar ein reichlich vorhandenes, kostenloses Gut. Der Zugang zu frischem Wasser aber ist keine Selbstverständlichkeit und das Vorhandensein solchens eine grosse Verantwortung, die es wahrzunehmen gilt.
Die Alpenländer beherbergen Quellen grosser Gewässer. So entspringt der Rhein im Schweizer Tomasee. Auf einer Länge von rund 1’250 Kilometern wird aus der Quelle ein Strom. Sein Einzugsgebiet umfasst 218’300 Quadratkilometer, zweieinhalb Mal die Fläche Österreichs. Deutschland, Frankreich, Lichtenstein, Niederlande, Österreich und die Schweiz grenzen an den Rhein. Der Bodensee versorgt rund vier Millionen Bürgerinnen und Bürger mit Trinkwasser. Allein damit wird klar, welch immense Verantwortung die Alpenstaaten tragen. Sie stehen am Anfang der Lebensadern. Mit ihrem Tun und Lassen üben sie bezüglich Schutz und Nutzung eine Vorbildrolle aus. Die Nachbarstaaten und Unterlieger sind darauf angewiesen, dass sauberes Wasser «übergeben» wird.

Verteidigung der «res publica»
Die Zeit der Aufklärung entzauberte die Natur. Dieser Paradigmenwechsel und der starke Glaube an die Technik führten dazu, dass immaterielle Werte des Wassers mehr und mehr zugunsten handfester Interessen verloren gingen. Mit dieser Entwicklung kommt die Grundsatzfrage auf, wem das Wasser gehört und wer dafür verantwortlich sein soll, dass wir täglich frisches Wasser beziehen können.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war man sich einig: Das Wasser gehört niemandem und damit allen. Die Versorgung mit Wasser ist eine «res publica», eine Aufgabe der Allgemeinheit, der Kommunen, des Staates. Denn nur die öffentliche Hand kann über Steuern und Abgaben eine gerechte Verteilung garantieren. Die aktuellen Debatten in der Europäischen Union zur Privatisierung des Trinkwassers zeigen jedoch, dass dieses Grundverständnis verloren gegangen ist. So sind breite Widerstände der Bevölkerung gegen die Privatisierung des Trinkwassers in Deutschland oder gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Bergün an der Albula in der Schweiz nötig, um die Inbesitznahme von Wasser zu klären. Auch in Italien hat die Mehrheit der Bevölkerung bei einem Referendum 2011 gegen die Privatisierung des Wassers gestimmt.
Die Auseinandersetzungen machen deutlich, dass die Nutzung des Wassers nicht dem freien Markt überlassen werden kann. Das Wasser gehört uns allen. Das Gemeinwohl und nicht das Interesse einiger weniger ist zu berücksichtigen. Verbindliche internationale Verträge und Abkommen sind notwendig, um die Verteilung gerecht und nachhaltig zu gestalten. Die Ausarbeitung eines Protokolls zur Ressource «Wasser» im Rahmen der Alpenkonvention auszuarbeiten, ist daher besonders dringend.

Zentrale Fragen
Zusätzlich zur Frage der Privatisierung von Trinkwasser stehen viele Alpenländer vor einer Fülle von Problemen und Zielkonflikten bei der Nutzung des nassen Elements. Hat der Bau eines neuen Wasserkraftwerks einen negativen Einfluss auf den Tourismus? Wie viel Restwasser ist nötig, um Fischen das Überleben zu sichern? Welche Auswirkungen haben Revitalisierungen auf den Grundwasserpegel? Bleibt unserem Dorf noch genügend Trinkwasser, wenn wir unsere Skipisten im Winter künstlich beschneien? Wie bewältigen wir den Ansturm von Erholungssuchenden in Schutzgebieten entlang unserer Flüsse? Wird sich die Hochwassersituation mit der Klimaveränderung noch verschärfen?
Diese und viele weitere Fragen lassen erahnen, dass der Druck auf unsere Fliess- und Stillgewässer in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird. Es gilt Lösungen zu finden, die längerfristig Bestand haben. Eine sektorale Betrachtung wird der Komplexität und den Herausforderungen nicht mehr gerecht. Es braucht integrale Konzepte und Instrumente, die die verschiedenen Ansprüche koordinieren, priorisieren und wo möglich Synergien fördern. Nicht zuletzt mit Blick auf die Herausforderungen bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie gilt es den Weg der Partizipation und des Einbezugs der Betroffenen konsequent zu verfolgen.

Auf gleicher Augenhöhe
Mit dem Integralen Einzugsgebietsmanagement (IEM) steht uns ein Instrument zur Verfügung, das den beschriebenen Erwartungen gerecht wird. Projektbeispiele wie der «Contrat de bassin» am Annecy-See (SzeneAlpen 96/2012), die Wasserstrategie im Schweizer Kanton Bern, der Nationale Gewässerbewirtschaftungsplan in Österreich oder das Seeforellenprogramm der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee zeigen, dass integrale Managementansätze wirksam sind. Der Erfolg hängt jedoch sehr stark davon ab, ob es gelingt, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen und durch offene und transparente Prozesse das Vertrauen aller Involvierten zu gewinnen. Verfolgt nur eine Partei eine «versteckte Agenda» und ist nicht bereit von ihren Eigeninteressen abzuweichen, ist der Prozess zum Scheitern verurteilt.
Erfahrungen der letzten Jahre zeigen leider, dass sich viele Projekte aus Mangel an Vertrauen in die Länge ziehen und nur über den Rechtsweg «gelöst» werden können. Vor allem im Bereich der Wasserkraft fällt es den Behörden und den Kraftwerksbetreibern nach wie vor schwer, mit offenen Karten zu spielen. Die enge Verflechtung zwischen der regionalen Politik und den grossen Stromkonzernen ist ein Zeichen dafür, wie gross das Interesse des Staates an einer möglichst intensiven Nutzung der Wasserkraft ist. Sogenannte Schutz- und Nutzungsstrategien fallen damit häufig zu Gunsten der Nutzinteressen aus. In fast allen Alpenländern sind die meisten nutzbaren Gewässer schon verbaut; das Potenzial für neue Wasserkraftwerke ist sehr bescheiden. Hier braucht es neben der Anpassung der Fördersysteme ein Umdenken hin zu einzugsgebietsbezogenen Herangehensweisen. Ansonsten drohen die letzten natürlichen Fliessgewässer in den Alpen bachab zu gehen.

Kooperationen pflegen
Die Vereinten Nationen haben 2013 zum «Internationalen Jahr der Zusammenarbeit im Bereich Wasser» erklärt. Zu den Zielen gehört es, in Fachkreisen und in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Bedeutung einer besseren Zusammenarbeit zu stärken.
Wie für andere Länder auch ist eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Schweiz im Bereich des Wassermanagements wichtig und notwendig. So engagiert sie sich gemeinsam mit Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Niederlande und Österreich seit Jahren in verschiedenen Gremien, die sich um die grossen Gewässer mit Einzugsgebiet in Grenzregionen kümmern. Dazu gehören die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins, die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee, die Internationale Kommission für den Schutz der schweizerisch-italienischen Gewässer CIPAIS und die schweizerisch-französische Kommission für den Schutz des Genfersees, der Rhone und ihrer Zuflüsse CIPEL. Im Rahmen dieser Kooperationen werden gemeinsam Lösungsansätze für verschiedene Themenbereiche erarbeitet wie Ökologie, Wasserqualität oder Klimaveränderungen.
Ganz aktuell untersucht das interdisziplinäre Forschungsprojekt IWAGO im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 61 ganzheitliche und partnerschaftliche Vorgehensweisen in der Schweizer Wasserwirtschaft. Die Resultate zeigen, dass sich integratives Vorgehen grundsätzlich bewährt. Die Prioritäten werden klarer gesetzt und effektivere sowie dauerhaftere Lösungen gefunden als bei einer sektoralen Vorgehensweise.
Eine einseitige Nutzung des Wassers findet immer auf Kosten vieler statt. Deshalb gilt auch aus ökonomischen Überlegungen: Die Erhaltung der heute noch natürlichen Fliessgewässer sowie ein sorgfältiger Umgang mit unserem Grundwasser haben oberste Priorität. Dann können Sie die Bergbach-Szene am Anfang dieses Textes zu einem anderen, guten Ende bringen, die Schuhe ausziehen und sich mit einem Schluck aus dem klaren Gewässer erfrischen. Sie spüren, wie eine tiefe Zufriedenheit Sie durchströmt – Wasser inspiriert, Wasser regt an, Wasser lädt zum Spielen ein, Wasser macht glücklich. Wasser schafft Leben.


Literaturhinweis:
CIPRA Internationale Alpenschutzkommission (Hrsg.): compact Nr.03/2011 «Wasser im Klimawandel»; ein Hintergrundbericht.

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aus: Szene Alpen Nr. 98 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/5222)