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Mut zu Mega – aber auf der richtigen Spur

16.11.2010 / Helmuth Moroder
«Gross denken» ist wichtiger als «gross bauen» - Sind Grossprojekte grundsätzlich schlecht? Nein, sagt Helmuth Moroder, sie müssen aber in ihren Folgen «gross» durchdacht werden. Der Vizepräsident von CIPRA International hat als Direktor der Vinschgerbahnin Südtirol/I selbst Erfahrungen mit einem Grossprojekt.
Vinschgerbahn
Bild Legende:
Vinschgerbahn © STA
Wird ein «Grossprojekt» angekündigt, reagieren viele von uns alarmiert. Zu Recht. Allzuoft erleben wir, wie sich hinter Grösse vor allem Grössenwahn verbirgt. Um sich Denkmäler ihrer eigenen Bedeutsamkeit zu errichten, führen Politiker und Planer Autobahnen rücksichtslos durch Naturlandschaften, verbauen ganze Berge für den Skisport, betonieren über-dimensionierte Sportanlagen ins Gelände, die später weder genutzt noch erhalten werden. «Gross» ist nicht der geistige Horizont, gross ist der Schaden, den solche Megaprojekte in der Landschaft anrichten. Und in unserem Bewusstsein. Denn als Folge solchen Grössenwahns stelle ich eine gewisse Ängstlichkeit fest, Neues zu wagen.
In einer Zeit, in der wir über den Zustand unseres Planeten viel mehr wissen als jemals zuvor, ist es gut, sich der Folgen des eigenen Tuns für Natur und Umwelt bewusst zu werden. Projekte im Allgemeinen und vor allem Grossprojekte sollten nur dann realisiert werden, wenn sie eine Verbesserung – im Sinne der Nachhaltigkeit – der derzeitigen Situation bewirken. Doch sollte diese Zukunftsvorsorge nicht in geistige Kleingärtnerei ausarten. Mit drei Beispielen aus meiner Region Trentino-Südtirol möchte ich aufzeigen, dass Grossprojekte nicht an sich schlecht sind und unter welchen Bedingungen sie gelingen können.

Direkte Wertschöpfung
Im Jahr 2005 wurde nach fünfjähriger Bauarbeit die Vinschgerbahn mit moderner Technologie wieder in Betrieb gesetzt. Es handelt sich um eine 60 Kilometer lange, einspurige Regionalbahn in Südtirol, die 1990 stillgelegt wurde. Mit Investitionen von 130 Millionen Euro war das Vorhaben für Südtirol und für den Vinschgau – ein Tal mit 40’000 Einwohnern – ein Grossprojekt. Anfangs gab es denn auch heftige Diskussionen.
Heute, fünf Jahre nach der Wiedereröffnung der Eisenbahn, stellt keiner mehr die Sinnhaftigkeit der Investition in Frage. Die Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung und den Touristen ist enorm und hat die optimistischen Vorhersagen weit übertroffen. Jährlich übernachten 200’000 Schweizer Gäste mehr in Südtirol als vor dem Ausbau der Bahn. Touristik-experten führen dies auf den Werbeeffekt der Vinschgerbahn zurück. Durchschnittlich gibt ein Schweizer Gast täglich110 Euro aus, woraus sich ein Umsatz von 22 Millionen Euro jährlich ergibt. Davon fliessen dem Land Südtirol rund acht Millionen Euro direkte und indirekte Steuern zu. Ein Gross-projekt, das sein Ziel, mehr Nachhaltigkeit, sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich und sozial, erreicht hat.

Weitwurf oder Blindgänger?
Die Geschichte zeigt: Ehrgeizige Vorhaben stossen zunächst auf Widerstand. Als zur Weltausstellung in Paris 1887 ein hoher Turm errichtet werden sollte, empörte sich die gesamte Kunst- und Literatenwelt der Metropole. Diese «tragische Strassenlaterne» sei eine Entehrung, dieser «düstere Fabrikschornstein» eine Beleidigung fürs Auge, hiess es. Heute wäre Paris ohne Eiffelturm undenkbar. Oder als 1835 in Deutschland die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Führt verkehrte, warnte eine hochangesehene Kommission bayerischer Ärzte: «Die schnelle Bewegung muss bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit, eine besondere Art des Delirium furiosum, erzeugen. Wollen aber dennoch Reisende dieser grässlichen Gefahr trotzen, so muss der Staat wenigstens die Zuschauer schützen, denn sonst verfallen diese beim Anblicke des schnell dahinfahrenden Dampfwagens genau derselben Gehirnkrankheit. Es ist daher notwendig, die Bahnstrecke auf beiden Seiten mit einem hohen, dichten Bretterzaun einzufassen.» Wohlgemerkt: Die Lokomotive «Adler» dampfte mit gemütlichen 24 Stundenkilometern durchs Gelände.
Das Neue irritiert. Es fügt sich nicht in die Dimensionen des Bekannten ein. Das fordert heraus. Wir sollten – trotz allerIrrungen und Wirrungen der Vergangenheit – den Mut zu «Think Big» nicht verlieren. Sondern das «grosse Denken» mit einem 360-Grad-Blick für die Folgen verbinden.

Menschen stehen im Zentrum
Die Provinz Trient, rund 500’000 Einwohner, hat ein Projekt vorgelegt, wonach das gesamte Land mit einem unterirdischen Eisenbahnnetz verbunden werden sollte. «Metroland» sollte gut drei Milliarden Euro kosten. Das Projekt zeigt zumindest die Bereitschaft der Entscheidungsträger, einen grossen Schritt zu machen. Nur die Gleisrichtung stimmt nicht. Es ist kaum vorstellbar, dass man die Fahrgäste dazu bewegen will, sich in einer schönen Alpenregion wie dem Trentino nur noch unterirdisch zu bewegen: Menschen als Maulwürfe. Zudem würden mit dem Metronetz nur die wichtigsten Ortschaften bedient, der ländliche Raum würde noch stärker abgehängt als jetzt schon. Mit dem Projekt hat die Landesregierung aber gezeigt, dass sie bereit ist für einen Paradigmenwechsel: Hat sie in der Vergangenheit nur im Strassenbau «gross» gedacht, will sie nun in den nächsten 20 Jahren sehr viel Geld für den Eisenbahnverkehr ausgeben. Sollte die Provinz Trient dasunterirdische Metroland zu einem vernünftigen oberirdischen Eisenbahnnetz umdenken – wovon ich ausgehe –, so könnte dies eines der wichtigsten und kapitalintensivsten Gross-projekte im Alpenraum werden. Und eines, über das wir uns «megamässig» freuen können.
Ein drittes Beispiel. Die Stadt Bozen hat in März einen sehr ehrgeizigen Klimaplan genehmigt. Innerhalb der nächsten 20 Jahre sollen unter anderem sämtliche Gebäude energetisch saniert werden. Bozen wird eine riesige Baustelle werden. Die vorgesehenen Investitionen belaufen sich auf rund eine MilliardeEuro. Die Ausgaben werden durch die eingesparte Energie amortisiert. Das Vorhaben hat eine Dimension, bei dem sich die Menschen die Augen reiben – eine Art Eiffelturm der Klima-politik. Wir sollten ihn willkommen heissen. Vielleicht kommen zukünftig Touristen nach Bozen, weil hier in jeder Hinsicht ein besonderes Klima herrscht?
Das gesamte «Projekt Nachhaltigkeit» ist ein grosser Wurf. Es fordert von uns den Mut, Fortschritt zu wagen. Aber nicht blind, sondern mit einem Blick für die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Das ist die Grösse, die kommende Generationen von uns erwarten.

aus: Szene Alpen Nr. 94 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/4542)
abgelegt unter: Bauen