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Nachhaltigkeit als Zuckerguss - Im Portrait: Christian Geiger

29.11.2006 / Franz Bamert
Christian Geiger ist seit 23 Jahren Geschäftsführer der Pro Natura in Graubünden. Für die CIPRA schaut er zurück, voraus und auch über den Tellerrand hinaus.
Umwelt, Nachhaltigkeit, Klima - sind das Ausdrücke, bei denen die Bergbahnen immer noch Bahnhof verstehen?
Die Tourismusindustrie und insbesondere die Bergbahnen sind wachstumsorientiert und/oder in einem Überlebenskampf. Für Sensibilität gegenüber der Umwelt ist da wenig Platz. Und wenn ich heute Worte wie "Nachhaltigkeit" oder gar "Integrierte Nachhaltigkeit" höre, läutet bei mir die Alarmglocke.

Warum?
Der in den 90er Jahren hochgejubelte Nachhaltigkeitsbegriff kommt mir wie ein Zuckerguss vor. Ein Zuckerguss, der ökologisch fragwürdige Eingriffe kaschieren und geniessbar machen soll.

Gilt das für alle Tourismusbereiche und Touristiker?
Nein, man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Gerade die Bündner Tourismus-Dachorganisation Graubünden Ferien (GRF) hat hier positive Akzente gesetzt. Mit dem Programm "Klein und Fein", aber auch anderen Aktivitäten, förderte das Team unter GRF-Direktor Olivier Federspiel neben den grossen Destinationen auch kleine Orte, mit ihrer gewachsenen Struktur und der kleinräumigen, traditionellen Wirtschaft.

Sie sprechen in der Vergangenheit…
Ja, weil man just jetzt den GRF-Direktor entlässt und ein Management einführt, das auf die grossen Destinationen ausgerichtet sein wird. Es wird nun eher gross und grösser statt klein und fein weitergehen.

Wo orten Sie die Hauptprobleme in Bezug auf die alpine Umwelt?
Eindeutig im Freizeitverhalten der Menschen und in der Aufrüstung der Destinationen: Immer mehr Gebiete werden mit immer mehr und immer leistungsfähigeren Bahnen und Anlagen erschlossen. Nach oben zu den Gipfeln gibt es offenbar keine Grenzen mehr. Dazu kommt der Zusammenschluss von Schneesportgebieten. Diese Fusionen beeinträchtigen bis anhin unberührte Täler und Berge. Das jüngste Beispiel ist der projektierte Zusammenschluss von Arosa und Lenzerheide über das Urdental oder der Zusammenschluss Diavolezza-Lagalp. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

Aber es gibt doch Umweltschutz- und Raumplanungsgesetze…
… und es gibt Ausnahme- und Sonderbewilligungen. Bauen ausserhalb der Bauzone? Kein Problem, passen wir doch einfach die Bau- und Zonenordnung an. Die Haupttäler in den Berggebieten weisen bereits einen ähnlichen Zersiedelungsgrad auf wie das Mittelland. Und aus "wirtschaftlicher Notwendigkeit" will man jetzt auch noch die Alpweiden mit Resorts verstellen. Natürlich nachhaltig. Sollte auch noch das Verbandsbeschwerderecht fallen, dann gute Nacht.

Die Gegner des Verbandsbeschwerderechts…
… wollen eigentlich nicht den Verbänden an den Kragen. Es geht einzig und allein darum, Umweltnormen aufzuweichen oder ganz abzuschaffen. Und wenn das geschieht, können wir nur noch mit Klamauk auf die Anliegen der Natur aufmerksam machen.

Können denn Verbände wie Pro Natura in Graubünden konkret überhaupt etwas bewirken?
Ja, trotz allem. Anstelle von direkter Konfrontation und dem Gang vor die Gerichte ist im Lauf der letzten zehn Jahre eine Kombination von Konfrontation und Dialog getreten. Das hat zwar nicht verhindert, dass Schneesportgebiete erweitert, Pisten und Speicherseen neu erbaut wurden. Es hat aber die Qualität der Anlagen in Bezug auf Natur und Umwelt verbessert. Eine Umweltbegleitung bei Bergbahnprojekten ist heute Standard und viele Eingriffe können damit im Bauverfahren weiter minimiert werden.

Gibt es Beispiele dafür?
Ja. Am besten lässt es sich am Beispiel der alpinen Ski-WM 2003 in St. Moritz zeigen. Dort hat sich aus anfänglichem Misstrauen eine konstruktive Zusammenarbeit entwickelt. In diesem Projekt wurde auch als Ersatzmassnahme die Langlaufloipe durch die Moorlandschaft Stazerwald aus den wertvollen Mooren verlegt. Moore wurden aufgewertet und die Landschaft zwischen St. Moritzer See und Piz Rosatsch wurde als Landschafts- und Naturschutzgebiet ausgeschieden. Aber auch die WM-Organisatoren profitierten: Dank unserer konstruktiven Einwände und Verbesserungsvorschläge konnten die Eingriffe reduziert und damit Geld gespart werden.

Sehen das die St.Moritzer ebenso positiv?
Ich denke schon. Wir haben ja unsere Erfahrungen auch gemeinsam der FIS vorgestellt. Man ist bereits wegen der Ski-WM Kandidatur für das Jahr 2013 auf uns zugekommen.

Lässt sich also feststellen, dass die Bergbahnbetreiber den Umweltaspekt zunehmend berücksichtigen?
Das ist zutreffend. Einzelne Unternehmungen oder Behörden kommen mit Projektabsichten zu uns und wollen ganz direkt und von allem Anfang an mit uns zusammenarbeiten. Dazu gehören seit einiger Zeit übrigens auch die "Weisse Arena" oder die Bergbahnen im Samnaun.

Viele Schweizer Bergbahnen hängen finanziell schwer angeschlagen in den Seilen und rufen nach öffentlichen Geldern um Aufzurüsten.
Das geschieht oft unter dem Vorwand, dass die Bahnen der Wirtschaftsmotor eines Tales oder einer Region seien. Doch das ist kurzsichtig gedacht. Nicht rentable Bahnen muss man aufgeben. Auf keinen Fall sollten sie von der Öffentlichen Hand, von der Standortgemeinde, alimentiert werden. Das sehen auch Touristikfachleute der Universitäten so. Im globalen Umfeld und bei Flugpreisen von 50 Euro nach Mallorca sind defizitäre Bergbahnen ein Fass ohne Boden. Wenn sie dann finanziell endgültig zusammenkrachen, reissen sie die Geldgeber auch noch mit sich.

Welche Rolle spielt die Politik im Tourismus?
Leider ist Umwelt - ganz im Gegensatz zu den 70er und 80er Jahren - kaum mehr ein Thema. Das tut ein bisschen weh. In Graubünden kommt dazu, dass wir nicht einmal mehr eine Grüne Partei haben.

Sie sind jetzt seit 23 Jahren Geschäftsführer der Pro Natura. Wie sehen die Alpen in weiteren 23 Jahren aus?
Wenn ich in die Vergangenheit schaue, bin ich für die Zukunft nicht sehr optimistisch. Und zwar aus folgendem Grund: Der Alpenbogen wurde seit eh und je und oft wider besseres Wissen ausgebeutet. Stichworte dazu sind die Abholzung, der Bergbau und die Überweidung. Die Folgen sind bekannt: Erosion, Murgänge, Lawinen. Heute geschieht dasselbe auf andere Art. Wir passen mit Maschinen und unter hohem Energieeinsatz in kürzester Zeit die Landschaft und Natur unseren momentanen "Bedürfnissen" an. Die grossen Destinationen werden gefördert, den Randregionen und den traditionellen Kulturlandschaften droht die Verwilderung.

Was bleibt zu tun?
Verzicht und Pflege. Das tönt nicht populär, ich weiss. Aber wenn wir die Alpen als Lebensraum für kommende Generationen - für Menschen, Pflanzen und Tiere - erhalten wollen, kann das Motto nicht heissen: Noch höher, noch grösser, noch schöner, noch trendiger, noch nocher. Wir müssen wieder lernen auf die Natur zu hören. Zu den Alpen gehören auch die leisen Töne.