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Junge Alpen

08.04.2013 / CIPRA Internationale Alpenschutzkommission
Alle reden über die Zukunft – doch meist unter Ausschluss derer, die sie betrifft. Die CIPRA unterstützt Jugendliche bei der Artikulation ihrer Hoffnungen und Forderungen.
Bild Legende:
Moritz Schwarz (Mitte) und Isabella Hilber unterbreiten dem österreichischen Umweltminister Nikolaus Berlakovich die Resolution des Jugendparlaments. © Caroline Begle/CIPRA International
Die Jugendlichen sind enttäuscht: Keine Ministerin, kein Minister wird am Donnerstagabend ihrer Theatervorstellung an der AlpenWoche 2012 in Poschiavo, Schweiz, beiwohnen. Sie sind dann am dinieren, heisst es von offizieller Seite. Der Versuch, während der Ministerkonferenz der Alpenkonvention am Freitag eine Zehn-Punkte-Resolution des Jugendparlaments der Alpenkonvention vorzutragen, war bereits im Vorfeld abgeblockt worden.
«Pseudo-Partizipation», schimpft Luzia Felder, 23, aus dem schweizerischen Entlebuch, die durch das Theaterstück mit ihren Freunden Gedanken zum Überthema «Erneuerbare Alpen» an die Politik herantragen wollte. Die Österreicher Isabella Hilber, 16, und Moritz Schwarz, 20, Mitglieder des Jugendparlaments YPAC, befürchten, von den Politikern nur vorgeführt, aber nicht angehört zu werden. Dabei sind sie gekommen, um der Jugend erstmals in der Geschichte der AlpenWoche eine Stimme zu verleihen. 120 Jugendliche aus unterschiedlichen Projekten und Ländern diskutieren, entwickeln Theater-Sketche, drehen Filme, sogar ein Orchester-Konzert ist geplant. Getragen wird young@lpweek von der CIPRA und dem Verein «Alpenstadt des Jahres».

Bundesrätin am Infostand
In einem Haus hinter der Stiftskirche erstreckt sich über zwei Stockwerke ein Marktplatz mit Infoständen unterschiedlicher Initiativen. Luzia und ihre Freunde präsentieren die Ergebnisse von «My Clime-mate», eines Jugendprojekts des Gemeindenetzwerks «Allianz in den Alpen», an dem sie im vergangenen Jahr teilgenommen haben. Dazu gehören so lebenspraktische Dinge wie Dinkelnudeln, mit Eiern aus der Region und ohne Verwendung eines elektrischen Geräts hergestellt. Nur wenige Besucher verirren sich an ihren Stand in der hintersten Ecke im zweiten Stock. Die meisten halten unten im Foyer Hof, wie am Nachmittag die Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard. Sie wird umringt von einem halben Dutzend Menschen, Journalisten zumeist. Luzia lässt sich nicht entmutigen. Wie alle Jugendlichen hat sie ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift «I’m an Alpine Transformer – and you?» angezogen und stellt sich gemeinsam mit ihrer Freundin Andrea Müller der Politikerin in den Weg. Sie laden sie ein, ihren Stand zu besuchen. Und sie kommt! Luzia freut sich und ihre Stimmung bessert sich merklich. «Sie ist nahbar und sympathisch», sagt sie, «...und weiss natürlich, dass es gute PR ist, sich mit Jugendlichen zu zeigen».
Auch Isabella und Moritz betreiben Power-Lobbying. Sie machen den Leiter der österreichischen Delegation ausfindig und setzen einen Termin mit dem Umweltminister Nikolaus Berlakovich durch. Tatsächlich können sie ihm die Resolution des Jugendparlaments doch noch Punkt für Punkt vortragen, von der Forderung einer Steuer auf exzessiven Energieverbrauch oder der Einführung einer «Grünen Woche» bis hin zu verkehrsfreien Sonntagen.
Am Abend speisen die Minister in der Sala delle Sibille im historischen Hotel Albrici an der Piazza. Bruno Stephan Walder, Geschäftsführer von CIPRA International, ist als Vertreter der Beobachterorganisation mit den übrigen Gästen im Nebenzimmer. Er hat einen Plan. Gerade ist die Tür zum Chambre séparée der Minister offen, die Gastgeberin Doris Leuthard, von Musik draussen angelockt, bereits am Fenster. Da genügt ein einladender Wink: Gleich würden Jugendliche Sketche aufführen. Schon sind die Minister auf der Loge. Vor der Kirche haben sich die Jugendlichen bereits positioniert. Spielen den Sketch mit einem Politiker, der von Jugendlichen Fragen gestellt bekommt. «Bla, bla, bla, bla, bla», antwortet der. Ein anderer Politiker redet gerade heraus. «Solche Politiker wollen wir!» ruft der Chor der Jugendlichen. Das Publikum applaudiert. Die Jugendlichen hatten unter Anleitung einer Schauspielerin und mit Unterstützung der CIPRA geprobt. Oberstufenschüler aus Poschiavo, die «Clime-mates» aus Entlebuch und Jugendliche des Arbeitslosenprojekts aqua mühle aus Vorarlberg.

Begegnungen unter Jugendlichen
Wichtig ist den Jugendlichen auch die Begegnung mit Gleichaltrigen, die sich ebenfalls für ihren Lebensraum interessieren. «Dass wir unser Programm in nur einem Tag auf die Beine gestellt haben...!», freut sich Alexander Djordewitsch, ein 17-Jähriger in Rapperkluft, der sein Hobby gleich eingebracht hat. Isabella Hilber ist beeindruckt vom Engagement der Jugendlichen von aqua mühle: «Mir war bisher gar nicht bewusst, wie privilegiert ich bin und wie viele Möglichkeiten mir als Gymnasiastin offen stehen.»
In allen Ecken und Gassen Poschiavos prägen die Jugendlichen mit ihren blauen Transformer-T-Shirts die AlpenWoche. Das Schlussplenum wird mit ihren Video-Clips zum Thema «erneuerbare Alpen» eröffnet, dem Motto der Veranstaltung. Für die Lokalzeitung «Il Grigione Italiano» gestalten die Jugendlichen eine ganze Seite. Zeitungmachen und Filmen haben Fachleute den Jugendlichen in Workshops beigebracht. «Wir wollen ihnen die Instrumente an die Hand geben, ihre Vorstellung ausdrücken zu können», sagt Tanja Mähr, Projektleiterin bei der CIPRA für young@lpweek. «Wir wollen ausserdem andere Organisationen anregen, ihrerseits Jugendliche stärker einzubeziehen.» Das Ziel wurde erreicht: Während des Schlussplenums redeten alle von den Jugendlichen und den wertvollen Beiträgen, die diese an der AlpenWoche eingebracht hatten.
Und auch das letzte Wort hatte young@lpweek, und es war ein beschwingtes: beim gemeinsamen Konzert zweier Orchester, beide aus «Alpenstädten des Jahres», des Tétras-Lyre-Orchesters aus dem französischen Chambéry und der Miners´ Brass Band aus dem slowenischen Idrija. Das Besondere am Tétras-Lyre-Orchester: Die Musiker sind geistig behindert, die meisten spielen Blockflöte, die wenigsten nach Noten. Sie haben das Programm auswendig gelernt, von George Bizets Habanera bis zu Queen, Greatest Hits. Nur einen Tag haben sie gemeinsam geprobt. Clémence Joueau, einzige Geigerin aus dem französischen Orchester sagt nachher: «Plein de joie de vivre» – Lebensfreude pur. Und Luiza Felder, Andrea Müller, Moritz Schwarz und Isabella Hilber, am Ende versöhnt mit der AlpenWoche, ziehen das Fazit: «Wir haben gemerkt, dass wir etwas erreichen können.»

Tilman Wörtz
Zeitenspiegel Reportagen

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Quelle: Jahresbericht 2012 CIPRA International
www.cipra.org/de/CIPRA/cipra-international