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Aus-/Neubauplänen der Gletscherskilifte im Pitztal

CIPRA Deutschland unterstützt die Stellungnahme von ´Werner Bätzing, Professor für Kulturgeographie/Universität Erlangen und "Botschafter der Friedensglocke des Alpenraumes"

Weil mir die ARGE ALP, das Land Tirol und die Gemeinde Telfs im Jahr 1998 die Auszeichnung als "Botschafter der Friedensglocke des Alpenraums" verliehen haben, möchte ich zu den aktuellen Diskussionen um das Pitztal Stellung nehmen, um damit einen Beitrag für eine produktive Konfliktlösung zu leisten. Die aktuellen Probleme lassen sich m.E. nicht lösen, indem man sich allein auf Sicherheitsaspekte, auf naturschutzrechtliche Positionen oder auf diese oder jene Umfrageergebnisse bezieht - dies provoziert nur Stellvertreterdiskussionen mit vorgeschobenen Argumenten (eine Zeitung schrieb zu Recht von "heuchlerischen" Diskussionen). Sondern es braucht dazu im Tal eine grundsätzliche Diskussion zum Thema: "Welche Zukunft für das Pitztal wollen die Pitztaler ?"

Bei dieser Diskussion müsste es in erster Linie um die Frage gehen, welchen Tourismus das Tal braucht (nicht: Tourismus ja oder nein), und wie im Tal die Lebensqualität (zu der neben anderem auch die Umweltqualität gehört) erhalten und gefördert werden kann. Die Behauptung, dass nur ein erneuter Ausbau der Lifte/Bergbahnen im Gletscherbereich das wirtschaftliche Überleben des Pitztales ermögliche, müsste sich mit folgenden Gegenargumenten konkret auseinandersetzen:

  1. Schon einmal wurde behauptet, dass die Zukunft des Tales nur mit einer großen technischen Erschließung gesichert werden könne. Der Bau der Gletscherbahn 1983 hat aber offensichtlich keineswegs alle erwarteten Erfolge gebracht. Bevor man mit neuen Großprojekten beginnt, müssten erst einmal sorgfältig die positiven und negativen Auswirkungen von 1983 bilanziert werden.
  2. Ein Ausbau des Gletscherangebotes ist im Pitztal sehr schwierig, weil das Pitztal die Zielgruppe, die das Ötztal anspricht, nicht ansprechen kann (Prof. Maier, Universität Bayreuth: gesättigte Zielgruppe, viel schlechtere Erreichbarkeit, schlechtere geomorphologische Situation).
  3. Die geplanten Ausbauten würden zu einer noch stärkeren Konzentration des Tourismus in Mandarfen führen, wo es heute bereits Platzprobleme gibt - zum Nachteil des übrigen Tales.
  4. Die Erhöhung des Bettenangebotes um 25% in den nächsten zehn Jahren ist nach allen Expertenprognosen (diese gehen von Stagnation oder bestenfalls ganz leichten Wachstumsraten im Alpentourismus aus) völlig unrealistisch und würde lediglich einen ruinösen Wettbewerb im Tal beschleunigen.
  5. Der Ausbau der Bergbahnkapazitäten müsste aus betriebswirtschaftlichen Gründen in erster Linie verstärkt die Tagesgäste ansprechen - dies geht zu Lasten der Urlaubsgäste im Pitztal.
  6. Der Grad der Verschuldung bei den Gletscherbahnen, der Hotellerie und den Gemeinden würde sprunghaft steigen - und damit die direkte Bevormundung des Tales durch auswärtige Banken und Kreditgeber. Stattdessen wäre zu überlegen, welche Alternativen es im Tourismus gibt:

  1. Das Pitztal verfügt über eine äußerst attraktive und faszinierende Natur- und Kulturlandschaft, die in den Ostalpen seinesgleichen sucht. Diese wird z.Zt. vom Gletscherrummel stark entwertet und gar nicht als Potential wahrgenommen.
  2. Ein touristisches Angebot für Familien, das das aktive "Erleben" von Natur- und Kulturlandschaften im Pitztal ins Zentrum stellt, erfordert zwar sehr viel Kreativität und Einfallsreichtum (hier besteht ein sehr großer Nachholbedarf im Tal), aber dafür sehr viel weniger Kapital und keine neue Großinfrastrukturen - auf diese Weise könnten viele Familien viel leichter vom Tourismus profitieren und würde eine weitere Verschuldung verhindert.
  3. Für ein solches Tourismusangebot (nach Prof. Maier bestehen die heutigen Stammgäste des Pitztales zum großen Teil aus "Familien und familienorientierten Gästen") gibt es heute eine erhebliche Nachfrage. Aber ein solches Angebot muss sehr professionell ("zielgruppenspezifisch") vermarktet werden, und das ganze Tal muss dabei wirklich gemeinsam an einem Strang ziehen.
  4. Würde man das Gletscherskigebiet im Rahmen einer solchen Tourismusstrategie redimensionieren statt auszuweiten, würde dies einen europa- und alpenweiten Werbeeffekt auslösen, der vom Pitztal auf keine andere Weise jemals erreicht werden könnte.

Fazit: Ohne eine solche Grundsatzdiskussion, die sorgfältig alle Einzelpunkte analysiert und bewertet, besteht die Gefahr, dass ein vorschneller, "blinder" Ausbau des Gletscherskigebietes die Stammgäste vertreibt, kaum neue Zielgruppen (außer Tagesgästen) anspricht, die Verschuldung im Tal vergrößert und so eine positive Entwicklung blockiert.

Über diese Grundsatzfragen muss man miteinander sprechen. Fatal wird es, wenn Personen mit anderen Meinungen zu "Feinden" abgestempelt und ausgegrenzt werden. Dann entsteht im Tal leicht eine Atmosphäre der Bevormundung und der Unterdrückung, die die Lebensqualität auch der davon nicht Betroffenen beeinträchtigt. Und dann würden positive Lösungen sehr schwer.

Werner Bätzing Institut für Geographie FAU Kochstr. 4/4 D - 91054 Erlangen.

Im Text wurde aus folgender Publikation zitiert: Jörg Maier: Nachhaltigkeit als Planungsziel - Bewertung des Wintersports im Pitztal in Tirol. Bayreuth, März 2001, 97 S.

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