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Passivhäuser gedeihen nicht von selbst - Ökologisches Bauen in Vorarlberg

09.12.2008 / Martin Ploss
Das österreichische Bundesland Vorarlberg gilt nicht nur als Region mit einer hohen Dichte an erstklassiger Architektur, sondern auch als Musterregion für energieeffizientes und ökologisches Bauen. Weniger einzelne Massnahmen wie besonders hohe Förderungen, sondern eine breit angelegte und konsequent umgesetzte Gesamtstrategie ebneten den Weg dahin.
CIPRA Info Passivhaus
Bild Legende:
Der Passivhausstil erlaubt moderne wie klassische Gebäudeformen. So bleibt – wie hier zwischen Schulhaus und Gemeindezentrum Blons/A – auch die Kirche im Dorf. © CIPRA International
Bis in die 80er Jahre standen bei der Energiepolitik des Landes Vorarlberg, genau so wie andern Ortes, Fragen der Energieerzeugung im Vordergrund. 1985 gründete dann das Land gemeinsam mit regionalen Energieversorgern und weitern Institutionen das Energieinstitut Vorarlberg und propagierte nun zunehmend Massnahmen, um die Energieeffizienz zu erhöhen und erneuerbarer Energien verstärkt zu nutzen. Das Institut spielte dabei bereits in seiner Anfangsphase eine wichtige Rolle, gab es doch zu der Zeit noch kaum Strategien, um die Themen Energieeffizienz und erneuerbare Energien breit zu fördern und zu verankern.

Spür- und messbar bessere Lebensqualität
Ob die Konzepte für energieeffizientes Bauen überhaupt marktfähig und damit massentauglich sind, haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vorab im Rahmen von Forschungs- und Demonstrationsvorhaben wie dem europäischen Projekt CEPHEUS geprüft. Die Verantwortlichen kontrollierten bei neun Passivhäusern in Österreich - davon vier in Vorarlberg - ob sich die in der Theorie errechneten Werte in der Praxis bestätigen. Das Resultat ist eindeutig: Der in der Planungsphase ermittelte Heizwärmebedarf stimmt mit den gemessenen Werten überein; die Behaglichkeit in den realisierten Passivhäusern wird von den Bewohnern als spürbar höher beurteilt als in üblichen Neubauten und Messungen von Luft- und Oberflächentemperaturen, der Luftgeschwindig-
keiten oder der Luftqualität bestätigen dies; die Mehrkosten fielen mit durchschnittlich acht Prozent sehr gering aus, sodass die Gebäude wirtschaftlich betrieben werden können. Diese Ergebnisse führten dazu, dass in Vorarlberg der Passivhausstandard ein wichtiger Teil der Markteinführung energieeffizienter Gebäude wurde.

Sensibilisieren, weiterbilden, beraten
Kein Passivhaus wird gebaut ohne den Willen der Auftrag-geber. Um Bauherren und Hausbesitzerinnen zu sensibilisieren und zu informieren, wendet das Energieinstitut nicht nur viel Kapazität auf für Pressearbeit, Internetauftritt und Broschüren, sondern führt auch Kampagnen zu Schwerpunktthemen durch. Beispiele sind eine bereits erfolgte Solar-Nachrüstkampagne, die derzeit laufende Passivhauskampagne oder eine geplante Sanierungskampagne.
Eines der wichtigsten Elemente zur Markteinführung energieeffizienter Gebäude ist der Bereich der Weiterbildung. Das zielgruppengerecht aufbereitete Weiterbildungsangebot der Region reicht heute vom Abendvortrag bis zum 120-stündigen Hochschullehrgang.
Ergänzt werden Sensibilisierung und Weiterbildung durch die Energieberatung, die Vorarlberg dezentral in knapp 20 regionalen Energieberatungsstellen anbietet. Die freiberuflichen Berater und Beraterinnen werden vom Energieinstitut ausgebildet. Das Institut führt zudem auch die Qualitätssicherung für die Beratung durch. Angeboten werden abgestufte Beratungen verschiedener Intensität für Neubauten und vor allem für Sanierungen.
Bei der flächendeckenden Umsetzung der Markteinführungsstrategie von Niedrig- und Niedrigstenergiestandards spielen insbesondere die Gemeinden eine wichtige Rolle. Hier setzt das österreichweite e5-Programm an, das Gemeinden bei ihren Bemühungen zur Erhöhung der Energieeffizienz und zur Einführung erneuerbarer Energieträger unterstützt. Für die Errichtung besonders energieeffizienter Mehrfamiliengebäude und öffentlicher Gebäude gibt es zudem spezielle, planungsbegleitende Beratungsprogramme. Im Rahmen des Beratungsprogramms "Nachhaltig Bauen in der Gemeinde" entstehen derzeit etwa 15 öffentliche Gebäude, die höchsten energetischen und ökologischen Kriterien genügen. Den Schwerpunkt bilden Sanierungen, vor allem von Schulen aus den 60er und 70er Jahren.

Fördern und fordern
Vorarlberg fördert - und lenkt dadurch - die Bautätigkeit im Land. Hauptinstrument ist die in Österreich sehr bedeutende Wohnbauförderung, von der etwa zwei Drittel der Bauherrschaften profitieren. Diese Förderung, 1950 aus sozialen Gründen eingeführt, wurde seit 1990 zunächst um energetische, seit 2000 auch um weitere ökologische Kriterien ergänzt. Waren dies zunächst alles freiwillige Zusatzkriterien, so sind inzwischen die Einhaltung eines maximal zulässigen Heiz-wärmebedarfs oder PVC-freie Fussböden Voraussetzung, um die Wohnbauförderung überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Grundlage der Förderung ist ein Kriterienkatalog mit etwa 50 verschieden gewichteten Kriterien, die um die Kategorien Planung und Standort, Energie, Haustechnik, Materialwahl und Innenraum gruppiert sind. Die Höhe der Förderung hängt von der erreichten Punktzahl in diesem Katalog zusammen. Eine wichtige Voraussetzung für die praktische Umsetzung der geforderten Kriterien ist die Kontrolle der Förderanträge und die Kontrolle vor Ort eines beträchtlichen Teils der realisierten Gebäude durch die Qualitätssicherungsabteilung des Energieinstituts.

Die Bemühungen zeitigen Erfolge
Dass Vorarlberg bezüglich energiesparenden Bauens weiter ist als andere Regionen, zeigt eine Vielzahl von Fakten. Der Anteil der Niedrigenergiehäuser mit einem maximalen Heizwärmebedarf von 55 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr am gesamten Wohnungsneubau Vorarlbergs betrug schon im Jahr 2000 mehr als 50 Prozent. Seit dem Jahr 2008 müssen Neubauten sogar zwingend den Niedrigenergiestandard erreichen - von solchen Regelungen sind andere Regionen in den Alpen noch weit entfernt. Noch weiter gehen die Vorschriften für den gemeinnützigen Wohnbau in Vorarlberg: Seit Anfang 2007 müssen Neubauten zwingend den Anforderungen des Passivhauskonzepts mit einem maximalen Heizwärmebedarf von 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr genügen. Sozusagen im Schlepptau dieser Vorschrift gewinnt das Passivhaus in Vorarlberg auch generell noch mehr Aufwind: Im laufenden Jahr werden voraussichtlich deutlich mehr als zehn Prozent der neu errichteten Wohneinheiten im Passivhausstandard erstellt.
Die flächendeckenden Angebote für Energieberatungen und die in den vergangenen Jahren ausgebauten Förderanreize trugen weiter dazu bei, dass auch der Anteil von Niedrigenergiehäusern im Altbaubestand mittels thermischen Sanierungen deutlich stieg. Dass sich der Heizenergiebedarf von Gebäuden aus den 70er Jahren mit vorbildlichen Sanierungen gar auf Passivhausniveau senken lässt, zeigt in Vorarlberg aktuell die gemeinnützige Wohnbaugesellschaft VOGEWOSI.
Als Folge der kontinuierlich verfolgten Markteinführungsstrategie für energieeffiziente und ökologische Gebäude sowie der geförderten Nutzung erneuerbarer Energien entstanden in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche neue Arbeitsplätze. Auch wurden innovative Betriebe in verschiedenen Bereichen neu gegründet bzw. ausgebaut, wie Holzbau, Fensterbau, Solarthermie, Passivhaus Heiz- und Lüftungstechnik, Wärmepumpen oder Holz-Heizsysteme. Von der nun feststellbaren verstärkten Konzentration auf Gebäudesanierungen werden die regionalen Handwerksbetriebe noch stärker profitieren: Bei der Sanierung eines Altbaus fallen mehr Arbeitsstunden an als bei einem Neubau.