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Damoklesschwert Staudammunfälle?

01.07.2005 / CIPRA Internationale Alpenschutzkommission
In den letzten vierzig Jahren hat es drei Katastrophen im Zusammenhang mit Staudämmen in den Alpen gegeben. Angesichts der Zahl der Staudämme im Alpenraum kann man die damit verbundenen Gefahren als gering ansehen. Dennoch muss man Wasserkraftanlagen eine beständige Aufmerksamkeit schenken.
Die Geschichte der Alpen zeigt, dass der Umgang mit riesigen Wassermassen für die Stromerzeugung durchaus Gefahren birgt. Auch wenn die Sicherheit der Bauten ständig zunimmt, haben sich doch aufgrund von Fehleinschätzungen der Verantwortlichen zweimal grosse Katastrophen ereignet.

Vajont und Fréjus : über 2400 Tote
1963 wurde in den italienischen Dolomiten trotz Warnungen von Spezialisten und der einheimischen Bevölkerung das neue Staubecken von Vajont gefüllt. Am 9. Oktober löste ein gigantischer Bergsturz eine Flutwelle aus, die über 2000 Menschen in den Tod riss. Trotz der Flutwelle wurde die Bogenstaumauer nicht zerstört.
1959 stürzte die Bogenstaumauer zur Gewinnung von Trinkwasser von Malpasset in der Region von Fréjus aufgrund eines plötzlichen Hochwassers ein und forderte 423 Opfer. Aufgrund von Fehlentscheidungen wurden die Sicherheitsventile nicht rechtzeitig geöffnet, obwohl am Fundament der Talsperre Anzeichen von Rissen festgestellt wurden.
Und erst im Jahr 2000 riss der neue Druckschacht von Cleuson-Dixence/CH unter dem Druck des Wassers. 27'000 m3 drangen in dem sehr steilen Gelände an die Oberfläche und rissen Felsen, Erde und Alphütten mit sich. Drei Tote waren zu beklagen. Der Betrieb der Anlage wurde seither nicht wieder aufgenommen, weil im Innern des Schachtes Verstärkungsarbeiten durchgeführt werden.

Die Haftpflicht von Betreibern von Wasserkraftwerken nach dem Verursacherprinzip
In Europa haben nur zwei Regionen ein Haftpflichtsystem nach dem Verursacherprinzip für Schäden durch höhere Gewalt bei Wasserkraftwerken eingerichtet: die schweizerischen Kantone Graubünden und Wallis. Sie haben von den Kraftwerksbetreibern gefordert, eine Zusatzversicherung beim von der SwissRe verwalteten schweizerischen Versicherungspool abzuschliessen, um die Risiken von Staudämmen zu versichern. Im Zusammenhang mit der Haftpflicht nach dem Verursacherprinzip sind Kraftwerksbetreiber verpflichtet, Schäden zu reparieren, auch wenn diese nicht absichtlich, verantwortungslos oder durch Nachlässigkeit verursacht wurden. Der versicherte Betrag liegt bei ungefähr 130 Millionen Euro pro Kanton. Die Versicherungsprämie wird auf der Basis des gespeicherten Wasservolumens berechnet.
Wegen des hohen Sicherheitsniveaus der Staudämme in der Schweiz sind die Besitzer der Ansicht, dass diese Versicherung unnötig den Preis für eine kWh belastet. Zum Vergleich: ein Atomkraftwerk ist gemäss den Abkommen von Paris und Brüssel über Haftpflicht im Nuklearbereich in Höhe von 1,5 Milliarden Euro versichert.
In der Schweiz liegt die gesetzliche Versicherungsdeckung für ein Atomkraftwerk bei 630 Millionen Euro. Die Prämien für die Haftpflichtversicherung belasten den Preis für Atomstrom nur mit 0,038 cents/kWh. Für den Kanton Graubünden entspricht das 0,019 cents/kWh, wenn man davon ausgeht, dass Wasserkraftanlagen jedes Jahr um 130 Millionen Euro versichert sind und 7'862 GWh erzeugen.

Erdbeben : eine überarbeitete Gefährdungskarte
Der Schweizerische Erdbebendienst SED hat Ende 2004 eine neue Erdbeben-Gefährdungskarte veröffentlicht, die die Risiken für die nächsten 475 Jahre verzeichnet. Darin wird die "seismische Gefährdung" dargestellt, ein Wert, der die wahrscheinliche Stärke der Beben und ihre Häufigkeit berücksichtigt. Das Erdbebenrisiko wurde für den Kanton Wallis/CH zum Beispiel nach oben korrigiert. Die Alpen sind der Ort, wo die afrikanische und die eurasische Kontinentalplatte zusammentreffen, was ihnen eine gewisse seismologische Dynamik verleiht.
Nach Ansicht der Internationalen Kommission für grosse Talsperren ICOLD sind die Risiken im Zusammenhang mit Erdbeben nach wie vor aktuell. Die Disziplin ist relativ neu, und die zur Zeit verwendeten digitalen Simulationsinstrumente für Gefahren können die tatsächliche Gefahr nicht verlässlich darstellen. Kenntnisse in diesem Bereich werden zusammengetragen, und zwar bei Talsperren in Regionen, die sehr starke Beben verzeichnet haben. Nach Ansicht von Martin Wieland, Ziviltechniker und Spezialist für Erdbeben-Risiken, wird sich diese Disziplin in den nächsten Jahren stark entwickeln, ganz bestimmt mit Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau von Staudämmen.