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«Banken sollten sich dem Gemeinwohl verpflichten»

01.12.2020 / Michael Gams
Christian Felber treibt die internationale Bewegung der Gemeinwohlökonomie voran. Ein Gespräch über das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Gemeinwohl – und wie Banken diese Werte konkret umsetzen können.
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Mehr soziale Gerechtigkeit, Klima- und Umweltschutz: Für Christian Felber wäre eine verpflichtende Gemeinwohlbilanz ein wichtiger Schritt dorthin. (c) www.friedlundpartner.at

Herr Felber: Was ist Ihnen persönlich wichtig, wenn Sie Geld bei einer Bank anlegen?

Die generelle Zielsetzung der Bank ist mir wichtig. Ist sie ein profitorientiertes oder ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen? An zweiter Stelle möchte ich genau darüber informiert werden, was die Bank mit den Geldern tut, die sie zur Verfügung hat. Da wünsche ich 100 Prozent Transparenz. Und natürlich braucht es dazu eine klare ethische Geschäftsausrichtung, die man zum Beispiel in Form einer Gemeinwohlbilanz definieren und steuern kann. Das dritte wäre, dass bei der Kreditvergabe nicht ausschliesslich finanzielle Kennzahlen geprüft werden. Denn wichtiger ist, dass geprüft wird, wie sich eine Investition und damit ein Projekt auf die Umwelt, auf das Weltklima, auf die Artenvielfalt, auf den sozialen Zusammenhalt und die Verteilungsgerechtigkeit auswirkt.

Wie würden Sie Gemeinwohl definieren?

Mein Verständnis von Gemeinwohl ist ein prozessuales, nicht ein inhaltliches. Das bedeutet, dass die jeweilige demokratische Gemeinschaft ein gemeinsames Verständnis herstellen muss. Konkret schlagen wir einen Beteiligungsprozess vor, der die 20 Facetten des Gemeinwohl-Begriffs oder Bestandteile des Gemeinwohl-Produkts ermittelt, letzteres würde das BIP als volkswirtschaftlichen Erfolgsmassstab ablösen. Globale Studien weisen darauf hin, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Aspekte wie Gesundheit, Zufriedenheit, Beziehungsqualität, Vertrauen, sozialer Zusammenhalt, demokratische Teilhabe, Menschenrechte, intakte Ökosysteme und Friede im Gemeinwohl-Produkt enthalten sein werden.

Gemeinwohl oder Nachhaltigkeit: Was wiegt schwerer, wenn es um die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung von Banken geht?

Nachhaltigkeit ist ein immanenter Bestandteil von Gemeinwohl. Also ohne Nachhaltigkeit gibt’s kein Gemeinwohl. Aber Gemeinwohl ist viel breiter und umfassender. Wenn man nur die ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt, kann man das Gemeinwohl in vielen Facetten schwer verletzen. Man könnte Kinder beschäftigen, die Menschenrechte verletzen, extreme Ungleichheit zulassen, Frauen diskriminieren oder die Demokratie korrumpieren – es wäre alles supernachhaltig. Von daher ist Nachhaltigkeit unverzichtbar, aber zu wenig. Der Gemeinwohlbegriff ist viel älter. Thomas von Aquin prägte ihn im 13. Jahrhundert. Seit 1946 steht in der Bayerischen Verfassung: «Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl». Da ist selbstverständlich die ökologische Nachhaltigkeit inbegriffen. Schon der Ökonomiebegriff der alten Griechen, die Oikonomia, schliesst das Wohl aller und des natürlichen Umfelds mit ein. Von daher ist die ursprüngliche Oikonomia schon eine Gemeinwohlökonomie. Heute müsste der demokratische Souverän definieren, was er unter Gemeinwohl versteht. Und da bin ich sehr zuversichtlich, dass etwas Ähnliches oder noch Besseres als die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der UNO herauskäme.

Viele Banken sind bereits auf dem Weg und bieten nachhaltige Investments an.

Das reicht mir nicht. Nicht weil ich überzogene Ansprüche oder Wertvorstellungen habe, sondern weil hier ganz objektiv betrachtet eine massive Schieflage vorliegt, über welche Informationen Wirtschaftsakteure nach der heute gültigen Rechtslage berichten müssen. Die Schuld dafür trägt aus meiner Sicht die Wirtschaftswissenschaft, die sich in den letzten 150 Jahren ausschliesslich auf finanzielle Kennzahlen festgelegt hat. Unternehmen sind verpflichtet, über ihre finanziellen Kennzahlen Auskunft zu geben. Diese gesetzliche Informationspflicht gilt nicht für Themen wie Umwelt- und Klimaschutz, sozialer Zusammenhalt und Verteilungsgerechtigkeit, Macht-, Geschlechter- oder Demokratiefragen. Dafür braucht es eine Verpflichtung zur Offenlegung dieser Informationen.

Nachhaltigkeitsberichte sind je nach Ausrichtung einer Bank sehr unterschiedlich. Vergleichen wir da nicht Äpfel mit Birnen?

Aus genau diesem Grund leite ich aktuell ein Forschungsprojekt, das versucht, die Äpfel, die Birnen, die Pflaumen und die Aprikosen in eine Frucht zu integrieren. Analog zur gesetzlich verpflichtenden und einheitlichen Finanzbilanz gäbe es dann eine gesetzlich verpflichtende und einheitliche Ethikbilanz oder Gemeinwohlbilanz - für die gleiche Unternehmenszielgruppe wie die Finanzbilanz. Diese gilt ja auch nicht für alle, sondern nur für die Grösseren. Solange jedes Unternehmen selbst definieren darf, was es unter Nachhaltigkeit versteht, ist das Willkür und bedeutet Unvergleichbarkeit: Äpfel, Pflaumen, Birnen, Marillen. Die Überprüfung durch Dritte ist faktisch unmöglich, weil das so ein unendlich weites und eben nicht vergleichbares Datenmeer ist.

Welche konkreten Schritte kann eine Bank setzen, um das Gemeinwohl zu fördern?

Ich hätte drei Vorschläge, was jede Bank machen kann. Erstens: Sie erstellt selbst eine Gemeinwohl-Bilanz. Denn wenn ich mir von anderen Unternehmen eines Tages eine Gemeinwohlbilanz vorlegen lasse, um danach Kreditentscheidungen zu treffen, macht es Sinn, dass ich mit gutem Beispiel vorangegangen bin. Zweitens: Die Bank führt ein Kreditsegment ein für Unternehmen mit Gemeinwohlbilanz. Damit signalisiert sie der Wirtschaft: Wenn ihr eine Gemeinwohlbilanz erstellt, dann bekommt ihr in Zukunft einfacher und wahrscheinlicher einen Kredit. Drittens: Sie vergibt Gemeinwohl-Girokonten und Gemeinwohl-Sparkonten, deren Verwendungsseite zu 100 Prozent nachhaltig oder eben gemeinwohlorientiert ist.

Wie geht ein Unternehmen vor, wenn es eine Gemeinwohlbilanz erstellen möchte?

Es lädt sich unser Matrix-Handbuch kostenlos von unserer Website herunter oder wendet sich an die nächste GWÖ-Regionalgruppe in Deutschland, der Schweiz, Österreich oder Italien. Wir empfehlen, eine Peer-Gruppe mit drei bis sieben Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zu bilden, denn gemeinsam geht es leichter – das befördert Erkenntnisse und Innovationen. Nach innen empfiehlt es sich, die Mitarbeitenden auf freiwilliger Basis einzubeziehen. Bei der Sparkasse Dornbirn haben zum Beispiel 60 der über 200 Beschäftigten mitgemacht. Auf Wunsch begleiten zertifizierte Beraterinnen und Berater den Prozess, der üblicherweise ein halbes Jahr dauert. Am Ende wird gefeiert – und die Bilanzen der Öffentlichkeit präsentiert.

Das Projekt einer Gemeinwohlbank ist in Österreich fürs Erste gescheitert. Bleibt solch eine Bank eine Utopie?

Nur der erste Lizenzantrag wurde abgelehnt. Das ist kein endgültiges Scheitern einer Bank für Gemeinwohl. Die regulatorischen Anforderungen sind gegenwärtig so hoch, dass man eine Bilanzsumme von mehreren hundert Millionen Euro braucht, damit man überhaupt rentabel als Bank tätig sein kann. Wir warten hier ein besseres regulatorisches Umfeld ab. Unser Vorschlag ist eine ethische europäische Bankenunion. Das wären gemeinwohlorientierte Banken, die sich verpflichten, risikoarm zu wirtschaften, keine Gewinne auszuschütten und dadurch auch nicht eines solchen Ausmasses der Regulierung bedürfen. Dann können sie auch in einer geringeren Grösse lebensfähig sein. Bis es soweit ist, gehen wir den Weg der Kooperationen. Mit einer oberösterreichischen Raiffeisenbank haben wir das erste «Gemeinwohlkonto» auf den Markt gebracht, und in Vorarlberg und in Bayern gibt es schon drei Banken, die eine Gemeinwohlbilanz erstellt haben. Dass sie diesen Schritt wagen, und damit nicht mehr allein auf weiter Flur sind, zeigt, dass hier offenbar ein Trend losgegangen ist. Wir hoffen natürlich darauf, dass der sich in den nächsten Jahren verstärkt – angesichts des Klimawandels und anderer Umweltprobleme wie dem Verlust der Artenvielfalt.

Sind Banken die Schlüsselakteurinnen im Wirtschaftssystem?

Zweifellos, sie sind Teil der Infrastruktur. Sie stellen selbst nichts her, entscheiden aber durch ihre Hebelwirkung, was in Zukunft hergestellt wird. Das ist eine besondere Verantwortung, weshalb ich fordere, dass Banken prinzipiell dem Gemeinwohl verpflichtet sein und sich nicht in gewinnorientierten Gesellschaften organisieren dürfen sollten. Geld ist ein öffentliches Gut. Durch Gewinnorientierung wird dieses Werkzeug zur Waffe – nicht nur gegen eine nachhaltige Wirtschaft, sondern auch gegen eine freie Gesellschaft und eine funktionierende Demokratie. Mir schwebt eine bunte Landschaft aus öffentlichen Sparkassen, Kreditgenossenschaften und privaten Ethikbanken vor – alle erstellen ihre Gemeinwohl-Bilanz und vergeben Kredite auf Basis einer Gemeinwohl-Prüfung.

Bis es so weit ist: Wem können wir denn jetzt unser Geld noch anvertrauen?

Ich würde jeder Bank drei Fragen stellen: Können Sie mir ganz genau aufschlüsseln, was Ihre Bank mit meinem Geld macht? Können Sie mir ein Gemeinwohlkonto anbieten? Machen Sie selbst als Bank eine Gemeinwohlbilanz? Ich denke, dass diese Fragen den Banken heute zumutbar sind.

Gerne hätten wir hier das Gespräch mit Christian Felber und einer Vertreterin einer einflussreichen Liechtensteiner Bank abgedruckt. Leider verweigerte diese die Autorisierung des Gesprächs.

Der Gemeinwohl-Pionier

Christian Felber zählt zu den Gründungsmitgliedern der globalisierungskritischen Bewegung «Attac Österreich». 2010 initiierte der studierte Philologe die internationale Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung, die heute in 33 Staaten aktiv ist und von 3000 Unternehmen unterstützt wird. Zudem hat er das Projekt einer Bank für Gemeinwohl initiiert und ist Autor von 15 Wirtschaftsbüchern sowie eines Gedichtbands.

Die Gemeinwohl-Ökonomie: Ein Wirtschaftsmodell der Zukunft
Christian Felber (2018; überarbeitete Neuauflage); Piper

This is not economy: Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft.
Christian Felber (2019); Deuticke Verlag

christian-felber.at, www.ecogood.org, www.gemeinwohl.coop 

 

Quelle und weitere Informationen: www.cipra.org/szenealpen