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Ein neuer Blick auf die Natur

08.04.2009 / Yann Kohler
Weg vom isolierten Naturschutz hin zum ökologischen Netzwerk Im Natur- und Artenschutz hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzgen: weg von der reinen Konservierung seltener Lebensräume hin zur Betrachtung des ganzen Landschaftsraums. Daraus entstand das Modell der ökologischen Netzwerke, die den Schutzgebieten einen Blick über den Tellerrand hinaus ermöglichen.
Vom Zuhause zum Arbeitsplatz, in den Supermarkt oder zur Erholung in die Berge - Mobilität spielt bei uns Menschen eine wichtige Rolle. Dieses Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit haben auch Tiere und Pflanzen: Fauna und Flora benötigen im Laufe ihres Lebens-, Jahres- oder Tageszyklus Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen und Lebensräumen, um sich artgerecht ernähren, ausbreiten und vermehren zu können.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird versucht, die biologische Vielfalt in eigens dafür ausgewiesenen Gebieten, den Schutzgebieten, zu bewahren. In den Alpen wurde 1914 als erster alpiner Nationalpark der Schweizerische Nationalpark gegründet. Inzwischen gibt es im Alpenbogen fast 900 Schutzgebiete unterschiedlichster Kategorien und Ausdehnungen, die ungefähr 25 Prozent der Alpen abdecken. Auch wenn nicht alle diese Gebiete strengen Naturschutz als Hauptziel haben, so ist die Fläche der Nationalparks und Naturschutzgebiete, die direkt dem Erhalt der Biodiversität gewidmet ist, doch beachtlich: Sie macht sieben Prozent des Anwendungsgebiets der Alpenkonvention aus.

Vom statischen zum dynamischen Naturschutz
Eine Gämse macht nicht an der Grenze des Nationalparks halt. Amphibien schauen beim Queren der Strasse weder nach rechts noch nach links - und fallen so jeden Frühling zu Tausenden dem Strassenverkehr zum Opfer. Der Natur entspricht die von Menschen vollzogene Unterteilung nicht, die Naturschutzgebiete von Siedlungsflächen trennt, Verkehrsinfrastrukturen abgrenzt oder Staats- und Gemeindegrenzen festlegt. Dies bedeutet, dass Naturschutz auch ausserhalb von Schutzgebieten stattfinden muss, dort wo die Hauptursachen für den weltweit zunehmenden Verlust an Biodiversität liegen. Diese sind: Zerstörung natürlicher Lebensräume, Fragmentierung der Landschaft, Übernutzung von Ressourcen und Rückgang der traditionellen Kulturlandschaft. In den Alpen werden diese Prozesse aufgrund des besonderen geographischen Kontexts zusätzlich auf Talbereiche und Ebenen konzentriert. Schutzgebiete hingegen befinden sich grösstenteils in Höhenlagen über 2'000 Metern, dort wo Konflikte mit menschlichen Nutzungsansprüchen ohnehin relativ gering sind.
Die Menschen haben erkannt, dass Schutzgebiete alleine den Erhalt der Biodiversität langfristig nicht gewährleisten können. Deshalb sind in den vergangenen Jahren neue Naturschutzkonzepte entstanden. Räumliche Verbindungen zwischen gut erhaltenen und ökologisch wertvollen Kernzonen sollen Migration und somit den Austausch zwischen einzelnen Biotopen ermöglichen und die durch die Zerschneidung der Landschaft verursachte genetische Verarmung und das Aussterben isolierter Populationen verhindern. Verbindungselemente wie Korridore oder Trittsteinbiotope - gut erhaltene, kleinräumig begrenzte Zwischenflächen - weben aus diesen getrennten Lebensräumen "ökologische Netzwerke".

Die Alpenkonvention als Wegweiser
Projekte und Initiativen zur Schaffung solcher ökologischen Netzwerke sind auch in den Alpen immer häufiger anzutreffen. In der Schweiz beispielsweise wurde auf landesweiter Ebene das "Nationale ökologische Netzwerk" gegründet. In Frankreich und Deutschland gibt es verschiedene Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene, so zum Beispiel in der Region Rhône-Alpes oder in Bayern mit BayernNetzNatur. Der Arbeitsmassstab und die Umsetzung sind je nach Initiative sehr unterschiedlich. Die jeweilige Gestaltung hängt beispielsweise vom sozialen und politischen Umfeld oder von den lokalen geographischen Gegebenheiten ab. In einer zusammenhängenden biogeographischen Region wie dem Alpenmassiv ist es jedoch von ausserordentlicher Bedeutung, dass die einzelnen Bemühungen aufeinander abgestimmt und die verschiedenen Massstabsebenen zusammengeführt werden, damit ein kohärentes Gesamtvorgehen möglich ist.
Die Alpenkonvention bietet für diese Abstimmung mit ihrer im Naturschutzprotokoll formulierten Forderung eines "grenzübergreifenden Verbunds ausgewiesener Schutzgebiete" einen geeigneten Rahmen. Hiermit werden zudem auch die Vorgaben zahlreicher weiterer internationaler Bestimmungen und Abkommen erfüllt, unter anderem die der europäischen Habitat-Richtlinie oder des Paneuropäischen Ökologischen Netzwerks.

Internationale Zusammenarbeit gefragt
Die wichtigsten europäischen Bergmassive sind allesamt Grenzgebiete. So erstrecken sich beispielsweise die Alpen, die Pyrenäen oder die Karpaten über mehrere Länder. Die internationale Zusammenarbeit spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Projekte zur Schaffung von ökologischen Netzwerken sowohl innerhalb der einzelnen Bergregionen als auch zwischen ihnen auszuarbeiten und durchzuführen (siehe Beitrag zum Projekt Econnect auf Seite 18). Im Hinblick auf neue Herausforderungen im Umweltschutz wie dem Klimawandel, der die Berggebiete ganz besonders betrifft, kommt dem Thema der ökologischen Netzwerke eine besondere Bedeutung zu. Indem neue ökologische Verbindungsstrukturen geschaffen werden, können die Arten durch Abwanderung und Arealverschiebungen auf die sich ändernden Umweltbedingungen reagieren.
Die bisherigen Erfahrungen mit Projekten zur Schaffung ökologischer Netzwerke, wie sie in Frankreich im Departement Isère oder auch in der Schweiz im Rahmen der Förderung für ökologische Ausgleichflächen in der Landwirtschaft durchgeführt wurden, sind durchaus positiv. Die Tatsache, dass der Förderung einer nachhaltigen naturverträglichen Landnutzung besondere Bedeutung zukommt, sorgt dafür, dass eine breite Palette von verschiedensten Akteuren in die Projekte eingebunden werden müssen. Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, aber auch Tourismus, Raumplanung und Verkehr - die Vielfalt der Partner öffnet neue Wege und Möglichkeiten des sek-torübergreifenden Dialogs und der konstruktiven Zusammen-arbeit.

Langfristige Perspektiven entwickeln
Vom Zuhause zum Arbeitsplatz, in den Supermarkt oder zur Erholung in die Berge - Mobilität spielt bei uns Menschen eine wichtige Rolle. Dieses Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit haben auch Tiere und Pflanzen: Fauna und Flora benötigen im Laufe ihres Lebens-, Jahres- oder Tageszyklus Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen und Lebensräumen, um sich artgerecht ernähren, ausbreiten und vermehren zu können.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird versucht, die biologische Vielfalt in eigens dafür ausgewiesenen Gebieten, den Schutzgebieten, zu bewahren. In den Alpen wurde 1914 als erster alpiner Nationalpark der Schweizerische Nationalpark gegründet. Inzwischen gibt es im Alpenbogen fast 900 Schutzgebiete unterschiedlichster Kategorien und Ausdehnungen, die ungefähr 25 Prozent der Alpen abdecken. Auch wenn nicht alle diese Gebiete strengen Naturschutz als Hauptziel haben, so ist die Fläche der Nationalparks und Naturschutzgebiete, die direkt dem Erhalt der Biodiversität gewidmet ist, doch beachtlich: Sie macht sieben Prozent des Anwendungsgebiets der Alpenkonvention aus.

Vom statischen zum dynamischen Naturschutz
Eine Gämse macht nicht an der Grenze des Nationalparks halt. Amphibien schauen beim Queren der Strasse weder nach rechts noch nach links - und fallen so jeden Frühling zu Tausenden dem Strassenverkehr zum Opfer. Der Natur entspricht die von Menschen vollzogene Unterteilung nicht, die Naturschutzgebiete von Siedlungsflächen trennt, Verkehrsinfrastrukturen abgrenzt oder Staats- und Gemeindegrenzen festlegt. Dies bedeutet, dass Naturschutz auch ausserhalb von Schutzgebieten stattfinden muss, dort wo die Hauptursachen für den weltweit zunehmenden Verlust an Biodiversität liegen. Diese sind: Zerstörung natürlicher Lebensräume, Fragmentierung der Landschaft, Übernutzung von Ressourcen und Rückgang der traditionellen Kulturlandschaft. In den Alpen werden diese Prozesse aufgrund des besonderen geographischen Kontexts zusätzlich auf Talbereiche und Ebenen konzentriert. Schutzgebiete hingegen befinden sich grösstenteils in Höhenlagen über 2'000 Metern, dort wo Konflikte mit menschlichen Nutzungsansprüchen ohnehin relativ gering sind.
Die Menschen haben erkannt, dass Schutzgebiete alleine den Erhalt der Biodiversität langfristig nicht gewährleisten können. Deshalb sind in den vergangenen Jahren neue Naturschutzkonzepte entstanden. Räumliche Verbindungen zwischen gut erhaltenen und ökologisch wertvollen Kernzonen sollen Migration und somit den Austausch zwischen einzelnen Biotopen ermöglichen und die durch die Zerschneidung der Landschaft verursachte genetische Verarmung und das Aussterben isolierter Populationen verhindern. Verbindungselemente wie Korridore oder Trittsteinbiotope - gut erhaltene, kleinräumig begrenzte Zwischenflächen - weben aus diesen getrennten Lebensräumen "ökologische Netzwerke".

Die Alpenkonvention als Wegweiser
Projekte und Initiativen zur Schaffung solcher ökologischen Netzwerke sind auch in den Alpen immer häufiger anzutreffen. In der Schweiz beispielsweise wurde auf landesweiter Ebene das "Nationale ökologische Netzwerk" gegründet. In Frankreich und Deutschland gibt es verschiedene Initiativen auf regionaler und lokaler Ebene, so zum Beispiel in der Region Rhône-Alpes oder in Bayern mit BayernNetzNatur. Der Arbeitsmassstab und die Umsetzung sind je nach Initiative sehr unterschiedlich. Die jeweilige Gestaltung hängt beispielsweise vom sozialen und politischen Umfeld oder von den lokalen geographischen Gegebenheiten ab. In einer zusammenhängenden biogeographischen Region wie dem Alpenmassiv ist es jedoch von ausserordentlicher Bedeutung, dass die einzelnen Bemühungen aufeinander abgestimmt und die verschiedenen Massstabsebenen zusammengeführt werden, damit ein kohärentes Gesamtvorgehen möglich ist.
Die Alpenkonvention bietet für diese Abstimmung mit ihrer im Naturschutzprotokoll formulierten Forderung eines "grenzübergreifenden Verbunds ausgewiesener Schutzgebiete" einen geeigneten Rahmen. Hiermit werden zudem auch die Vorgaben zahlreicher weiterer internationaler Bestimmungen und Abkommen erfüllt, unter anderem die der europäischen Habitat-Richtlinie oder des Paneuropäischen Ökologischen Netzwerks.

Internationale Zusammenarbeit gefragt
Die wichtigsten europäischen Bergmassive sind allesamt Grenzgebiete. So erstrecken sich beispielsweise die Alpen, die Pyrenäen oder die Karpaten über mehrere Länder. Die internationale Zusammenarbeit spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Projekte zur Schaffung von ökologischen Netzwerken sowohl innerhalb der einzelnen Bergregionen als auch zwischen ihnen auszuarbeiten und durchzuführen (siehe Beitrag zum Projekt Econnect auf Seite 18). Im Hinblick auf neue Herausforderungen im Umweltschutz wie dem Klimawandel, der die Berggebiete ganz besonders betrifft, kommt dem Thema der ökologischen Netzwerke eine besondere Bedeutung zu. Indem neue ökologische Verbindungsstrukturen geschaffen werden, können die Arten durch Abwanderung und Arealverschiebungen auf die sich ändernden Umweltbedingungen reagieren.
Die bisherigen Erfahrungen mit Projekten zur Schaffung ökologischer Netzwerke, wie sie in Frankreich im Departement Isère oder auch in der Schweiz im Rahmen der Förderung für ökologische Ausgleichflächen in der Landwirtschaft durchgeführt wurden, sind durchaus positiv. Die Tatsache, dass der Förderung einer nachhaltigen naturverträglichen Landnutzung besondere Bedeutung zukommt, sorgt dafür, dass eine breite Palette von verschiedensten Akteuren in die Projekte eingebunden werden müssen. Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, aber auch Tourismus, Raumplanung und Verkehr - die Vielfalt der Partner öffnet neue Wege und Möglichkeiten des sektorübergreifenden Dialogs und der konstruktiven Zusammen-arbeit.

Langfristige Perspektiven entwickeln
Der Knackpunkt zum langfristigen Erfolg dieser Projekte liegt jedoch in ihrer Möglichkeit, die Elemente der ökologischen Netzwerke bzw. die ökologische Funktionalität der Landschaft nachhaltig zu sichern. Dafür müssen die Ergebnisse der Untersuchungen und Projekte in Raumplanungskonzepte einfliessen und dort dauerhaft verankert werden. Es geht nicht darum, weitere geschützte Flächen oder bestimmte Landschaftselemente auszuweisen, sondern darum eine ganzheitliche, flexible und dynamische Vision einer Region zu entwickeln, in der die ökologische Funktionalität langfristig Beachtung findet. Die ökologische Bedeutung einer Region liegt nicht in der Summe ihrer Schutzgebietsflächen. Sie ergibt sich vielmehr aus der Frage, wieweit es gelingt, Mensch und Natur wieder in einer funktionierenden Symbiose zusammenzubringen. Das bedeutet: Wir Menschen müssen flächendeckend im Einklang mit der Natur handeln. Geeignete Planungsunterlagen ermöglichen es, eine Gesamtvision zu skizzieren und die unterschiedlichen Aktionen in allen Sektoren erfolgreich und kohärent aufeinander abzustimmen. Davon profitiert nicht nur die Natur; auch wir ziehen letztlich einen direkten Nutzen aus funktionierenden, lebendigen Ökosystemen.