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Von der Holzbaukunst bis zum Heuwiesenwickel - Neben den natürlichen Ressourcen sind die Fähigkeiten und das Engagement der Menschen der Schatz der Alpen

20.03.2007 / Swantje Strieder
Man kann über die Abwanderung und den ausufernden Tourismus jammern und nichts tun. Oder man kann beweisen, wie man mit den vor Ort vorhandenen Ressourcen Geld verdienen und sichere Arbeitsplätze schaffen kann.
Bergwald
Bild Legende:
Seit 1850 hat die Bergwaldfläche über 30 % zugenommen. Obwohl nachhaltige Holzwirtschaft praktizierter Umweltschutz ist, wird der heimische Wald noch zu wenig als hauseigener Rohstofflieferant genutzt. © CIPRA International
Ländliche Regionen in den Alpen haben oft nur ein geringes Wirtschaftswachstum und bieten im Verhältnis zu Städten und Ballungsräumen nur eine kleine Auswahl an Berufen und damit wenig Jobmöglichkeiten. Durch die Globalisierung und den Strukturwandel der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten gingen viele Arbeitsplätze verloren und manche Bergregion wurde geradezu entvölkert.
Wuchernde Städte und Tourismus-Zentren einerseits, verlassene Bergdörfer und verfallene Almen andererseits: Die Wintersport-Ressorts, Städte und Industriegebiete wachsen weiter, während viele landschaftlich reizvolle Bergregionen mit intakter Umwelt veröden und damit auch traditionelle Kulturformen wie Handwerk, Alm- und Viehwirtschaft verschwinden. Die CIPRA ist überzeugt, dass diesem Trend etwas entgegen gesetzt werden muss: Die Landschaft und kulturelle Traditionen sind Basis für nachhaltiges Wirtschaften, sie müssen bewahrt und weiterentwickelt werden.
Die negativen Folgen für das empfindliche Ökosystem durch Verkehr und Schadstoffbelastung zeigen sich in den Tourismuszentren und Pendlerkommunen deutlich. Der Schwerpunkt der regionalen Entwicklung muss deshalb bei der Schaffung und Diversifizierung von Arbeitsplätzen im Einklang mit der fragilen Umwelt und ihren lokalen Ressourcen stehen.

Wirtschaftliche Entwicklung mit positiven Langzeitfolgen
Dass diese einmalige Landschaft bedroht ist, haben viele AlpenbewohnerInnen erkannt. In hochalpinen Zonen mit seltener Flora und Fauna und schwindenden Gletschern sind Schutzzonen für das sensible Ökosystem eingerichtet worden. Aber auch da, wo der Mensch seit Jahrhunderten interveniert hat, bei der Almbewirtschaftung, sollte der Schutz dieser Kulturlandschaft Vorrang vor rein wirtschaftlichen Investitionen haben.
Viele leerstehende Alm- und Schutzhütten, Ställe und Heuschober wurden zu Ferienhäusern und Zweitwohnsitzen umgewandelt. Die Erhaltung alter baulicher Struktur ist teilweise sicher sinnvoll, urteilen die ExpertInnen in der von der CIPRA beauftragten Untersuchung. Allerdings bringe die zu starke Bebauung in und um Wintersportzentren wegen ihrer lediglich saisonalen Auslastung nur wenig Wertschöpfung, störe hingegen die "klassische" Alpenszenerie und damit den Aufbau eines sanften Tourismus im Sommer. Gerade wenn durch Klimawandel und Erwärmung neue touristische Attraktionen jenseits der immer kürzeren Wintersportsaison aufgebaut werden sollen, stehe sich die übermässige Bebauung selbst im Weg.

Klimaschutz durch Nutzung regionalen Holzes
Eine der offensichtlichen Landschaftsveränderungen in den Alpen ist die zunehmende Bewaldung: Seit 1850 hat die Bergwaldfläche um über 30 Prozent zugenommen. Bisher galt der üppig wuchernde Bergwald eher als Hemmnis für den Tourismus. Doch neue Studien zeigen, dass die Gäste den Wald begrüssen, während die Einheimischen der charakteristischen Wiesen- und Weidenlandschaft ihrer Vorväter nachtrauern. Andererseits schafft ein gesunder Bergwald zusätzliche Werte: Ein Fünftel der Alpenwälder hat eine besondere Schutzfunktion, trägt zur Befestigung der Steilhänge bei und verhindert Lawinen und Erdrutsche.
Obwohl nachhaltige Holzwirtschaft praktizierter Umweltschutz ist, wird der heimische Wald immer noch viel zu wenig als hauseigener Rohstofflieferant genutzt. Holz ist nicht nur ein idealer Baustoff, sondern auch eine wichtige erneuerbare Energiequelle mit neutraler CO2-Bilanz.

Das ExpertInnenteam empfiehlt deshalb, die einzigartige Landschaft der Alpen und die sauberen einheimischen Energiequellen wie Holz, Wind, Wasser und Biomasse als die wichtigsten regionalen Ressourcen zu nutzen und dabei auch die soziale und regionale Identität ihrer BewohnerInnen als "Ressource" zu begreifen. Wenn es gelänge, für die Alpen typische nachhaltige Produkt- und Dienstleistungsketten aufzubauen, dann bliebe die fragile Umwelt besser im Gleichgewicht. Beispielsweise wären die Transportwege kürzer und es würden Jobs geschaffen, die der Biodiversität der Alpen Rechnung tragen und angesichts fortschreitender Globalisierung und Liberalisierung des Weltmarkts wenig krisenanfällig wären.

Diese globalen Tendenzen, welche die Zentren stärken und die die peripheren Regionen schwächen, lassen sich auch durch die besten und kreativsten Initiativen in den Alpen nicht aufhalten, wenn sie nicht von einer entsprechenden Politik unterstützt werden: Die zukünftige Entwicklung in den Alpen hängt deshalb sehr wesentlich von der Berggebietsgesetzgebung und den damit verbundenen europäischen und nationalen Programmen und Förderinstrumenten ab. Darum fordert die CIPRA, die bestehenden Instrumente und Forderungen laufend zu überprüfen, zu bewerten und zu optimieren. Dies ist eine wesentliche Grundlage für eine nachhaltige Regionalentwicklung.

Die Kernfragen, die sich das ExpertInnenteam von "Zukunft in den Alpen" stellte, lauten: Wie können regionale und lokale Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um erfolgreiche Produkt- und Dienstleistungsketten aufzubauen? Wie können bestehende Netzwerke profitabler gemacht und ausgedehnt werden? Wie können neue Ideen verbreitet und Kooperationen gefördert werden? Und wie können die AkteurInnen gegenseitig von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung profitieren? Die Empfehlungen lauten:

o Die Regionen sollten Langzeitstrategien verfolgen, die das lokale Potenzial ausschöpfen. Mit interdisziplinärem Wissenstransfer und überregionaler Kooperation können die Beteiligten für ihre Region zugeschnittene Modelle entwickeln.

o Lokal handeln, global denken! Die Alpenregionen sollten Bedürfnisse des Marktes ausserhalb der Alpen mit binnenwirtschaftlichen Strukturen und sozialen Strategien vorausschauend verbinden.

o Die Entwicklung qualitativ hochwertiger und dabei Ressourcen schonender Dienstleistungen wie sanfter Tourismus oder das Management von Naturgefahren wie Erdrutschen und Lawinen sollte gefördert werden.

o Die Entwicklung von einzigartigen, für die Alpen spezifischen Produkten und Dienstleistungen (alpine unique selling points), die mit Labels als Regionalmarken gekennzeichnet und gezielt vermarktet werden, sollte unterstützt werden.

o Der langfristige Erfolg der Modellprojekte hängt sehr von starken Führungspersönlichkeiten ab, die den Markt kennen und ein komplexes Projekt leiten können. Die Einrichtung eines Master-Kurses für die Entwicklung des Alpenraumes könnte die Kompetenz der SchlüsselakteurInnen fördern. Diese Empfehlung der Experten trifft sich mit der CIPRA-Forderung nach "Capacity Building". Um die Kompetenz der Verantwortlichen und Teilnehmer in den Projekten zu erweitern, unterstützt die CIPRA vielfältige Massnahmen zur Aus- und Weiterbildung.


Anhand ihrer Datenbanken, aktuellen Publikationen, Interviews und Internet-Recherchen haben die ExpertInnen 29 Vorzeigeprojekte aus sechs Alpenländern (www.cipra.org/zukunft) ausgesucht, die nachhaltig wirtschaften und dabei vorbildlich zur regionalen Wertschöpfung beitragen. Damit diese Initiativen zur Regel werden, braucht es verbesserte Rahmenbedingungen: Die CIPRA fordert die EU, die Alpenstaaten und die Regionen zu einer nachhaltigen Regionalpolitik auf, die diesen Namen wirklich verdient. Im folgenden werden drei der vorbildlichen Modellprojekte vorgestellt:

1. Beispiel Vorarlberg Österreich
www.holzbaukunst.at
CIPRA-Preisträger Wettbewerb "Zukunft in den Alpen" 2005
Vorarlberger Holzbau-Kunst
Die Qualitätsgemeinschaft Holzbau Vorarlberg ist eine klassische regionale Wertschöpfungskette, die von der Waldbesitzerin bis zum Zimmermann und Schreiner reicht. Vorarlberger Sägewerksbesitzer, Zulieferer aus Industrie und Handwerk sowie eine ausgewählte Gruppe von ArchitektInnen, PlanerInnen und Forst- und HolzexpertInnen bilden die Kerngruppe des Projekts.
Die sechs Jahre alte Genossenschaft bezieht ihren Rohstoff aus nachhaltigem Holzanbau, nämlich den Weisstannenwäldern des Grossen Walsertals. Genutzt und vertieft wird dabei das Know-How der Vorarlberger Holzfachleute. Mehr Holzbau auf höchstem Niveau durch gemeinsames Marketing, Weiterbildung und Lobbying, so lautet der Leitgedanke der Qualitätsgemeinschaft, die aus immerhin 82 Mitgliedern besteht. Und Lobby-Arbeit ist auch nötig, um die privaten und kommunalen BauherrInnen davon zu überzeugen, dass es kein skandinavisches oder gar Tropenholz am Bau sein muss, sondern auch die einheimischen Hölzer einen hohen Standard haben.

Holz aus der Region für innovative Architektur
Die vielen Beispiele anspruchsvoller moderner Holz- und Glasbauarchitektur und geglückte Altbausanierungen der Region Vorarlberg sprechen für sich. Ausserdem hat die Kooperative durch zwei erfolgreiche Initiativen auf sich aufmerksam gemacht: durch die Vergabe des Vorarlberger Preises für Holzbau-Kunst, der alle zwei Jahre unter grosser Beteiligung ausgeschrieben wird. Und durch das Projekt "Holzbau Zukunft", das aus einem ausgefeilten Studien- und Förderprogramm für Auszubildende des Tischler- und Zimmerhandwerks besteht. Zum Abschluss der Lehrzeit gehen die jungen Zimmerleute auf moderne Art "auf die Walz" und schauen sich die Holzbaukultur in Schweden an.
Schlüsselfigur und Ideengeber der Qualitätsgemeinschaft ist der geschäftsführende Direktor Matthias Ammann in Feldkirch, der als früherer Mitarbeiter der Wirtschaftskammer Vorarlberg die entscheidenden Kontakte zu Politik, Wirtschaft und Umweltgruppen hält. Der Kooperative gehören ausserdem 45 Tischlereibetriebe, 38 WaldbesitzerInnen, Sägewerke und holzverarbeitende Betriebe an. Das Jahresbudget von knapp 900.000 Euro wird teilweise mit EU-Geldern finanziert, aber es gibt auch lokale Sponsoren wie die Raiffeisen-Bank, die Kraftwerke Vorarlberg oder die Wirtschaftskammer.

Der Architektur-Tourismus boomt
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 60 öffentliche Gebäude wurden in Holzbauweise erstellt, acht davon vollständig in einheimischem Weisstannenholz. Der Bedarf an lokalem Bauholz hat sich seither verdoppelt, 60.000 Kubikmeter mehr Holzeinschlag pro Jahr bedeuten Mehreinahmen von 6,6 Millionen Euro bei Forst- und SägewerksbesitzerInnen und Neueinstellungen in 32 Betrieben. Trotz Krise des Bauhandwerks und fortschreitender Mechanisierung stieg die Zahl der Angestellten im Holzgewerbe seit 1997 von 700 auf 900. Ein weiterer Nebeneffekt ist der Ausflugsboom: 40.000 bis 50.000 Architektur-TouristInnen reisten wegen des modernen Holzdesigns nach Vorarlberg. Fenster- und KachelofenbauerInnen zeigen neues Interesse an einer Zusammenarbeit.

2. Beispiel Wallis Schweiz
Finalist CIPRA-Wettbewerb "Zukunft in den Alpen" 2005
Valplantes Bio Alp Tea
Valplantes ist eine bäuerliche Kooperative für Bio-Kräuter-Tees und Heilpflanzen, die 1987 im französischsprachigen Teil des Schweizer Kantons Wallis gegründet wurde. Etwa 150 Familien, die in Sembrancher und den umliegenden Bergkommunen leben, züchten, sammeln, trocknen und verarbeiten biologische Heilkräuter nach den Regeln und Qualitätsansprüchen von "BioSuisse", der Schweizer Organisation für ökologischen Landbau. Damit erwirtschaften die Bauernfamilien nicht nur ein wichtiges Nebeneinkommen, sondern erhalten die von Abwanderung bedrohten Berggemeinden am Leben.
Die Kräutervielfalt reicht von Edelweiss, Salbei und Minze bis zur Pimpernelle, Spitzwegerich und Thymian. Die AnbauerInnen, die vom Forschungszentrum RAC in Conthey Chateauneuf und von der "Ecole d'Ingénieurs" (Hochschule für Ingenieure) des Kantons Wallis beraten werden, haben mit Bio Alp Tea den weltweit ersten biologischen Eistee erfolgreich auf den Markt gebracht.
Salbei und Thymian erhalten Arbeitsplätze
Das Projekt hat einen positiven Effekt auf Umwelt und Wirtschaft, indem es traditionelle Arbeitsplätze in der Landwirtschaft durch biologischen Anbau erhält, die einmalige Wiesen-Flora der Alpen schützt und als Nebeneffekt sanften Tourismus anzieht. In der Kooperative selbst wurden fünf Arbeitsplätze geschaffen. Bei Jahresversammlungen sind Gross- und KleinproduzentInnen gleich stimmberechtigt. Auch die Energiebilanz lässt sich sehen. Da an den Steilhängen kein Maschinenpark eingesetzt werden kann, ist Handarbeit gefragt. Durch das natürliche Trocknen der Kräuter wird ebenfalls Energie und Transportvolumen gespart.
Auch für die regionale Wertschöpfung ist die Valplantes BioTea-Kooperative ein Aktivposten: Mehr als 100 Tonnen Bio-Kräuter werden im Jahr produziert, geerntet und an grössere Schweizer Lebensmittelketten vermarktet. Die Kooperative erwirtschaftet jährlich einen Umsatz bis zu 1,3 Millionen Euro. Vor allem Bäuerinnen mit kleinen Kindern, die nicht ausser Hauses arbeiten können, und ältere Familienmitglieder finden so eine Verdienstmöglichkeit - und bewahren traditionelles Wissen.

3. Beispiel Allgäu Deutschland
www.pfronten.de
HeuVital
Andernorts ist Heu nichts als in der Sonne getrocknetes Gras, per Hand oder Maschinen gemähtes wertvolles Viehfutter. In der Allgäugemeinde Pfronten steht "Heu-Vital" jedoch für ein nachhaltiges Tourismus-Konzept, bei dem man den Rohstoff Bergwiesenheu als Gesundheits- und Wellness-Mittel entdeckt hat.
Das Heu stammt ausschliesslich von geschützten Bergwiesen, die nur ein einziges Mal im Jahr gemäht und weder beweidet noch gedüngt werden. Das Wertvollste daran: pro Quadratmeter wachsen hier bis zu 70 verschiedene Heilkräuter. In Pfronten entstehen aus diesem Rohstoff unter anderem: nicht pieksende Heuwickel (in Leinensäckchen gefülltes Kräuter-Heu, das mit Dampf auf 50 Grad erwärmt wird), Heu-Massagen, Heu-Kissen, Heu-Fleece, Heu-Öle und -Kosmetikprodukte, Heu-Schnaps und -Likör.

Heu für die Gesundheit, den Genuss und als Einkommensquelle
Damit hat sich mit dem lokalen Rohstoff Heu für manche Bergbauern und Bäuerinnen - als Alternative zu den sonst üblichen subventionierten Leistungen - eine attraktive und dabei rein ökologische Einkommensquelle aufgetan. Sie dient der Landschaftserhaltung, und von ihr profitiert eine ganze Wertschöpfungskette rund um den Tourismus, vom Gasthaus über den Ferien-Bauernhof bis zum Vier-Sternehotel. Das Projekt wird von der Gemeinde Pfronten, der Vermarktungsgesellschaft BWT Kurmittel GmbH, dem Hotel- und Gaststättenverband und verschiedenen Pfrontener Initiativen geleitet und hat dem Ort überregionale Bekanntheit verschafft.