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Nachhaltige Innovationen fordern neue Denkansätze

22.09.2008 / Anita Wyss
Die Alpenländer sind gefordert eine ganzheitliche Lebensweise für Mensch und Tier zu erhalten, Aktivitäten besser miteinander zu vernetzen und dabei den alpenweiten Erfahrungsaustausch gezielt zu fördern.
Netzwerk
Bild Legende:
Netzwerke tragen dazu bei, räumliche Intelligenz zu schaffen und das Wissen und Know-how einzelner Regionen anderen Gebieten erfahrbar zu machen. Frank Schultze / Zeitenspiegel
Seit dem 19. Jahrhundert sind die Alpen koloniales Eroberungsland für die Kultur der Städte. Die Alpen gehören zunehmend zu den Einzugsgebieten einzelner Grossstädte und laufen dadurch Gefahr, ihre eigenständigen Wirtschafts- und Lebensräume zu verlieren und zu einem funktionalen Ergänzungsraum von benachbarten urbanen Gebieten zu verkommen. Zudem ist da auch noch der Klimawandel, der in Berggebieten grosse Auswirkungen auf das Landschaftsbild und einen Anstieg zerstörender Naturereignisse mit sich bringt.
Die Alpenbevölkerung und politische Akteure sind gefordert Strategien zur Naturgefahrenprävention, zum Erhalt der Biodiversität, zur Entwicklung verschiedener Wirtschaftszweige, zur Reduzierung der Verkehrsbelastung und zur Stärkung der regionalen und alpenweiten Identität zu entwickeln - also Lösungsansätze für eine nachhaltige Nutzung der Kultur- und Naturlandschaften zu schaffen.

Nicht nur Kapital und Technologie
Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Zukunftsszenarien der Alpen, die nicht mehr geographisch isoliert betrachtet werden können, hat sich die Umweltbewegung in den Alpen mit dem Thema Innovation befasst. Dabei geht es jedoch nicht um den traditionellen, mit dem Erhalt der Landschaft und Fauna verbundenen Umweltschutz, sondern um eine komplexe soziale und gesellschaftspolitische Analyse der heute auch in den Alpen spürbaren Veränderungen. Politische Lösungsansätze, gesellschaftspolitische Aspekte sowie soziale und philosophische Denkansätze stehen im Vordergrund. Durch die globale Wirtschafts- und Umweltkrise ist das neoliberale Modell weltweit ins Wanken geraten. Ein neues Modell muss also erdacht werden, das auf der sozialen und territorialen Solidarität basiert und verhindert, dass Innovationen von heute zu Problemen zukünftiger Generation werden.
Neue Ansätze können nicht nur auf Technologie oder auf kapital- und ertragsorientierte Projekte reduziert werden. Dargestellt wurde dies wärend der Alpenwoche unter anderem von Referent Günter Simader am Beispiel der Energiepolitik. Im Zuge der Renaissance der Kohlenenergie werden in Deutschland innovative Kohleabtrennungs- und CO2 Speicherungstechnologien entwickelt, während in Österreich, Frankreich und der Schweiz auf die Nutzung der letzten Wasserkraftpotentiale gesetzt wird. Im technischen Bereich durchaus innovativ, schätzt Simader die Bestrebungen der Länder jedoch nicht als nachhaltig ein, zumal die Umwelt belastet wird und das Energieproblem dadurch nur kurzfristig - wenn überhaupt - gelöst wird. Simader sieht die nachhaltige Innovation im Energiebereich in den Softmeasures. Mit ordnungspolitischen-, wirtschaftlichen Massnahmen, freiwilligen Vereinbarungen und Massnahmen der Direktinformation der Kunden, mit einer Verbesserung der Gebäudestandards, dem Aufbau von Labellingsystemen etc. könne dem Energieproblem viel nachhaltiger entgegengetreten werden.

Nachhaltige Innovation durch Wissenstransfer und Kooperation
Innovationen und mutige Denker sind heute gefragt. Denn es reicht nicht nur innovativ zu sein, Innovation muss in den Dienst der Nachhaltigkeit gestellt werden. So können Projekte eine nachhaltige Innovation beinhalten, die bereits anderswo erfunden oder umgesetzt worden ist. Das Ziel ist die Nachhaltigkeit an sich, das Sichern des multifunktionalen Lebensraums und die Aufwertung der zahlreichen Ressourcen der Alpen. Dabei sollte gerade in den Alpen eine starke Nachhaltigkeit angestrebt werden, bei der das Naturkapital im Mittelpunkt steht und nur sehr beschränkt oder gar nicht mit Human- oder Sachkapital ersetzt werden kann.
Innovationen sind an sich weder gut noch schlecht und auch kein zuverlässiger Indikator für Fortschritt. So birgt Innovation auch immer ein Risiko, wenn sie nur als Erfindung oder als Synonym für Kreativität verstanden wird. Erfindungsreichtum, Geist und Kreativität sind zwar wichtige Voraussetzungen für innovative Projekte, sie müssen aber auch in einen Kontext und einen Prozess eingebunden werden.
Dem Wissen und der räumlichen Intelligenz kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Der heutige Ansatz des Wissensmanagements setzt den Menschen, der in eine Organisation eingebettet ist, in den Mittelpunkt; die Technologie wird nur als Hilfsmittel betrachtet. Wissen steckt in den Köpfen der Menschen und ist vor allem auf regionaler Ebene vorhanden. Eine grosse Herausforderung ist es, dieses Wissen anderen erfahrbar zu machen. Die Wertschöpfung des Wissens und der Wissenstransfer setzen erst ein, wenn eine Organisation ihr Wissen mit anderen teilt und es in schon bestehende Wissensstände eingeflochten wird. Gerade in der Regionalentwicklung besteht ein noch weitgehend brachliegendes Potential. Um es aber mobilisieren zu können braucht es weitere Kompetenzen. Regionale Akteure müssen intelligent miteinander kooperieren und räumliche Intelligenz schaffen. Sie entsteht, wenn regionale Entscheidungsträger Wissen austauschen und kurzfristig auf ihre Eigeninteressen zu Gunsten eines längerfristigen allgemeinen Nutzens verzichten. Intelligente Regionen sind gefordert, Regionen, die verstehen, dass die wichtigste regionale Ressource der Mensch bildet.

Nachhaltige Innovationen unterstützen
Von wesentlicher Bedeutung in den Alpen sind heute die Erneuerung, die Wiedereinführung von sozialen und politischen Aktionsstrategien, die Wiederherstellung der Beziehungen mit und in der Gesellschaft sowie die Investition in die Qualität der Entscheidungsprozesse und in den Erhalt der enormen Vielfalt.
Während der Alpenwoche kreisten die Vorschläge über Umsetzungsstrategien für Innovationen um einige Schlüsselbegriffe. Wissenstransfer und Kooperation fordern funktionierende Netzwerke. Einige Netzwerke sind bereits operativ, wie das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete und das Gemeindenetzwerk "Allianz in den Alpen". Andere müssen noch gegründet und aufgebaut werden, wie z.B. ein Netzwerk für den Wissenstransfer zwischen Städten und Bergtälern oder Netzwerke für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Biodiversität, Mobilität, etc. Es braucht institutionelle Netzwerke, die gefördert und unterstützt werden. Hierbei könnte die Alpenkonvention als Plattform für Förderung und Innovation eine zentrale Rolle spielen.
Gefordert ist auch die öffentliche Hand. Mit einer gezielten Politik kann sie Projekte, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, fördern und damit Regionen dazu anspornen, nachhaltig innovativ zu sein.
In erster Linie sind aber Netzwerke für die direkte Demokratie notwendig. Nur so können Entscheidungsträger die Bedürfnisse der Bevölkerung erkennen und die BürgerInnen sich Gehör verschaffen. Gerade Wissensnetzwerke sollen einer Region ermöglichen, Motivation, Fähigkeiten und Kompetenzen aufzubauen.
Weitere Schlüsselbegriffe für Innovationsprozesse sind Know-how, Kooperation, Zusammenarbeit, Motivation, Bildung, Gemeinschaft, neue rechtliche und politische Instrumente, die in der Lage sind, alle diese Aspekte in einem Prozess zu bündeln, der auf der sozialen Kohäsion basiert. Daher ist das eigentliche Kapital, in das es zu investieren gilt, das Potential der BürgerInnen. Den Menschen muss erleichtert werden, in Kontakt zueinander zu treten, Wissen auszutauschen und zu kooperieren.