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Wem Davos gehört

26.08.2021 / Julia Niemann
Einmal im Jahr rücken im Schweizer Nobelskiort Davos alle Gegensätze dieser Welt so nah zusammen wie nirgends sonst. Von jenen, die unsere Welt gestalten ist es dort nur ein Steinwurf zu den Betroffenen, beobachtet die Filmemacherin Julia Niemann.
Bild Legende:
Globale Elite neben Bergbauern und Flüchtlingen: Der Film DAVOS zeigt die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen. © www.davosfilm.com

Die Reichen und die Machtlosen kommen sich während des alljährlichen Weltwirtschaftsforums in Davos sehr nah – und doch sprechen sie kein Wort miteinander. Davoser Bauern müssen ihre Höfe und damit einen jahrhundertelang gelebten, sparsamen Umgang mit den Ressourcen von Land und Forst aufgeben, weil sich ihre Arbeit nicht mehr lohnt. Flüchtlinge aus aller Welt treffen im Davoser Transitzentrum aufeinander, weil sie in ihrer Heimat keine Lebensgrundlage mehr haben. All das gehört zum Panorama des Ortes, an dem die Köpfe der Weltwirtschaft die globale Ressourcenverteilung massgeblich bestimmen. 

Der Begriff Ressource geht auf das lateinische «resurgere» zurück, was soviel bedeutet wie «wieder aufstehen» oder «wiedererstehen». Ressourcen sind unserem Sprachgebrauch nach also etwas, das sich ständig selbst erneuert. Darin versteckt sich bereits eine Haltung, die als selbstverständlich nimmt, was uns von Mensch und Natur gegeben wird. Allen ökonomischen Überlegungen geht ein «Es gibt» voraus. Es gibt die Welt und das Geld, es gibt die Natur und ihre Gesetze, es gibt den Menschen und seine Fähigkeiten. Von Wirtschaft spricht man dann, wenn das, was es gibt, verwertet und umverteilt wird. Aber was, wenn das Gegebene irgendwann nicht mehr einfach da ist? 

Kann Wirtschaft mehr sein als die blosse Ausbeutung naturgegebener oder humaner Ressourcen? Es gilt, den Begriff Ökonomie anders zu denken, hinaus über die ihm axiomatisch vorangestellten Prinzipien der Nutzenmaximierung, der Knappheit, der Bedarfsdeckung, der Wirtschaftlichkeit. Aber ist das Weltwirtschaftsforum in Davos der richtige Ort dafür? Dessen Teilnehmer haben die Signale durchaus gehört. Sie sind bereit für Veränderung – solange sie diejenigen bleiben, die verändern dürfen. 

Die Notwendigkeit, für den Umgang mit den Ressourcen der Weltökonomie neue, tragfähigere Perspektiven zu finden, drängt sich uns allen immer mehr ins Bewusstsein. Auch die Corona-Pandemie ist eine Folge unseres Umgangs mit Ressourcen: Weil wir Menschen uns immer mehr ausbreiten, der Erdboden aber begrenzt ist, nehmen wir Tieren ihre natürlichen Lebensräume weg. Wir treiben sie in die Enge und vernichten damit auch natürliche Barrieren, die uns eigentlich vor ihren Erregern schützen würden. 

Der Schneefall während des Weltwirtschaftsforums 2018 war so stark, dass der Konferenzort fürchten musste, von Lawinen begraben zu werden. Der Verkehr stockte. Der Lärm der Schneeräumung fiel selbst den wichtigsten Leuten ins Gespräch. Die Mächtigen schlitterten die Davoser Promenade entlang und nicht selten brachte der eisige Boden jene zu Fall, die auf der Karriereleiter immer nur nach oben gestiegen waren. Der Mensch kann sich die Umstände schon ziemlich gut zurechtbiegen, aber am Ende hat die Natur das letzte Wort.

Unbequeme Erzählerin

Julia Niemann, Jahrgang 1987, lebt und arbeitet in Wien als Autorin, Regisseurin und Produzentin des Filmkollektivs «European Film Conspiracy». Für die Produktion des preisgekrönten Dokumentarfilms DAVOS (Österreich, 2020) verbrachte sie über ein Jahr in der höchstgelegenen Stadt Europas, dem alljährlichen Schauplatz des Weltwirtschaftsforums. Als freie Journalistin veröffentlichte sie Texte über Politik und Kultur, unter anderem in der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung.

> www.davosfilm.com