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Nicht alle Klimamassnahmen sind wirksam - und harmlos - Die Alpen im Klima-Check

04.11.2009 / Bruno Abegg
Alpenweit wird viel mehr für die Vermeidung des CO2-Ausstosses getan als für die Anpassung an den Klimawandel. Das bedeutet aber noch nicht, dass diese "Ursachenbekämpfung" zum Erfolg führt. Die von der CIPRA im Projekt cc.alps recherchierten Daten zeigen nämlich, dass einige dieser Klimamassnahmen wirkungslos sind oder gar negative Nebeneffekte haben.
Fälensee im Alpstein in den Appenzeller Alpen (Schweiz)
Bild Legende:
Fälensee im Alpstein in den Appenzeller Alpen (Schweiz) © Anita Wyss, CIPRA International
Der Klimawandel ist in vollem Gange. Und die globalen CO2-Emissionen steigen munter weiter. Letztes Jahr waren sie so hoch wie nie zuvor. Gleichzeitig liefert die Wissenschaft immer neue Erkenntnisse über die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Umwelt. Oftmals werden bereits früher gemachte Aussagen bestätigt - mit dem Unterschied, dass die zu erwartenden Auswirkungen noch schneller auftreten bzw. intensiver ausfallen werden.
Über das Ziel ist man sich einig: Die globale Erwärmung darf zwei Grad Celsius nicht überschreiten. Nur so kann das Risiko unabsehbarer Folgen vermindert werden. Nur so kann das Risiko des Auftretens von globalen Kipp-Effekten, wie zum Beispiel das Abschmelzen des Grönland-Eises, begrenzt werden. Und nur so kann man verhindern, dass das Klimasystem völlig aus dem Ruder läuft. Um diese Zielvorgabe zu erreichen, muss der Klimaschutz massiv verstärkt werden. Für die Industrieländer, und damit auch die Alpenländer, bedeutet dies beispielsweise, dass die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert werden müssen.
Gleichzeitig müssen Anpassungen an die bereits laufenden und nicht mehr zu vermeidenden klimatischen Veränderungen in die Wege geleitet werden. Egal welche Reduktionsziele in absehbarer Zukunft beschlossen und dann hoffentlich auch umgesetzt werden, die globale Erwärmung wird vorderhand weitergehen - mit gravierenden Konsequenzen für Mensch und Umwelt, nicht zuletzt auch im Alpenraum.
In Anbetracht der grossen Herausforderungen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die politischen Bestrebungen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung in den letzten Jahren intensiviert wurden. Diese Entwicklung läuft sowohl auf supranationaler wie auch auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene ab. Auch verschiedene Unternehmen haben das Klima für sich "entdeckt", sei es als viel versprechende Marktlücke, als Bestandteil der "corporate social responsibility" oder ganz einfach, weil die angebotenen Dienstleistungen und Produkte im weitesten Sinne wetter- und klimaabhängig sind. Zusätzliche Initiativen werden von Privaten und Nichtregierungsorganisationen entwickelt. Als Folge davon ist die Zahl der Klimamassnahmen markant angestiegen.
Was wird im Alpenraum konkret geleistet? Und werden die Erwartungen, die an die Klimamassnahmen geknüpft werden, auch wirklich erfüllt? Die CIPRA wollte es genau wissen und lancierte "cc.alps - Klimawandel: einen Schritt weiter denken!" Im Rahmen dieses Projektes werden Klimamassnahmen aus den Alpen auf den Prüfstand gestellt. Ziel ist es, jene Massnahmen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die mit den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang stehen, und vor jenen Massnahmen zu warnen, die negative Folgewirkungen auf Natur und Umwelt, aber auch auf das soziale Gefüge und die Wirtschaft haben können (siehe Beitrag Seite 8).

Zielkonflikte vorprogrammiert
Rund 300 Klimamassnahmen hat die CIPRA im Alpenraum ausgemacht, was auf den ersten Blick beeindruckend erscheint. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die meisten Massnahmen über einen vergleichsweise geringen und ziemlich isolierten Wirkungskreis verfügen. Zudem können nur etwa zehn Prozent der untersuchten Massnahmen als exemplarisch bezeichnet werden. Alle anderen weisen in Bezug auf Nachhaltigkeit ein mehr oder minder deutliches Verbesserungspotenzial auf.
Problematisch ist die fehlende oder ungenügende Berücksichtigung von negativen Nebeneffekten. Im Weiteren muss auf die bis anhin viel zu wenig thematisierten Zielkonflikte mit anderen Politikbereichen hingewiesen werden; zum Beispiel auf die Beeinträchtigung des Natur- und Landschaftsschutzes durch die Förderung erneuerbarer Energien. Oder sollen die letzten natürlichen Fliessgewässer der Wasserkraft geopfert werden?
Überraschend ist die geringe Zahl von Anpassungsmassnahmen. Hinzu kommt, dass die Anpassungsmassnahmen im Vergleich zu den Verminderungsmassnahmen deutlich schlechter bewertet wurden. Letzteres hat sicherlich mit dem "Charakter" der Anpassungsmassnahmen zu tun, fokussieren diese doch auf die Auswirkungen des Klimawandels; sie machen "Symptombekämpfung". Eine detaillierte Analyse der Stichproben zeigt allerdings auch, dass die meisten Anpassungsmassnahmen eine sehr einseitige und reaktive Ausprägung haben und damit den Anforderungen an eine integrative und vorausschauende Klimapolitik nicht genügen. Klassisches Beispiel ist der Tourismus: Hier wird weiterhin - auch in Gebieten, die seit vielen Jahren mit schlechten Schneebedingungen zu kämpfen haben - auf Schneekanonen gesetzt, obwohl immer deutlicher wird, dass diese die ausbleibenden Schneefälle in Zukunft nicht ersetzen können.
Die technischen Klimamassnahmen sind in der Überzahl: Sie sind konkret, lassen sich vergleichsweise einfach umsetzen, weisen aber auch eine überdurchschnittlich hohe Zahl an schlechten Bewertungen auf. Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - reichen nicht aus, insbesondere weil der absolute Energieeinsatz weiter steigt und dadurch alle Einsparungen zunichte gemacht werden. Deutlich besser schneiden Klimamassnahmen ab, die eine ganzheitliche Strategie verfolgen. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Strategien, die technische, aber auch erzieherische, finanzielle, strategische und rechtliche Massnahmen miteinander verknüpfen, auch zügig umgesetzt werden. Mit Technik allein ist es also nicht getan. Gefragt ist eine Kombination von verschiedenen, gut aufeinander abgestimmten Massnahmentypen, wie sie beispielsweise in der Gemeinde Mäder/A oder im Achental/D vorangetrieben wird (siehe www.cipra.org/cc.alps/ergebnisse).

Ganzheitlicher Ansatz gefragt
Ähnliche Ergebnisse brachte die Untersuchung der lokalen Massnahmen zu Tage: ein hoher Anteil, eine vergleichsweise leichte Umsetzung und eine relativ schlechte Bewertung. Hinzu kommt, dass der Wirkungskreis von lokalen Massnahmen beschränkt ist. Massnahmen auf nationaler und transnationaler Ebene verfügen über einen bedeutend grösseren Wirkungskreis, werden aber nur selten adäquat umgesetzt. In der cc.alps-Auswertung haben die Massnahmen auf klein- bis grossregionaler Ebene, also von der Talschaft bis zum Kanton oder Bundesland etc., am besten abgeschnitten.
Die meisten Massnahmen werden dort gesetzt, wo am meisten CO2 produziert wird und damit auch am meisten CO2 eingespart werden kann: im Energiebereich (z.B. Nutzung alternativer Energiequellen), im Bereich Bauen und Sanieren (z.B. Förderung von energieeffizienten Gebäuden) sowie beim Verkehr (z.B. Ausbau des öffentlichen Verkehrs). In der Regel steht aber die Summe der tatsächlichen CO2-Einsparung aller Massnahmen in einem Bereich in keinem Verhältnis zum tatsächlichen CO2-Ausstoss und zum CO2-Einsparpotenzial je Bereich. Des Weiteren fällt auf, dass stark klimasensitive Bereiche wie die Land- und Wasserwirtschaft schwach vertreten sind. Auch die Raumplanung als klassische Querschnittsaufgabe spielte bis anhin kaum eine Rolle. Dabei liesse sich gerade in diesem Bereich viel bewirken, beispielsweise mittels angepasster Bauvorschriften, verkehrsarmer Siedlungsentwicklung und Ähnlichem.
Eines ist klar: Die bislang gesetzten Massnahmen reichen bei weitem nicht aus, um der Herausforderung Klimawandel gerecht zu werden - weder in Bezug auf die notwendige Anpassung noch im Hinblick auf die klimapolitische Verantwortung der Alpen. Zahl und insbesondere Wirkung der Massnahmen müssen massiv erhöht werden. Zudem gibt es zu viele isolierte Massnahmen. Der Erfahrungs- und Wissensaustausch ist ungenügend und muss verbessert werden. Anpassung und Verminderung sollten parallel gedacht werden. Nur so kann beispielsweise verhindert werden, dass energieintensive Anpassungsmassnahmen den Klimawandel weiter anheizen. Und auch bei der Vernetzung der verschiedenen räumlichen Ebenen besteht noch viel Verbesserungspotenzial. Mit anderen Worten: Es wurde schon einiges getan, auch manch Gutes, aber es muss noch viel mehr getan werden, sonst werden wir nie über "den Tropfen auf dem heissen Stein" hinauskommen.
www.cipra.org/cc.alps