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Berge als Therapie

21.06.2024 / Marco Battain
Wandern, Bergsteigen, Klettern: In den Bergen unterwegs zu sein, steigert nicht nur unser Wohlbefinden – es hat auch eine therapeutische Wirkung, meint Marco Battain. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der so genannten Bergtherapie.
Bild Legende:
Am Berg unterwegs sein als Teil einer Gruppe: Davon profitiert unsere körperliche und geistige Gesundheit. (c) moma7, Canva

In den vergangenen Jahrhunderten galt der Aufenthalt in bestimmten Bergregionen gewissermassen als therapeutisch: Man denke nur an höhergelegene Schweizer Kurorte wie Leukerbad oder die Heliotherapie-Aufenthalte in Davos für Tuberkulosekranke, von denen Thomas  Mann in «Der Zauberberg» berichtet. In Italien gab es bis 2022 das «Istituto Pio XII» am Misurina-See, eine Klinik für die Diagnose, Behandlung und Rehabilitation von Asthma bei Kindern.

Alpine Landschaft wirkt beruhigend
In den 1980ern entstand eine neue Therapieform, die in Italien unter dem Begriff «MontagnaTerapia» (wörtlich übersetzt: Bergtherapie) firmiert. Die Bezeichnung weckt Assoziationen mit alternativen Heilmethoden wie Kunst-, Pferde- oder Musiktherapie. Bei der Bergtherapie handelt es sich um eine Form der biopsychosozialen Rehabilitation von Personen, die an verschiedenen physischen, psychischen und sozialen Problemen leiden. Sie findet am Berg in einer Gruppe statt, die sich aus freiwilligen Begleiter:innen (beispielsweise vom italienischen Alpenverein) und professionellen Begleiter:innen (Pädagog:innen, Gesundheitspersonal usw.) zusammensetzt. Gelegentlich sind auch Familienmitglieder und Freunde dabei. Das Ziel der Gruppe ist es, die Teilhabe an einer nicht konkurrierenden und nicht wertenden Gemeinschaft zu fördern: ein soziales Umfeld, das nicht konstruiert, sondern sicher und einladend ist. 

Rehabilitation in einem sicheren Umfeld
Bei der Bergtherapie spielt die Landschaft eine wichtige Rolle, die durch eine Erkrankung eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit von Sinnesreizen kehrt zurück: Das Gefühl wärmender Sonnenstrahlen auf der Haut, der Ausblick auf den Horizont und auf die harmonische Landschaft, das Spüren eines Windhauchs auf der Haut, der säuselnde Wind, das Bachrauschen, duftende Blumen und Rinden, der Geschmack von Waldfrüchten. Das alles sind Dinge, die aus dem täglichen Leben vieler von uns und fast aller Menschen, die wir begleiten, verschwunden sind. Die alpine Landschaftsstruktur, auch wenn sie von Menschenhand umgestaltet wird, wirkt in der Regel beruhigender als die eines urbanen Umfelds. Berge bieten zudem ein hervorragendes Umfeld für die Integration von Menschen mit Behinderungen. Möglich macht das die Gesamtheit aller Empfindungen, einschliesslich der durch die Bewegung in der Natur entstehenden Müdigkeit, in Verbindung mit den zwischenmenschlichen Beziehungen durch den Erfahrungsaustausch in der Gruppe.

 

Der Bergdoktor
Marco Battain ist Experte für Bergtherapie im Italienischen Alpenverein und war schon immer gerne in den Bergen unterwegs – vor allem beim Wandern. Der in Turin geborene und aufgewachsene Chirurg und Facharzt für Hygiene und Präventivmedizin ist seit 2009 als Begleiter und Arzt in der Bergtherapie tätig.

abgelegt unter: Berge, Gesundheit, SzeneAlpen