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"Die CIPRA ist ein Dreh- und Angelpunkt"

13.07.2012 / CIPRA Internationale Alpenschutzkommission
Chris Walzer, Leadpartner von Econnect, über ökologische Vernetzung, Barrieren im Kopf und eine durchgängige Landschaft.
"Die CIPRA ist ein Dreh- und Angelpunkt"
Bild Legende:
Chris Walzer, Leadpartner des Projektes Econnect, ist Professor für Wildtiermedizin und Naturschutz am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Universität Wien/A. Als Fachvertreter und wissenschaftlicher Beirat in verschiedenen Institutionen setzt sich der 49-Jährige zudem besonders für die Belange des Artenschutzes in Zentralasien ein. www.vu-wien.ac.at © Caroline Begle / CIPRA International
Das Projekt Econnect wurde nach drei Jahren abgeschlossen. Können die Bären, Luchse und Wölfe nun ungestört umherwandern?
Das war nicht das Ziel des Projektes. Für grosse Beutegreifer wie Bären, Luchse und Wölfe gibt es kaum strukturellen Barrieren. Aber es gibt Barrieren im Kopf: Es gibt Leute, die die Landschaft nicht teilen wollen mit einem Fleischfresser. Ein wichtiges Ergebnis von Econnect ist, dass wir das Konzept der Barrieren nun ganz anders sehen. Vorher versuchten wir, das Thema räumlich relativ begrenzt anzugehen. Wir haben nun erkannt, dass die Durchgängigkeit in der gesamten Landschaft unabhängig von Einzelelementen stattfinden muss. Dieser Wandel vom klassischen Korridor-Begriff zu einer durchgängigen Matrix in der Landschaft ist ein langer Prozess. Er hat sich erst gegen Ende des Projektes konkretisiert.

Kann man sagen, ein Erfolg des Projektes ist auch dieser Wandel der Denkhaltung?
Aus meiner Sicht ist das einer der grössten Erfolge. Nicht alle Partner sehen das so. Der Umgang mit einem Korridor ist viel einfacher: Es gibt hier eine Insel, dort einen Korridor… grüne Autobahnen - da wandern dann die Tiere auf und ab. Aber was ist dazwischen? Was sich da bewegt, geniesst keinen Schutz. Das Problem ist abgegrenzt und die Mühe, sich damit auseinanderzusetzen, ist auch begrenzt, räumlich begrenzt, vom ganzen Gedankengebäude her begrenzt. Wenn ich jetzt sage, die ganze Landschaft muss durchdringbar sein, wird es komplexer. Auch das Konfliktpotenzial steigt.

"Die grösste Hindernisse sind kultureller Art", heisst es im Abschlussbericht. Was ist damit gemeint?
Es geht um gesellschaftspolitische Fragen. Letztlich ist es ein ethisches Problem: Wir bessern am Ende einer langen Kette - eine fragmentierte Landschaft, Infrastruktur, immer mehr Verkehr - die Symptome aus. Aber kaum jemand stellt in Frage, ob wir mehr Verkehr, mehr Infrastruktur brauchen. Eigentlich müsste man das Wachstum hinterfragen. So schnell können wir gar nicht arbeiten, wie die Entwicklung vor sich geht. Das Problem verschiebt sich die ganze Zeit. Wenn ich eine Lösung anbiete, hat sich das Problem schon wieder verändert.

Die CIPRA managt keine Naturschutzgebiete und erstellt keine wissenschaftlichen Studien. Worin sehen Sie den Beitrag der CIPRA?
Die CIPRA war eine der Begründerinnen des Projektes. Die CIPRA ist ein Dreh- und Angelpunkt, ein Kompetenzzentrum. Es gibt dort viel Wissen über die Partner im Alpenraum; man kann sich dort viele Ressourcen und Grundlagen holen. Es gibt dieses langjährige Wissen über ökologische Vernetzung in den Alpen. Ohne die CIPRA wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Die CIPRA ist auch ein Schmelzpunkt: Wenn es um ethische Probleme geht wie vorher erwähnt, nimmt die CIPRA auch diese Informationen auf und knüpft daran an. Zu den Grenzen des Wachstums hat ja die CIPRA schon einiges gemacht. Es ist vielleicht eine Rolle der CIPRA in der Zukunft, die gesellschaftspolitischen Fragen noch mehr einzubringen.

Mit der Jecami-Plattform wurde ein kartografisches Werkzeug zur Visualisierung von ökologischen Barrieren und Korridoren erstellt.
Das Jecami-Tool, ein Computerprogramm, das auf dem geografischen Informationssystem GIS basiert und massgeblich vom Schweizer Nationalpark entwickelt wurde, hat einige Probleme gelöst. Erstens: Wenn man Aspekte der Landschaft wie Durchgängigkeit visualisieren möchte, ist man gebunden an die vorgegebene räumliche Auflösung. Jecami kann massstabunabhängig mit allen Daten umgehen, vergleichbar mit Google Earth. Und es rechnet die Eignung der Landschaft für Vernetzung aus auf Grund von Indikatoren wie Populationsdichte, Infrastrukturen, Fragmentierungsindex, Lichtverschmutzung usw. Es ist ein gutes Instrument für die Kommunikation, zum Beispiel für Gemeinden, die Diskussionen mit Betroffenen wie Grundeigentümern oder Landwirten führen.

Kommunikation heisst auch Vereinfachen. Die Wissenschaft aber ist komplex. Wie hat sich Econnect in diesem Spannungsfeld zurechtgefunden?
Der Sprung von der Wissenschaft zu den Anwendern in den Pilotregionen ist manchmal zu gross. Die theoretischen Grundlagen sind alle vorhanden. Nur sind diese in wissenschaftlichen Publikationen "versteckt" und den Anwendern nicht zugänglich. Was man braucht, ist ein "Übersetzungsservice", um die wissenschaftlichen Daten für die Anwender, für die Pilotregionen zugänglich zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass es für die CIPRA in Zukunft eine wichtige Aufgabe sein wird, Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Literatur für Anwender zugänglich zu machen. Sie macht das ja schon, aber da gibt es noch viel, viel mehr von diesen komplexen, sehr theoretischen Grundlagen. Eine Frage, die immer wieder aufkommt, ist: Warum ist Vernetzung so wichtig für Biodiversität? Diese Erkenntnisse gibt es, es wurde mehrfach bewiesen in Versuchen in kleinen Flächen. Aber wenn ich das nicht übersetze, können die meisten Anwender das nicht nachvollziehen. Sie haben keinen Nutzen daraus und keine Argumente dafür.

Ökologische Vernetzung ist ein Generationenprojekt. Das Projekt ist nun aber abgeschlossen. Wie können Sie sicherstellen, dass die Früchte nicht verfaulen?
Erstens arbeiten wir an Folgeprojekten und schauen, wo Vernetzung einen Platz findet. Die Stärke von Econnect ist zudem das Konsortium. Wenn ich drei Jahre mit jemandem zusammenarbeite, ist der direkte Kontakt da und wird genutzt. Auch die Pilotregionen wurden deutlich gestärkt. Sie werden den Gedanken der Vernetzung auch in Zukunft weitertragen.

Barbara Wülser (Interview) und Caroline Begle (Fotos), CIPRA International



Umsetzungsbeispiele aus den Pilotregionen

Mit der Motorsäge für den Auerhahn
Um eine potentielle Fortpflanzungspartnerin anzulocken, braucht der Auerhahn Platz zum Balzen. Davon gab es in der Pilotregion Hohe Tauern mit ihrem dichten Waldbestand nicht mehr genügend. Bei der Gassneralm liess Econnect die Holzfäller anrücken. Forst- und Landwirtschaft, Jagd und Naturschutz haben hier so vorbildlich zusammengearbeitet, dass das Pilotprojekt inzwischen Pate steht für den "Aktionsplan Auerhuhn" des österreichischen Bundeslandes Kärnten.

Plastikbälle mit Signalwirkung
Skigebiete mit ihren zahlreichen Seilbahnen und sonstigen Infrastrukturen stellen für viele Arten, insbesondere Vögel, eine ständige Gefahr da. In den Skigebieten Limone Piemonte (I) und Isola 2000 (F) in den südwestlichen Alpen sorgen dank des Econnect-Pilotprojekts jetzt über 2'000 rote Bälle dafür, dass die Lifttrassen für Tiere als Hindernis sichtbar sind. Econnect brauchte nur die Bälle zu kaufen; die Arbeit wurde von den Skigebietsbetreibern geleistet.

Licht aus für die Wildschweine
Im französischen Grésivaudan-Tal machen menschliche Aktivitäten die Nacht zum Tag. Nachtaktive Tiere wie Wildschweine vermeiden es, Felder und Strassen zu überqueren, wenn sie beleuchtet sind - ein wirkliches Problem für deren Fortkommen. Um die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen und Gemeinden zum Handeln zu bewegen, organisierte das Département am 1. Oktober 2011 als Beitrag zu Econnect einen Aktionstag. Bereits über 20 Gemeinden reduzierten seither ihre Beleuchtung.

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Für mehr Natur ausserhalb von Schutzgebieten
Mit ihren Aktivitäten zur Lebensraumvernetzung in den Alpen stärkt die CIPRA ihre Wurzeln als Naturschutzorganisation. 2011 lag der Schwerpunkt auf dem Abschluss des Econnect-Projektes. Während mehr als drei Jahren haben die 16 Projektpartner einen Umdenkprozess angestossen und erste Umsetzungserfolge erzielt. Das Econnect-Budget von 3,2 Mio. Euro wurde von der EU co-finanziert. Die CIPRA wurde für ihre Tätigkeiten vom Land Liechtenstein über die drei Jahre mit 57'900 Euro unterstützt.
Darüber hinaus engagierte sich die CIPRA auch 2011 gemeinsam mit dem Netzwerk Alpiner Schutzgebiete Alparc und dem Internationalen Wissenschaftlichen Komitee Alpenforschung ISCAR in der Initiative Ökologisches Kontinuum. Auch bei den Plattformen "Ökologischer Verbund" und "Wildtiere und Gesellschaft" der Alpenkonvention wirkte sie mit.
www.econnectproject.eu - www.alpine-ecological-network.org