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Tourismuspolitik unter der Lupe - werden die Mittel nachhaltig eingesetzt?

12.07.2007 / CIPRA Deutschland e.V.
Wenn ein Wirtschaftszweig so massiv gefördert wird wie der Tourismus, so hat der Staat das Recht und die Pflicht, die Förderung von der Einhaltung von Kriterien der Nachhaltigkeit abhängig zu machen. Das Tourismusprotokoll der Alpenkonvention bietet das geeignete Instrument dafür.
Kuh
Bild Legende:
Gerade im Alpenraum bildet eine intakte Natur häufig die Basis für die regionale Wertschöpfung, deshalb sollten auch nur natur- und landschaftsschonende Tourismusprojekte gefördert werden. © CIPRA International
In Artikel 6 Tourismusprotokoll der Alpenkonvention verpflichten sich die Vertragsparteien im Tourismussektor "möglichst" nur landschafts- und umweltschonende Projekte zu fördern. Strukturen für den intensiven Tourismus sollen bei fördernden Massnahmen an die "ökologischen Erfordernisse" angepasst und neue Strukturen in Übereinstimmung mit dem Tourismusprotokoll entwickelt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit des naturnahen Tourismus soll gestärkt werden. Doch wer überprüfen will, wie die Umsetzung dieser weitreichenden Vereinbarungen in der Praxis aussieht, braucht einen langen Atem: Denn nicht nur direkte Tourismusförderprogramme, wie z. B. Investitionshilfen für touristische Betriebe aus Struktur- und Wirtschaftsförderungsfonds, kommen dem Alpentourismus zu Gute. Der Tourismus profitiert beispielsweise auch von Förderprogrammen zur Kulturlandschaftspflege, von Zuschüssen für Sportgrossveranstaltungen und Beihilfen für den öffentlichen Nahverkehr.
Gleichzeitig fördern die verschiedenen Ebenen von Kommunen über Regionen und Nationen bis hin zur EU. Um die Sache noch komplexer zu machen, muss auch noch berücksichtigt werden, dass ein Förderprogramm wirkungslos ist, wenn die Mittel fehlen. So wird die dringend notwendige Erweiterung des Fuhrparks der touristisch bedeutsamen Bayerischen Oberlandbahn von München in die Bayerischen Alpen aus finanziellen Gründen auf die lange Bank geschoben, während für das milliardenschwere Prestigeprojekt Transrapid zum Münchner Flughafen enorme Fördersummen reserviert werden.

Wirtschaftliche Interessen versus Umweltschutz
Der grösste Anteil der Tourismusförderung ist Teil allgemeiner ausgerichteter Struktur- Wirtschafts- Beschäftigungs- oder Infrastrukturförderprogramme. Besonders die europäischen Strukturfonds sind für den Alpentourismus wichtig. Zwar schreiben die entsprechenden Förderleitlinien vor, dass der "Umweltschutz bei der Vorbereitung von Programmen und Projekten im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden muss". In der Praxis kommt es jedoch häufig zu Konflikten mit Zielsetzungen in anderen Politikbereichen, bei denen Umweltaspekte gegenüber wirtschaftlichen Interessen häufig "weggewogen" werden. So wurden beispielsweise in Bayern Schneekanonen nicht nur mit Mitteln aus EU-Strukturfonds für Wintersportgrossveranstaltungen gefördert, sondern auch aus dem EU-Programm zur Förderung des ländlichen Raums (LEADER+). In Italien wurde der Ausbau verschiedener Pisten für die Ski Weltmeisterschaft in Bormio 2005 gar im Gebiet des Nationalparks Stilfser Joch mit staatlichen Mittel unterstützt, weitere Ausbauten werden aktuell diskutiert.

Nachhaltigkeit nur am Rande
Aber auch die Tourismusförderpolitik im engeren Sinne beinhaltet meist keine oder nur schwach ausgeprägte Umweltkriterien. In Österreich wurde die Österreichische Hotel und Tourismusbank (ÖHT), ein Kooperationsunternehmen österreichischer Grossbanken, mit der Abwicklung der staatlichen Tourismusförderung beauftragt. Zwar umfasst die Liste der Förderkriterien ganze 200 Seiten, doch Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien sind nur marginal vertreten. So ist z.B. Wärmedämmung beim Hausbau vorgeschrieben, Schneekanonen dürfen nur mit reinem Wasser betrieben werden oder die Schmierstoffe von Seilbahnen müssen fachgerecht entsorgt werden. Doch Fehlen klare Aussagen zu einer Ausrichtung der Förderung auf landschafts- und umweltschonende Projekte, wie im Tourismusprotokoll der Alpenkonvention vereinbart. Eine öffentliche Förderung von Skiinfrastrukturen in sensiblen Hochgebirgslandschaften kann schließlich nicht durch die fachgerechte Entsorgung von Schmierstoffen aufgewogen werden. Übrigens: Nach Aussagen der Tourismusbank ist die Förderung von Beschneiungsanlagen in Österreich allein deswegen rückläufig, weil schon 80 % aller Pisten Österreichs künstlich beschneit werden und damit eine Sättigung der Investitionen eingetreten ist.

Umdenken hat begonnen
In Frankreich beginnt man zumindest regional mit einer Umorientierung der Tourismusförderpolitik: Während das Departement Isère bis ins Jahr 2003 grosse Fördersummen in den Skitourismus steckte, beginnt man nun mit der Diversifizierung der Tourismusförderpolitik. Es wurde ein neues, an Nachhaltigkeit orientiertes Tourismusleitbild erstellt. Danach werden nur noch wenige, auch angesichts des Klimawandels zukunftsfähige Skiinfrastrukturen gefördert. Über die Hälfte des Förderbudgets geht nun in andere Massnahmen, die auch an Umweltkriterien gemessen werden. Das Departement Savoie macht sich nun ebenfalls auf diesen Weg. Die Tourismusförderung soll in einen breitgefächerten Ganzjahrestourismus umgewandelt werden. Auch hier sollten die Förderrichtlinien auf Umweltverträglichkeit ausgerichtet werden.

Erfolgsversprechende Richtung
In der Schweiz haben die spezifisch auf Tourismusförderung ausgerichteten Programme nur geringen Umfang. Das Programm Innotour macht eine Förderung davon abhängig, dass die Vorhaben "bestehende Umweltstandards einhalten und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen", umweltschädigende Vorhaben werden explizit ausgeschlossen. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die Förderungen für Jedermann transparent sind und im Internet unter www.inno-tour.ch eingesehen werden können. Damit kann auch überprüft werden, ob die aufgestellten Kriterien in allen Fällen eingehalten wurden. In anderen Alpenstaaten, z. B. in Österreich und Deutschland bleibt die Tourismusförderung aus Steuergeldern mit Hinweis auf den Datenschutz jedoch Geheimsache. Wichtig für den Schweizer Tourismus sind zudem Instrumente der Regionalpolitik, mit denen bislang viele Investitionen privater Investoren, beispielsweise Berg- und Seilbahnen, gefördert wurden. In der zukünftigen "Neuen Regionalpolitik" soll diese Investitionsförderung für Einzelunternehmen wegfallen. Stattdessen sollen zukünftig innovative Regionen verstärkt gefördert werden. Eine Strategie, sich in diesem Wettbewerb der Regionen zu positionieren, ist die Ausweisung eines Naturparks. Eine Förderung in Höhe von 10 bis 12 Mio. CHF wurde den potentiellen Naturparkregionen in Aussicht gestellt. So ist es wahrscheinlich, dass die "Neue Regionalpolitik" in einigen Schweizer Regionen zu Innovationen im Naturtourismus führen wird. Dieser Ansatz dürfte zukunftsweisend sein, denn gerade im Alpenraum bildet eine intakte Natur und Landschaft häufig die Basis für die regionale Wertschöpfung wie viele Projekte zeigen.

Trotzdem bleibt noch viel zu tun…
Die deutsche Tourismuspolitik zielt in erster Linie auf die Förderung der mittelständischen Wirtschaft und auf die punktuelle Förderung grosser Infrastrukturmassnahmen ab. Im Jahr 2005 wurde das bis dahin vorbildliche Verbot staatlicher Zuschüsse für künstliche Beschneiungsanlagen in Bayern aufgehoben. In den Bayerischen Richtlinien zur Tourismusförderung für Projekte der öffentlichen Hand finden sich überhaupt keine Umweltkriterien, in den Richtlinien für die private Wirtschaft gibt es die Einschränkung, dass nur Investitionsvorhaben gefördert werden dürfen, die mit den "Belangen des Umweltschutzes" in Einklang stehen. Die für die Vergabe verantwortlichen Bezirksregierungen, gehen allerdings davon aus, dass jedes Projekt, für das eine Baugenehmigung vorliegt, auch umweltverträglich ist. Damit ist der Passus in den Leitlinien Makulatur. Ein neues Sonderförderprogramm für den Tourismus nennt konsequenterweise überhaupt keine Umweltkriterien mehr.

…bis zur praktischen Umsetzung der Alpenkonvention
Dieser kurze, akzentuierte und unvollständige Überblick macht deutlich: Zwar gibt es in allen Alpenstaaten umweltverträgliche Tourismusprojekte, die öffentlich gefördert wurden. Doch ist bei kaum einem Förderprogramm sichergestellt, dass "möglichst nur natur- und landschaftsschonende Tourismusprojekte" gefördert werden, wie im Tourismusprotokoll vereinbart. Vielfach trägt die Tourismusförderung im Gegenteil dazu bei, dass die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung beeinträchtigt werden. In allen Vertragsparteien der Alpenkonvention besteht hier erheblicher Handlungsbedarf. Ein erster Schritt hierzu wäre eine detaillierte Überprüfung der Vereinbarkeit der Tourismusförderung mit den Zielen der Nachhaltigkeit in allen Alpenstaaten. Denn öffentliche Förderungen sind nur zu rechtfertigen, wenn sie zum Ziel einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

Thomas Frey und Andreas Güthler, CIPRA Deutschland