CIPRA Vertretungen:

Benutzerspezifische Werkzeuge

  Suchfilter  

News

Das Klima ändert sich - nur wie sehr?

01.03.2005 / Martin Grosjean
Die Erde wird wärmer, im Rekordtempo. Die Ursachen sind weitgehend bekannt: die Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre. Die Klimaszenarien gehen jedoch in ihren Aussagen - je nach dem weiteren Verlauf der Emission von Treibhausgasen - stark auseinander. Die Wissenschaftler sind sich einig: der zukünftige Verlauf der Klimaerwärmung liegt in der Hand der Industrienationen. Wir müssen jetzt handeln, wenn wir gravierende Folgen in der Zukunft vermeiden wollen, denn die globale Erwärmung hat einen sehr langen Bremsweg. Welches Risiko können wir eingehen?
Anthropogene Treibhausgase (CO2, Methan, Lachgas, Ozon) in der Atmosphäre haben eine relativ lange Lebensdauer von Jahren bis Jahrzehnten. Was heute ausgestossen wird erwärmt deshalb die Erde auch während den nächsten Dekaden. Es wird noch wärmer werden, das ist sicher. Daraus folgt die dringende Forderung an die Industriestaaten, die Emissionen von Treibhausgasen massiv zu reduzieren und erneuerbare Energien zu fördern. Doch wie warm ist es derzeit wirklich und wie warm wird es werden?

Seit 1000 Jahren war es nicht so warm
Die 1990er Jahre waren das wärmste Jahrzehnt seit 1000 Jahren. 1998 was das wärmste und 2002 das zweitwärmste Jahr der letzten 150 Jahre, wahrscheinlich sogar der letzten 1000 Jahre. Der Juni 2003 war in der Schweiz mehr als 6°C wärmer als im langjährigen Mittel und somit der wärmste Juni seit es systematische Messungen gibt (1864) und möglicherweise seit mehr als 500 Jahren. Auch die Geschwindigkeit der Erwärmung nimmt stark zu. In den letzten 30 Jahren war die Erwärmung 5 Mal so rasch (0.2-0.4°C/10 Jahre) wie im ganzen Jahrhundert vorher (0.6°C/100 Jahre). Ist das Zufall? Ist das natürlich? Ist das "normal"? Mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht. Die Erwärmung, die wir seit 1950 messen, ist grösstenteils durch menschliche Aktivitäten im 20. Jahrhundert verursacht. Wir verändern das Klima.

Mehr Wasser unterwegs
Globale Klimaänderungen verursachen Verschiebungen der grossräumigen Windzirkulation, was wiederum zu Änderungen des Temperatur- und Niederschlagsregimes eines bestimmten Ortes führt. So gibt es Orte auf der Welt, die im Zuge der globalen Erwärmung in den Bereich anderer Luftmassen kommen und so eine regionale Abkühlung oder - wie die Alpen - eine besonders starke Erwärmung erfahren können. Niederschlagsverteilung und -menge ändern sich und, je mehr Energie in Form von Wärme, Wasserdampf und Wind in der Atmosphäre ist, desto stärker steigt die Wahrscheinlichkeit, dass extreme Wetterphänomene wie Starkniederschläge, Stürme, Hitzewellen und die mit ihnen verbundenen Schäden durch Überschwemmungen, Bergrutsche, Windwurf, Hitze- und Trockenstress oder Erosion auftreten. Insgesamt nehmen durch den Treibhauseffekt der Energie- und Wassergehalt der Atmosphäre zu, das Wetter wird "unruhiger".
Im Hinblick auf die Biodiversität gibt es im günstigsten Fall räumliche oder zeitliche Verschiebungen, wenn zum Beispiel Arten nach Norden oder in höhere Lagen vordringen, oder sich der jahreszeitliche Ablauf wie beim Vogelzug, beim Brutzeitpunkt oder dem Austreiben der Blätter und dem Blühen verändert, weil es wärmer wird. Die bisher umfassendste Studie zeigt, dass sich die 1700 untersuchten Tier- und Pflanzenarten Arten systematisch durchschnittlich 6.1 km pro Dekade nach Norden ausbreiten und ihren "Kalender" im Frühling um 2.3 Tage pro Dekade vorverschieben. Im schlimmsten Falle stehen wir vor einem lokalen bis regionalen Aussterben von Arten oder der Unterbrechung von Nahrungsketten und nachhaltigen Störung von Ökosystemen. Wo Wanderungskorridore nicht vorhanden sind, werden sich Lebensräume so schnell verändern, dass die Evolution mit ihren Selektions- und Anpassungsprozessen auf molekularer Ebene nicht Schritt halten kann. Eingewanderte Arten verdrängen unter Umständen die einheimischen.

Es wird teuer
Weltweit nehmen die Schäden durch Unwetterereignisse stark zu. 2004 war das bisher teuerste Naturkatastrophenjahr: es kostete die Versicherungswirtschaft 40 Milliarden Dollar, wovon 35 auf das Konto von Hurrikanen und Taifunen gingen. Die volkswirtschaftlichen Schäden beliefen sich auf 130 Milliarden Dollar. Die Versicherungen rechnen mit einer Verdoppelung der Schadenssummen in den nächsten 10 Jahren (UNEP Financial Initiative 2002).
Ist dies eine Folge des Klimawandels? Ja und nein. Die Unwetterereignisse sind weltweit in den letzten 15 Jahren gehäuft aufgetreten, der statistische Nachweis ist jedoch auf Grund der Seltenheit der Ereignisse und der Kürze der Messreihen schwierig zu erbringen. Auf der andern Seite ist der Wert der Infrastruktur wie Wohnhäusern, Industrie und Verkehrsanlagen in den gefährdeten Gebieten stark gestiegen.
Auch der Tourismus wird unter den Auswirkungen leiden, Skigebiete ohne Schnee sind nur ein Beispiel.

Szenarien - eine unsichere Sache
Es gibt mittlerweile viele Szenarien der zukünftigen Klimaentwicklung und allen ist eines gemeinsam: ihre Unsicherheit. Das Klima ist ein komplexes System und kann vom Menschen beeinflusst werden. Ursachen, Auswirkungen und Veränderungen sind dadurch sehr schwer zu fassen und vorherzusehen.
Klimamodelle haben aber in letzter Zeit enorme Fortschritte erzielt: sie sind in der Lage, den vergangenen Klimaverlauf im Wesentlichen nachzuzeichnen und liefern, wenn sie mit gleichen Emissionsdaten und Treibhausgaskonzentrationen "gefüttert", werden konsistente Resultate. Die Unsicherheit durch unterschiedliche Klimamodelle beträgt typischerweise ± 0.5 - 1°C bis ins Jahr 2100. Die grösste Unsicherheit (ca. ± 2.5°C!) besteht jedoch darin, dass wir nicht wissen welche Menge an Treibhausgasen wir in der nächsten Zeit in die Luft blasen werden. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat verschiedene Szenarien erstellt, wie sich die weltweiten CO2-Emissionen in den nächsten Jahren entwickeln könnten. In die Berechnungen eingeflossen sind unter anderem die folgenden Faktoren: weltwirtschaftliche Entwicklung, Bevölkerungsentwicklung, Grad der Globalisierung, Energieverbrauch, Art der Energiegewinnung - fossil oder erneuerbar - und technologischer Fortschritt. Die auf diese Weise projizierten zukünftigen CO2-Emissionen unterscheiden sich in ihrem Ausmass teilweise erheblich. Das IPCC stuft ausdrücklich keines der Szenarien als "wahrscheinlicher" ein als die anderen. Welches der Szenarien tatsächlich eintreffen wird ist auf lange Frist sehr unsicher und hängt stark von weltweiten politischen und sozialen sowie technologischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen ab. Handels- und Wirtschaftspolitik, Sicherheitspolitik, Krisen und Kriege, Protektionismus, global freie Marktwirtschaft und vieles mehr spielen hier eine Rolle. Je nach Szenario rechnen die Modelle deshalb mit einer globalen Erwärmung um im günstigsten Fall 1.4°C, im schlechtesten Fall sogar um 5.8°C bis 2100. Falls die wirtschaftliche Entwicklung global jedoch so weitergeht wie jetzt, wird die Erde in 100 Jahren ca. 4.5°C ± 1°C wärmer sein als heute (IPCC Szenario A1Fl, Fig. 8). Festzuhalten bleibt, dass es letztlich in unserer Hand liegt, gravierende und kostspielige Folgen zu verhindern, indem wir unser Verhalten ändern. Und dies ist letztlich eine ökonomische Frage: können wir uns die Schäden leisten?

Weniger Treibhausgase!
Grundsätzlich gibt es zwei kombinierbare Strategien: Anpassung (adaptation) an die Klimaänderungen sowie die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, damit der Klimawandel und die Folgen nur langsam oder schwächer eintreten (mitigation). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Klima natürlicherweise hochgradig variabel ist, Änderungen nicht-linear und rasch erfolgen und Massnahmen zum Klimaschutz und deren Wirkung räumlich und zeitlich weit auseinander liegen können. Wir haben es mit einem neuartigen, globalen und langfristigen Problem zu tun, das ebenso neuartige Lösungen erfordert. Zuerst muss dafür gesorgt werden, dass weniger Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen und dass das Kyoto-Protokoll umgesetzt wird. Das Protokoll wurde schon 1997 verabschiedet, es konnte jedoch erst in Kraft treten, nachdem 55 Staaten, die zusammen mehr als 55 Prozent der Kohlenstoffdioxid-Emissionen (bezogen auf 1990) der Industrieländer verursachen, es ratifiziert hatten. Diese Bedingung ist mit der Ratifizierung durch Russland im Oktober 2004 erfüllt worden, am 16. Februar 2005 trat das internationale Abkommen in Kraft. Die Industrieländer verpflichten sich, zusammen im Zeitraum von 2008 bis 2012 ihre Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 5.2 Prozent zu senken. In einem nächsten Schritt müssen für einen effektiven Schutz des Klimas auch die Länder ins Boot geholt werden, die das Kyoto-Protokoll bislang nicht ratifiziert haben sowie die Entwicklungsländer. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den USA, China und Indien zu.
Dass das Kyoto-Protokoll nun in Kraft tritt ist ein Schritt in die richtige Richtung, viele weitere werden jedoch folgen müssen. Die vielleicht schwierigste Aufgabe für Wissenschaftler, NGOs und Regierungen wird sein, die Menschen dazu zu bringen, sich für das globale Klima verantwortlich zu fühlen. Jede und jeder einzelne hat es in der Hand, durch verantwortungsbewusstes Mobilitäts-, Freizeit-, Konsum- und Wohnverhalten einen wichtigen Beitrag zu leisten.

Prof. Dr. Martin Grosjean
NFS Klima
Universität Bern
www.nccr-climate.unibe.ch/

Mehr zu schmelzenden Gletschern in den Alpen:
Die Ausstellung "Gletscher im Treibhaus", die bis Mitte Februar im Alpinen Museum in München zu Gast war, wird ab dem 12.09.2005 in einer kleinen Version im Liechtensteinischen Landesmuseum in Vaduz zu sehen sein. Organisatorin ist CIPRA-Liechtenstein.

Informationen: www.gletscherarchiv.de und http:// www.lgu.li