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Elementar und gefährdet

26.08.2021 / Veronika Hribernik, CIPRA International
Sauberes Wasser, reine Luft, gesunde Wälder: Wie es um die Lebensräume von Natur und Mensch steht, zeigt sich oft schon im Kleinen.
Bild Legende:
Es dauert bis zu fünf Jahre, bis der prächtige Alpenbockkäfer (Rosalia alpina) schlüpft. © Peter Krimbacher wiki commons

Wasser: Von Krebsen und Partikeln

Sie sind fingernagelgrosse Indikatoren für Wasserqualität: Bachflohkrebse. Zu Tausenden tummeln sie sich in klaren, kühlen Bergbächen auf nur einem Quadratmeter, bauen organisches Material wie Laub ab und dienen vielen Fischen als Nahrungsquelle. Bachflohkrebse reagieren empfindlich auf Gewässerverschmutzungen, ihre An- oder Abwesenheit lässt daher Rückschlüsse auf die Sauberkeit des Wassers zu. Das verschafft den kleinen Bachbewohnern angesichts der Pestizid- und Düngerproblematik erhöhte Aufmerksamkeit. Vor allem kleinere Bäche in Landwirtschaftsgebieten sind oft besonders stark von Schadstoffeinträgen betroffen. Dies schadet Bachflohkrebsen, Fischen und anderen Arten.

Durch Reibung, UV-Strahlen oder Bakterien entsteht Mikroplastik – mikroskopisch kleine Partikel zwischen 0,0001 und 5 mm, unsichtbar für das freie Auge. Sie sind ein bekanntes Problem in den Gewässern dieser Welt, doch über die Luft gelangen sie bis hinauf zu den Gletschern, wie erste Forschungen zeigen. Begeisterte Outdoortourist:innen verteilen sie auch selbst am Berg – in Form von Mikrofasern aus ihren Sportjacken oder durch den Abrieb ihrer Wanderschuhe am Fels. Auf Gletschern im italienischen Val di Sole entdeckten Wissenschaftler:innen der Universität von Mailand grosse Mengen davon. Projekte wie «Stop the ALPs becoming Plastic Mountains» vom European Research Institute in Turin/I oder die Aktion «Refill your bottle» auf dem Ploseberg in Brixen/I versuchen die hochgelegene alpine Umwelt zu schützen – eine der letzten in Europa, die noch nicht vollständig von Plastikpartikeln durchsetzt ist.

Luft: Von vielfältigen Symbiosen

Leuchtend orange und ledrig, giftgrün und trompetenartig oder silbergrau und buschig: Flechten gibt es in vielen Farben und Formen. Sie sind eine Symbiose zwischen Alge und Pilz, die mit ihrem Fehlen oder Vorkommen Hinweise auf den Grad der Luftverschmutzung gibt. Weltweit besiedeln rund 25‘000 Flechtenarten die rauesten Standorte, nacktes Felsgestein zum Beispiel. Heute sind viele der einst häufigen Rindenflechten aufgrund der Luftverschmutzung insbesondere durch Schwefeldioxid selten geworden, oder sogar ganz verschwunden. Mehr als die Hälfte der in Deutschland heimischen Flechten werden laut Roter Liste als gefährdet eingestuft, in der Schweiz wird derzeit ebenfalls untersucht, wie gefährdet baum- und erdbewohnende Flechten sind.

In den Alpen wurden in einer länderübergreifenden Studie 3‘163 Flechtenarten nachgewiesen. Daraus entstand LICHALP, eine umfassende Online-Datenbank der bisher bekannten alpinen Flechtenarten mit deren geographischer Verbreitung sowie zahlreichen Bildern. Diese Informationen können dabei helfen, die Auswirkungen des Klimawandels und den Grad der Umweltverschmutzung in den Höhenlagen besser zu beforschen.

Wald: Vom Leben im toten Holz

Ein leuchtend hellblauer Körper, Flügel mit schwarz-weiss umrandeten Flecken, wenige Zentimeter gross: Der Alpenbockkäfer ist selten schön – und ganz schön selten. Gerade erst aus dem alten Buchenholz am Waldboden geschlüpft, krabbelt er über abgebrochene Äste, morsche Stämme, umgefallene Bäume. Was für manche nach schlechter Waldbewirtschaftung aussieht, bietet den kleinen Tieren wichtige Lebensräume. Ein klimaresistenter, gesunder und vor allem artenreicher Wald bietet viele davon. Kronentotholz, Epiphyten, Höhlen: Es sind meist kleine Anomalien oder Alterserscheinungen an den Bäumen, die so genannte Mikrohabitate bilden. Beim Schutz der Biodiversität in Wirtschaftswäldern geht es daher vorrangig um den Erhalt solcher Strukturen. Denn es sind vor allem tote Bäume, die deutlich mehr Mikrohabitate aufweisen als lebende.

Der Alpenbockkäfer benötigt alte, grosse Buchen als Lebensraum für seine Larven. Gerade in diesem Altersstadium werden die meisten Bäume jedoch gefällt. Auf seiner Suche nach einem sonnigen Platz krabbelt er an einem bizarr geformten, korallenartigen und schneeweissen Gewächs vorbei – dem Ästigen Stachelbart. Diese Pilzart wächst nur auf totem Holz. Sie trägt so dazu bei, den organischen Abfall des Waldes zu beseitigen und bereitet damit für andere Organismen einen Lebensraum. Etwa für Insekten, die im morschen Holz leben, oder für Spechte, die dort leichter ihre Höhlen zimmern können.

Neben dem Klimawandel und Monokulturen schadet dem Wald daher auch ein zu penibles Forstmanagement. Absterbende Buchen sollte man nach Möglichkeit stehen lassen, um dem Ästigen Stachelbart, dem Alpenbock und anderen Organismen einen geeigneten Lebensraum zu erhalten. Das von CIPRA Slowenien initiierte Waldpflegeprojekt «GozdNega» ermutigt beispielsweise Waldbesitzer:innen, durch ein angepasstes Waldmanagement klimaresistente und artenreiche Wälder zu fördern.