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Cammina, cammina…

12.07.2007 / Francesco Pastorelli
Zu Fuss auf einem Wanderweg oder mit Schneeschuhen durch eine verschneite Winterlandschaft, der Reisebegleiter des Vereins "Compagnia del Buon Cammino" bietet "Berge für alle" an, die Respekt vor der Natur und Kultur haben.
Bressy
Bild Legende:
Ermanno Bressy ist 57 Jahre alt, wohnt in der Provinz Cuneo und leitet dort die Agentur Agenform, die sich mit Ausbildung und Projekten im Bereich der ländlichen Wirtschaft befasst. Er war einer der Gründer und ist heute noch Wanderführer des Vereins «Compagnia del Buon Cammino» für die Förderungdes Wandertourismus, insbesondere Trekking und winterliche Touren mit Schneeschuhen. Damit hat er einen wichtigen Beitrag für die Wiederbelebung derWirtschaft in kleinen Bergdörfern fern der grossen Fremdenverkehrsgebiete geleistet. © Compagnia del Buon Cammino
Der Wanderverein "Compagnia del Buon Cammino" hat mit seiner Tätigkeit den Bergtourismus in den piemontesischen Alpen revolutioniert. Wie ist der Verein entstanden?
Unser Verein entstand im Jahr 1997. Bis dahin hatten die meisten Menschen Ausflüge in die Berge als mühevolle Unternehmung betrachtet, bei der man sich abrackert, um auf Gipfel zu steigen und im Rucksack den nötigen Proviant mitnimmt, ohne dass die örtliche Wirtschaft etwas davon hat. Wandern war - besonders in den hiesigen Tälern - etwas für Tagestouristen. Wir haben uns überlegt, dass die Berge ein Ort sind, den man eher "erleben" sollte als ihn nur zu durchqueren. Wir versuchen, dabei weniger bekannte Gebiete mit weniger Infrastruktur zu bevorzugen, wo es jedoch auch Menschen und Wirtschaftstätigkeit gibt. Und wir sorgen dafür, dass die dortigen kleinen Betriebe - Wirtshäuser, Bauernhöfe mit Fremdenzimmern, kleine Läden, also ortsansässige Unternehmen - einen Nutzen aus unserer Ausflugsorganisation ziehen. Wir sind uns bewusst, dass der Sommertourismus im August für eine wirtschaftliche Entwicklung nicht ausreicht; daher versuchen wir, unsere Mitglieder das ganze Jahr über in die Berge zu bringen. Wir waren es, die Bergwanderungen mit Schneeschuhen an Orten und in Jahreszeiten eingeführt haben, in denen früher niemand in die Berge ging.

Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für den Bergtourismus?
Es wird immer - allerdings mit immer grösseren Problemen - die grossen Wintersportorte geben; es wird immer Leute geben, die aus den Bergen um jeden Preis eine Vergnügungsindustrie machen wollen, und es wird auch immer Leute geben, die in die Berge fahren, um sich dort auszutoben. Es wächst jedoch das Bewusstsein, dass es andere Werte gibt, Werte wie Regionalkultur und Natur. Wir hoffen, dass sich zwischen Stadt und Bergen ein neues Solidaritätsverständnis entwickelt, bei dem es nicht um Dominanz und Ausbeutung aber auch nicht um Almosen und Wohltätigkeit geht.

Ihr Verein entstammt zwar nicht der Öko-Bewegung, hat sich aber oft durch Massnahmen zum Landschafts- und Umweltschutz hervorgetan.
Wir haben versucht, einen bewussten Umgang mit der Landschaft zu fördern und den Menschen einen anderen Blick auf ihre eigene Region zu zeigen. Manchmal war es dabei erforderlich, Hand in Hand mit den Umweltschützern gegen gewisse Auswüchse zu kämpfen. Dank der Wanderer wurden einige kleine Gewerbe wieder belebt, einige kleine Ortschaften können wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft blicken. Wenn aber falsche Entscheidungen der örtlichen Politik die Region gefährden, sind wir die ersten, die dagegen Druck machen, auch wenn das heisst, einmal einen Ort aus unseren Routen zu streichen und andere Orte zu bevorzugen, die eine Politik der Nachhaltigkeit verfolgen.

Ihre Wandertouren führen weniger ins Hochgebirge oder in die Wildnis als vielmehr in besiedelte Berggebiete. Warum?
Auf den mittleren Höhen, die noch vom Menschen bewohnt sind, kann man das ganze Jahr über Tourismus betreiben. Konkrete Tourismusprojekte müssen dort umgesetzt werden, anstatt Massen von Touristen ins Hochgebirge zu bringen, wo die Umwelt empfindlicher ist, wo es schwieriger ist, eine Tourismusinfrastruktur anzulegen und wo vor allem die Saison sehr kurz ist. Die Verlängerung der Fremdenverkehrssaison ist von grundlegender Bedeutung für die Erhaltung der Wirtschaft in den Alpentälern.

Was verlangen Sie von den Fremdenverkehrsbetrieben der Region?
Nicht nur Qualität bei Unterbringung und Gastronomie, sondern auch die Fähigkeit, Emotionen und Erlebnisse anzubieten. Das heisst also, eine menschliche und soziale Beziehung zum Ausflügler aufzubauen. Der Tourist muss die Berge und ihre Bewohner achten, aber ein Betrieb darf den Touristen nicht nur als jemanden sehen, den man ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. Wir haben die Einrichtung eines Netzwerks von Gaststätten gefördert, die ein sowohl ethisches als auch praktisches Engagement zeigen, zum Beispiel durch ein "Buon Cammino"-Menü zu einem günstigen Preis. Leider beschränkt sich in unseren Tälern an vielen Orten der Veranstaltungskalender auf den Monat August und auf ein paar Tage um Silvester. Das halte ich für einen grossen Fehler. Um das ganze Jahr über ein Programm anzubieten, muss das Konzept der Fremdenverkehrsbüros völlig neu gestaltet werden. Die Fremdenverkehrsämter geben Informationen, sie sollten aber Animation anbieten. Informationen bekommt man heutzutage genug über das Internet.

Und die Lokalpolitiker? Tun die Ihrer Meinung nach ihre Pflicht?
In den letzten dreissig Jahren haben sie auf den Bedarf der Bevölkerung reagiert und Strassen und Wasserleitungen gebaut. Heute haben sich die Bedürfnisse geändert: Gebraucht werden schnelle Internetzugänge, kulturelle und soziale Aktivitäten. Das sollten sie hauptsächlich für die Bewohner tun, dann hätten auch die Touristen etwas davon. Leider schaffen es zumindest in den piemontesischen Alpen nur wenige Lokalpolitiker, dafür zu sorgen.

Die vom Menschen geprägte Kulturlandschaft ist in Gefahr...
Auch die Berglandwirtschaft hat einen tief greifenden Wandel erlebt. Ich denke, dass eine "moderne Ländlichkeit" der Berge gewahrt werden kann. Diese muss jedoch von den Bergbewohnern unterstützt werden. Ich glaube, dass die Politik die Ansiedlung bzw. die ständige Anwesenheit von Landwirten in den Bergen fördern sollte, die ihre Produkte verarbeiten und verkaufen können und sich so in den Wirtschaftszyklus des Tourismus eingliedern. Stattdessen werden Tätigkeiten wie die Almwirtschaft gefördert, die derzeit hauptsächlich in der intensiven Nutzung von Bergweiden - nur zwei Monate im Jahr - durch grosse Viehhaltungsbetriebe aus der Ebene besteht.

Parallel zum Verein ist in der Zwischenzeit das Netzwerk der "Buon Cammino - Gemeinden" entstanden.
Das ist ein Verein von Gemeinden und Fremdenverkehrsämtern, der 2003 gegründet wurde und das Ziel verfolgt, Umwelt- und Kulturtourismus durch Förderung der Wanderaktivitäten in den Gebieten der jeweiligen Gemeinden anzuregen. Derzeit gehören ca. 60 Institutionen dazu (aus Piemont, Ligurien, aber auch aus Frankreich und der Schweiz). Jede Gemeinde oder Einrichtung findet im Netzwerk Unterstützung für den Umgang mit Problemen des Tourismusmanagement im eigenen Gebiet. Die jeweiligen touristischen Angebote bündeln so gestützt auf eine übergreifende Planung ihre touristischen Potenziale. Gemeinden und Einrichtungen, die dem Buon-Cammino-Netzwerk angehören, glauben an einen menschengerechten Tourismus, der die Emotionen, das Naturerlebnis und die Begegnung mit verschiedenen Umwelt- und Kultursituationen in den Mittelpunkt stellt.

Das Gespräch führte Francesco Pastorelli, CIPRA Italien