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«Nur auf eine wundersame neue Dynamik zu warten reicht nicht»

07.02.2011 / Gerhard Fitzthum
Im Gespräch mit Klaus Töpfer - Nachhaltige Entwicklung in den Alpen braucht beides: Instrumente von oben wie die Alpenkonvention, und Initiativen von unten, wie sie die CIPRA immer wieder startet. Dies sagt Klaus Töpfer, einstiger deutscher Umweltminister und Initiant der ersten Alpenkonferenz 1989 in Berchtesgaden/D.
Klaus Töpfer: «Ohne die CIPRA wäre es sicherlich nicht zur Alpenkonvention gekommen.»
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Klaus Töpfer: «Ohne die CIPRA wäre es sicherlich nicht zur Alpenkonvention gekommen.» © Matthias Lüdecke
Herr Töpfer, Sie haben die europäische Umweltpolitik in den letzten 30 Jahren nicht nur mitverfolgt, sondern auch mitbestimmt. Wie fühlt man sich, wenn man beim Zurückschauen feststellen muss, dass man sich vom Ausgangspunkt nicht allzu weit entfernt hat?
Man muss sich zunächst einmal davor hüten, zu häufig zurückzublicken und Bilanz zu ziehen. Der grosse deutsche Philosoph Ernst Bloch hat mal den schönen Satz gesagt: «Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich erinnert, was noch zu tun ist!» Unter diesem Gesichtspunkt sich zu erinnern, ist sinnvoll. Ausserdem hat sich viel verändert. Die Umweltpolitik hat Leben bekommen, ist in der Bevölkerung aufgenommen worden. Früher wurde man belächelt, wenn man sich über die Zukunft der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit sorgte, heute lächelt niemand mehr.

Die Alpenkonvention hat weit bescheidenere Ziele als die globale Weltrettung, sie will «nur» eine Handvoll Alpenstaaten auf den Weg der Kooperation und der Nachhaltigkeit bringen. In einem Mikrokosmos mit ähnlichen Rahmenbedingungen scheint das keine allzu schwierige Aufgabe.
Das ist gar kein so kleiner Mikrokosmos. Die Alpenkonvention wurde auch in anderen Gebirgsregionen diskutiert, und es kam dort zu entsprechenden Vereinbarungen. Aber natürlich ist die Tatsache, dass man ein Instrument der Veränderung geschaffen hat, noch nicht diese Veränderung. Die Vertragsstaaten müssen dieses erst mit Leben füllen, bei sich zu Hause, aber auch in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Mit Blick auf die zwischenzeitliche Entwicklung in den Alpen ist nicht alles in Erfüllung gegangen, was wir 1989 in Berchtesgaden als Handlungserwartung diskutiert und programmiert hatten. Diese erste Konferenz zur Alpenkonvention war aber neben dem deutschen Umweltminister, der sie initiiert hatte, nur noch von seiner österreichischen Amtskollegin besucht worden. An der zweiten Konferenz 1991 in Salzburg waren dann plötzlich alle Minister da. Die Alpenkonvention hatte bereits die Kraft bekommen, dass sich keiner mehr zu sagen erlauben konnte «da gehe ich erst gar nicht hin».

Sie haben eben den damaligen Umweltminister aus Deutschland erwähnt. Dieser Mann trug den Namen Klaus Töpfer. Welches war Ihre Motivation, sich für eine Region zu engagieren, die von Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt, ja ziemlich weit entfernt lag?
Es war tatsächlich nicht naheliegend, dass diese Initiative von Deutschland ausging. Andere Länder haben sehr viel grössere Anteile an den Alpen. Andererseits üben gerade meine Landsleute einen enormen Druck auf die Freizeit- und Transitlandschaft der Alpen aus. Uns war klar geworden, dass es sich hier um ein zunehmend gefährdetes System handelt, das, wenn man nicht zusammenarbeitet, sehr schnell erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird, nicht nur im Hinblick auf die Ökosysteme, sondern auch auf die sozialezivilgesellschaftliche Stabilität.

Welche Ergebnisse der letzten 20 Jahre machen Ihnen am meisten Freude?
Weil ich für acht Jahre in Afrika war, habe ich nicht alle Entwicklungen im Detail verfolgen können. Aus meiner damaligen Sicht war mir ausserordentlich wichtig, dass die Struktur der Alpenkonvention Grundlage für die Karpatenkonvention wurde. Es war vor allem die UNEP, also das von mir geleitete Umweltprogramm der Vereinten Nationen, die dies wesentlich vorangetrieben hat. So haben wir den Geist von Berchtesgaden weitergetragen. Bei der Alpenkonvention zeigten sich immer wieder Probleme, an die wir zunächst nicht gedacht hatten, etwa die Verfassung der Schweiz mit der hohen Bedeutung der Kantone und der anderen Art demokratischer Willensbildung. Das hat dazu geführt, dass der fast euphorische Antrieb aus den ersten Jahren sehr viel mehr Nüchternheit Platz machte. Nach dem begeisterten Schwung des Anfangs machten sich mal immer wieder diese kleineren und grösseren Rivalitäten bemerkbar, an denen wir lachend vorbeizukommen geglaubt hatten.

Welchen Stellenwert geben Sie der Konvention heute?
Was ich als durchaus positiv ansehe, ist der Punkt, dass die Konvention umstritten ist, dass sie unterschiedlich interpretiert wird. Damit bleibt das Thema immer wieder herausfordend, bleibt auf der politischen Tagesordnung und im Bewusstsein der Menschen. Wie bei vielen anderen grenzüberschreitenden Kooperationen ist ein Stein ins Rollen gebracht worden, der läuft manchmal in Richtungen, die man vorher gar nicht vermutete, aber er ist immer wieder Anlass zu sagen: «Leute, das ist immer noch ein ungelöstes Problem. Da müssen wir noch ran.» Und ich kenne keine alpenpolitische Diskussion, in der man nicht irgendwann gesagt hätte: «Da ist doch so eine Konvention. Da müssen wir noch mal intensiver nachdenken. Es gibt doch schon eine Ausgangsposition für unser Handeln, die wir ernst nehmen können.»

Hätten die Instrumente der Alpenkonvention allein denn genügt für diesen Zuwachs an Problembewusstsein, oder musste die CIPRA immer wieder schubsen?
Die CIPRA war und ist eigentlich der entscheidende Antriebsfaktor. Ohne die CIPRA wäre es sicherlich nicht zur Alpenkonvention gekommen, ebenso wenig zu dem einen oder anderen Ergebnis in den Durchführungsprotokollen. Die CIPRA versammelt hochengagierte und hochkenntnisreiche Persönlichkeiten, die sich in der Region wirklich auskennen und die durch ihre Verwurzelung in der Zivilgesellschaft dazu beitragen, dass sich die Themen auf politischer Ebene nicht länger verdrängen lassen. Demokratien zeichnen sich grundsätzlich dadurch aus, dass Bewusstwerdungsprozesse in der Öffentlichkeit auch die Politik mit verändern. Diese Prozesse passieren nicht nur von oben nach unten, sondern ganz im Gegenteil, auch von unten nach oben. Insofern kann man die Rolle und Bedeutung der CIPRA für das gesellschaftliche Engagement und das darauf aufbauende Handeln oder Unterlassen im Alpenraum überhaupt nicht überbewerten.

In den letzten Jahren haben sich in den Alpen einige leistungsfähige Netzwerke entwickelt. Wozu braucht man eine Alpenkonvention, wenn die eigentlichen Initiativen von unten kommen, durch NGOs wie die CIPRA oder regionale Zusammenschlüsse?
Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und betroffenen Bürgern war entscheidend. Das ergab einen Multiplikationsprozess in die Bevölkerung hinein, der auf politische Gestaltungen rückwirkte. Es ist nun mal ein unvermeidbarer Makel, eine eingebaute Schwäche von Konventionen insgesamt, dass sie meistens sehr vage und deshalb schwierig einklagbar sind. Ein massiver Mangel, der auch die globalen Klimaabkommen kennzeichnet. Als die Alpenkonvention ausgehandelt und verabschiedet wurde, war man sich sehr wohl bewusst, dass konkretisierende Protokolle verhandelt werden müssen – und dass dies immer wieder dasEngagement von unten aus der Breite der Zivilbevölkerung braucht. Allerdings frage ich mich, ob es wirklich ausreichen würde, wenn man versuchte, den massiven Druck auf die Ökosysteme der Alpen allein von unten zu bewältigen. Ob es nicht doch absolut zwingend ist, auf einer rechtlich verbindlichen Konvention aufbauen zu können.

Haben Sie eine Idee, wie man die Zähne dieses «Papiertigers», wie die Alpenkonvention manchmal genannt wird, wieder ein bisschen anspitzen kann? Es ist ja kein geringes Problem, wenn mit Italien und der Schweiz zwei der wichtigsten Alpennationen noch kein einziges Durchführungsprotokoll ratifiziert haben.
Man muss vorsichtig sein, wenn man von aussen kommt und sich – wie ich – mit der Entwicklung viele Jahre nur als Zaungast beschäftigt hat. Meiner Ansicht nach wäre es hilfreich, wenn irgendeiner der Staaten die Initiative ergreift und sagt: «Lass uns mal zu einer Arbeitssitzung zusammenkommen und sehen, welche Instrumente wir haben und wie wir neuen Push hineinbekommen können.» Man sollte sich im kleinen Kreis treffen auf Ministerebene und mit Hilfe einiger Sachverständiger eine Bestandsaufnahme machen und schauen, wo etwas hängt und wie man da weiterkommen könnte. Nur auf eine wundersame neue Dynamik zu warten reicht nicht. Es muss einfach mal wieder jemand ausserhalb der eingespielten Engpässe denken. Das ist vielleicht ein bisschen blauäugig, optimistisch, aber zumindest würde dann ein Aktualisierungsprozess eingeleitet und die Staaten würden an ihre Verantwortung erinnert. In Zeiten, in denen die alpenquerenden Verkehrsströme immer grösser werden und der Fremdenverkehr von vielen Regionen immer radikaler Besitz ergreift, wird das natürlich schwierig sein. Dennoch ist unstrittig, dass gehandelt werden muss, denn die Gefahren für dieses fragile Ökosystem, diesen Lebens- und Wirtschaftsraum von Millionen von Menschen werden ja nicht geringer.

Wie die Arktis ist auch das europäische Hochgebirge ein klimatologisches Frühwarnsystem. Mittlere Temperaturanstiege von vier bis sechs Grad werden bis zur Jahrhundertmitte prognostiziert. Kann man auch ein bisschen auf die Mitarbeit der Natur hoffen?
Leider Gottes ist es dem Menschen offenbar mitgegeben, dass seine Bereitschaft zu handeln und zu grundlegenden Veränderungen eng verbunden ist mit dem direkten Betroffensein. Vorsorgendes Handeln ist, noch dazu wenn es grenzüberschreitend sein muss und globale Ursachen hat, sehr viel schwieriger in Gang zu bringen. In den Zeiten, als ich Umweltminister war, war es noch vergleichsweise einfach. Die Probleme waren zu sehen, zu riechen, zu greifen, zu hören. Da wurden die Bürger sich auf einmal bewusst, dass man den Fisch aus dem Rhein nicht mehr essen kann – man organisierte sich also für konkrete Jetzt-Probleme. Die Frage «Was ist 2050?» bewegt nicht genauso. Umso wichtiger sind und bleiben die vielen zivilgesellschaftlichen Akteure, die ich immer wieder stellvertretend mit der CIPRA verbinde – Akteure, die die Perspektive der Zukunft schon heute real werden lassen.

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Der Mann der ersten Stunde
Als ehemaliger deutscher Umweltminister lud KlausTöpfer die UmweltministerInnen der Alpenländer 1989zur ersten Alpenkonferenz nach Berchtesgaden/D ein.Bei dieser Konferenz wurde der Grundstein für die Alpenkonvention gelegt. Nach seiner Zeit als Minister war Klaus Töpfer von 1998 bis 2006 Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Töpfer ist es zu verdanken, dass seine Partei, die CDU, den Umweltschutz zu ihrem Anliegen machte. So gelang es ihm, die konservativen Parteien im Alpenraum für diese Thematik zu sensibilisieren. Auch mit 72 Jahren ist Klaus Töpfer nach wie vor sehr aktiv. Er denkt nicht nur in Mandats- und Amtsperioden, sondern richtet sein Handeln langfristig aus,vor allem in seiner Funktion als Exekutivdirektordes Instituts für Nachhaltigkeitsstudien (IASS) in Postdam/D, die er seit Juni 2010 innehat. Weitere Infos siehe: www.iass-potsdam.de
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aus: Szene Alpen Nr. 95 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/4586)
abgelegt unter: Alpenkonvention, Staatsabkommen