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Unersetzbare Kronjuwelen der alpinen Natur alpenweit unter Druck

11.02.2015
Als ein besonders negatives Charakteristikum des abgelaufenen Jahres 2014 wird der Angriff einer nimmersatten Seilbahnindustrie auf die Schutzgebiete in Erinnerung bleiben.
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Peter Haßlacher ist Vorsitzender von CIPRA Österreich. ©Archiv UWD

Was sich 2014 rund um die Errichtung von Seilbahn- und Schipistenanlagen beispielweise in Österreich im Ruhegebiet „Kalkkögel“ (Tirol), in den Naturschutzgebieten „Kleinfragant“ und „Wurten-West“ (beide Kärnten) und „Warscheneck-Nord“ (Oberösterreich) abgespielt hat, besitzt eine neue Qualität der Auseinandersetzung um Schutzgebiete in noch nie da gewesener Intensität und Dichte.

Die großen Medienblätter (Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung und kritische Sender) beobachten im alpinen Tourismus haarscharf und stellen einerseits eine gewisse Tourismusmüdigkeit fest und berichten andererseits über die weitere völlig paradoxe Aufrüstung der Seilbahn- und Pistenindustrie. Wie in der Vergangenheit, so setzen die Touristiker auch heute noch immer auf die räumliche Ausweitung des bereits bestehenden gigantischen Infrastrukturnetzes.

Jetzt sollen bisher für unantastbar gegoltene Schutzgebiete dran glauben müssen. In Tirol tobt im Vorfeld der Wirtschaftskammerwahlen Ende Februar 2015 ein wilder Kampf um die Errichtung einer Seilbahninfrastruktur in und über das Ruhegebiet „Kalkkögel“.

Ruhegebiete sind wie zum Beispiel die Kronjuwelen des schweizerischen Bundesinventars der Landschaften von nationaler Bedeutung (BLN) und des Bayerischen Alpenplans (Rote Zone C) jeweils besondere Schutztypen mit ganz bestimmten regionalen Spezifika. Vornehmlich ihnen gebührt auch der dauerhafte Schutz als identitätswahrende Anker für unsere Heimat!

Literatursammlung_Alpine Ruhegebiete/-zonen

Darauf können wir heute zurückgreifen und aufbauen:

In den 1960-iger und 1970-iger Jahren entstanden in einigen mitteleuropäischen Alpenregionen schon sehr bald nach den ersten großen Erschließungen und dem Bekanntwerden weiterer Großprojekte jeweils unabhängig voneinander und dem Landesrecht entsprechend neue, sehr visionäre in die Zukunft reichende und den alpinen Raum schützende Planungsinstrumente:

Bundesinventar der Landschaften von nationaler Bedeutung der Schweiz (BLN)

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Die einmalige Landschaft rund um den Ofenpass in Graubünden, wurde als Gebiet von nationaler Bedeutung ausgewiesen. ©J. Essl

Das BLN-Inventar wurde 1963 erstmals von einer Kommission des Schweizer Heimatschutzes, des damaligen Bund für Naturschutz und des Schweizer Alpenclubs veröffentlicht. Der Bund ersetzte diese zunächst inoffizielle Richtlinie in vier Etappen im Zeitraum 1977 bis 1996. Dieses BLN-Inventar ist das älteste Schweizerische Inventar des Bundes im Bereich des Natur- und Heimatschutzes. Es enthält die Kollektion von 162 Kronjuwelen von Landschaften und Naturdenkmälern par excellence. Neuerdings wurde das BLN-Inventar durch Bundesinventare ergänzt, welche sich einzelnen Biotoptypen widmen.

Leider sind auch diese Landschaften einem schleichenden Verlust durch insbesondere kleine Eingriffe ausgesetzt.

Weitere Informationen:

www.pronatura.ch/bln-gebiete

www.bafu.admin.ch/bln/index.html?lang=de

Bayerischer Alpenplan

Im an Österreich angrenzenden Bayern wurde im Jahre 1972 die Rechtsverordnung „Erholungslandschaft Alpen“ flächendeckend für den gesamten bayerischen Alpenraum auf der Basis eines nach der Schutz- und Nutzungsintensität abgestuften Plans erlassen. Dieser Plan wird bis heute im jeweils geltenden Landesentwicklungsprogramm Bayern fortgeschrieben.

Die Rote Zone C oder die Ruhezone reicht als räumlich höchstgelegener Abschnitt bis an die deutsch-österreichische Grenze. Dieser ist als streng geschützte Zone konzipiert. Darin sind alle Verkehrsvorhaben außer notwendigen landeskulturellen Maßnahmen für die traditionelle Land- und Forstwirtschaft unzulässig. Damit sind auf dieser Gebirgsfläche nur nicht-intensive, angepasste und naturnahe Freizeitaktivitäten wie das Wandern, Bergsteigen und Schitourengehen gestattet.

Diese Rote Zone C ist dem Ruhegebiet Tiroler Prägung sehr ähnlich. Die Zonierung des Alpenraumes nach abgestuften Nutzungsintensitäten fand (leider) keine Nachahmer. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens des „Bayerischen Alpenplans“ fanden seine Einrichtung und Bestand sehr löbliche Anerkennung. Trotzdem werden gerade jetzt punktuelle Anstrengungen zu seiner Aushebelung unternommen.

Weitere Informationen:

www.stmuv.bayern.de (Bayerisches Staatsministerium)

www.landesentwicklung-bayern.de/instrumente/landesentwicklungsprogramm/landesentwicklungs-programm-bayern-lep/

Karte: Bayerischer Alpenplan

Ruhegebiete in Tirol

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Ruhegebiete (im Bild das Ruhegebiet Stubaier Alpen) sind wichtige Instrumente für eine funktionierende Alpine Raumordnung. ©J. Essl

Das „Ruhegebiet“ nach Tiroler Prägung ist für das intensiv erschlossene Bundesland ein ganz wichtiger und unersetzbarer Baustein der Alpinen Raumordnung. In diesem ist die Errichtung von Seilbahnanlagen und Schipisten, Straßen für den öffentlichen Verkehr. Lärmerregenden Betrieben und Hubschrauberflügen zu touristischen Zwecken ausnahmslos verboten. Ruhegebiete bleiben als nicht-technisierte Räume der ruhigen Erholung vorbehalten.

Sie gehen auf einen Landschaftsplan des Tiroler Forstdienstes aus dem Jahre 1972 zurück. Unter Ausklammerung des unmittelbaren Wirtschafts- und Siedlungsraumes, der dem Flächenwidmungsplan vorbehalten sein sollte, wurden für das gesamte Landesgebiet großflächige Ruhe- und Wanderzonen (insbesondere Waldgebiete, alpines Urland, Gletscherflächen), Landschaftsschutzgebiete (insbesondere bäuerlich geprägte Kulturlandschaften), Naturschutzgebiete und Naherholungszonen planlich ausgewiesen. Allerdings wurden diese Planungen des Forstdienstes alsbald „schubladisiert“. Lediglich die Schutzgebietskazegorien Ruhe-, Landschaftsschutz- und Naherholungsgebiete wurden in das Tiroler Naturschutzgesetz 1974 aufgenommen.

Inzwischen sind in Tirol acht Ruhegebiete auf einer Fläche von 1.328 km² verordnet (entstanden mit Schwerpunkt im Zeitraum 1981 bis 1991). Sie trennen haarscharf schitouristische Intensivnutzungsgebiete von ruhigen Erholungsoasen.

Nicht erst in den letzten Monaten, - aber jetzt, wo Klimawandel, schwächelnde Nachfrage, surreale Raumansprüche, abnehmende Akzeptanz den ständigen Ausbau in Frage stellen -, werden in Tirol die Grenzen und Inhalte von Ruhegebieten mehr denn je regelrecht bekämpft. Die seilbahntechnischen Projektutopien im Ruhegebiet „Kalkkögel“ unter dem Titel „Brückenschlag“ sind hinlänglich bekannt. Oberdrein novellierte der Tiroler Landtag am 11. Dezember 2014 anlassbezogen das Naturschutzgesetz, so dass künftig in Ruhegebieten Maßnahmen der Energiewende für Kraftwerksbauten „leichter“ durchzuführen sind.

Weitere Informationen:

www.tiroler-schutzgebiete.at/schutzgebiete/ruhegebiete.html

www.initiative-pro-kalkkoegel.at

www.kalkkoegel-retten.at

Karte – Tiroler Schutzgebiete

Resümee

Mehr denn je kommen ausgewählte Kronjuwelen der alpinen Landschaft unter Druck. Der Hausverstand würde es verlangen, dass diese umgekehrt gestärkt und abgesichert werden. Andernfalls gehen wir in Richtung der Annahme des neuen Berichts an den Club of Rome „Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre – 2052“, dass der Verlust des Besonderen droht. Sehr früh haben die Väter und die Mütter des „Übereinkommens zum Schutz der Alpen“ (Alpenkonvention ) die latente Gefahr der schleichenden Verarmung der Landschaft erkannt. Verschiedene Protokollinhalte stärken deshalb die Schutzgebiete. Die Vertragsparteien der Alpenstaaten verpflichten sich selbst im Tourismus-Protokoll/Artikel 10, „Ruhezonen gemäß den Vorschriften und nach ökologischen Gesichtspunkten auszuweisen, in denen auf touristische Erschließungen verzichtet wird“. Jedoch gerade Touristiker stellen in vielen Bereichen die Grenzen bestehender Schutz-/Ruhegebiete in Frage und blockieren Neuerrichtungen.

Der Anschein, dass die Existenz von Schutzgebieten ausschließlich im Interesse von Eliten stünde, muss aufgelöst werden. Zur langfristigen Absicherung und wahrnehmbaren In-Wert-Setzung sind neue und zusätzliche Kommunikations- und Bildungsstrategien notwendig. Parallel dazu wird auf dem (partei-)politischen Parkett eine standfeste Kultur des „Nein-Sagens“ bei infrastrukturellen Begehrlichkeiten aller Art Einzug halten müssen.

Peter Haßlacher, Vorsitzender von CIPRA Österreich

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