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Gemeinwohl-Ökonomie im Oberland

13.09.2019
Im Rahmen des Projekts Knotenpunkt Alpen fand am 22.10.2019 die vierte Knotenpunkt Veranstaltung mit dem Thema "Gemeinwohl-Ökonomie" in Peißenberg statt.
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Bild: A. Virag

Zusammen mit dem Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e. V., seiner Regionalgruppe Weilheim sowie dem Markt Peißenberg, einer Gemeinwohl-Gemeinde im Prozess, veranstaltete CIPRA Deutschland Mitte Oktober eine Knotenpunkt Veranstaltung zum Thema „Gemeinwohl-Ökonomie“ in der Tiefstollenhalle Peißenberg. Ziel der Veranstaltung war es zum einen, die Idee der GWÖ und die GWÖ-Bewegung besser kennenzulernen, zum anderen Schnittmengen zur Arbeit der CIPRA zu erkennen und darüber hinaus im Lichte dessen die Vernetzung unter den anwesenden Akteuren aus dem bayerischen Alpenraum zu fördern. Dazu wurde die Veranstaltung gezielt interaktiv geplant; so bestand der Kernteil der Veranstaltung neben einem eröffnenden Vortragsimpuls zur GWÖ durch Helmut Dinter, 1. Bürgermeister der Gemeinde Wessobrunn (ebenso einer Gemeinwohl-Gemeinde im Prozess), vor allem aus zwei Spielen ("Eckpunkte Memory" und "Good Practice"-Spiel), die vom Akteur*innenkreis (AK) Bildung der Gemeinwohl-Ökonomie konzipiert wurden.

Was ist die Gemeinwohl-Ökonomie?

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Bild: A. Virag

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ, www.ecogood.org) trat im Jahr 2010 in Österreich mit der gleichnamigen Buchveröffentlichung von Christian Felber und einer Pressekonferenz mit progressiven Unternehmer*innen erstmals in Erscheinung. Seitdem gewann sie nicht nur zahlreiche Unterstützer*innen in Ländern Europas, sondern inzwischen auch in den USA, Südamerika und Afrika.

Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie beschreibt eine alternative Wirtschaftsordnung zu Kapitalismus und Kommunismus. Sie versteht sich als liberale und ethische Marktwirtschaft, die nicht auf Gewinnstreben und Konkurrenz beruht, sondern auf Gemeinwohl-Streben und Kooperation. Erfolg wird nicht primär an finanziellen Kennzahlen gemessen, sondern mit der Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen, mit der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen/Organisationen und mit dem Gemeinwohl-Produkt für eine Volkswirtschaft. Ziel ist es, die Gesetze der Marktwirtschaft mit den Grundwerten und Verfassungen demokratischer Gesellschaften in Übereinstimmung zu bringen! So auch bspw. mit der Verfassung des Freistaates Bayern, in der in Art. 151 geschrieben steht: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“  

Dieses Ziel versucht die GWÖ-Bewegung auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene umzusetzen – vor allem durch die Bildungsarbeit von diversen GWÖ-Vereinen und den ihnen angeschlossenen Akteur*innenkreisen sowie Regionalgruppen, die vor Ort aktiv sind – so auch im bayerischen Alpenraum. Im Netzwerk agierend, sind diese informierend unterwegs und tragen entscheidend zur Verbreitung der GWÖ-Idee bei. Darüber hinaus können Unternehmen, Vereine, Gemeinden, etc. Mitglied in einem GWÖ-Verein werden und mit der Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz für ihre Organisation als Pioniere maßgeblich zur Realisierung der GWÖ-Idee beitragen.

Spiel 1. Das heutige Wirtschaftssystem vs. GWÖ

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Bild: A. Virag

Im ersten Spiel, dem sogenannten „Eckpunkte Memory“, wurden „Eckpunkte“ unseres heutigen Wirtschaftssystems den Alternativen der Gemeinwohl-Ökonomie gegenüberstellt. Die 12 (Gegensatz-)Paare galt es in vier Kleingruppen und, im Unterschied zu den gängigen Spielregeln eines Memory-Spiels, nicht auf eigene Faust, sondern im Team zu finden.

Bei der Gemeinwohl-Ökonomie ist beispielsweise der Gewinn nur Mittel, aber kein endgültiges Ziel; Unternehmen haben so keinen Wachstumszwang mehr. Im heutigen Wirtschaftssystem hingegen sind Gewinn und dauerhaftes Wachstum oberstes Ziel. Ein weiteres Beispiel ist, dass in der Gemeinwohl-Ökonomie wirtschaftlicher Erfolg am Gemeinwohl, während momentan wirtschaftlicher Erfolg an Profit und am Bruttoinlandsprodukt gemessen wird. Nicht alle Eckpunkte wurden von den Teilnehmenden gleichermaßen für gut befunden, wie beispielsweise der Eckpunkt Finanzgewinn. Laut dieser Eckpunkte-Spielkarte könne man die Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftssystems auch so arrangieren, dass Finanzgewinne nur für Auszahlungen an Mitarbeitende, für Kredite an Konkurrenzunternehmen oder für Investitionen, die sozial und ökologisch Sinn machen, verwendet werden dürfen. In der Diskussion im Plenum dazu wurde deutlich, dass der Widerstand von den Teilnehmenden mehrheitlich darin begründet war, dass aus der „Eckpunkte“-Spielkarte nicht hervorging, auf welche Weise die Unternehmer*innen von ihrem Engagement noch finanziell profitieren könnten. Offenbar ist hier die Komplexitätsreduktion im Spiele-Design zu hoch ausgefallen und es gilt, diese Eckpunkte-Spielkarte zu überarbeiten; denn auch in der GWÖ können Unternehmer*innen bis zu einer bestimmten Unternehmensgröße sehr wohl Gewinnausschüttungen erhalten und sich zudem als Mitarbeitende stets einen Lohn ausbezahlen.
(Vgl. S. 93ff. in: Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber, Piper Verlag, München 2018).

Großen Zuspruch erhielt der Punkt, dass die GWÖ auf den Werten Vertrauen, Kooperation, Wertschätzung und Teilen beruht sowie, dass Unternehmen mit guten Gemeinwohl-Bilanzen niedrigere Steuern und geringere Zölle zahlen und beim öffentlichen Einkauf bevorzugt werden sollten – ein Kernanliegen der GWÖ.

Zuspruch und Ablehnung wurden bei der Veranstaltung über den jeweiligen „Widerstand“ gemessen. Anhand der Methodik des „systemischen Konsensierens“ könnte man nun alle Punkte so lange diskutieren und anpassen, bis sie die geringste Ablehnung in der Gesellschaft erfahren. Durch diese Vorgehensweise werden Vorschläge nicht durch das Mehrheitsprinzip beschlossen, sondern durch das Prinzip des geringsten Widerstands. So wird es beispielsweise eben auch in der Gemeinwohl-Ökonomie praktiziert.

Spiel 2. Die GWÖ-Matrix und Good Practice Beispiele

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Bild: A. Virag

Die Gemeinwohl-Matrix ist das aktuelle Zielsystem zur Organisationsentwicklung und zugleich Orientierungssystem, anhand derer Gemeinwohl-Berichte von Unternehmen erstellt und extern auditiert werden. Die Gemeinwohl-Matrix umfasst aktuell 20 Themenfelder, entstehend aus vier Wertgruppen und fünf Berührungsgruppen.

Um die Matrix den Teilnehmenden der Veranstaltung besser verständlich zu machen, sollten sie „Good Practice Beispiele“, die jeweils einen Ausschnitt aus einer Gemeinwohl-Bilanz einer Firma darstellten, einem Matrixfeld zuordnen. Die Aussage „Die Produkte eines Unternehmens werden alle klimaneutral und möglichst ressourcenschonend gefertigt“ gehört beispielsweise zum Wert „Ökologische Nachhaltigkeit“ und zur Berührungsgruppe „Kund*innen und Mitunternehmen“. Zur Berührungsgruppe „Mitarbeitende“ und zum Wert „Transparenz und Mitentscheidung“ gehört die Aussage „Alle Mitarbeitenden können in alle Prozesse Einblick gewinnen und diese mitgestalten“. Mit der Matrix können Unternehmen schnell und strukturiert Schwachstellen in ihrem Betriebsablauf ausmachen und an diesen arbeiten.

Bei der Veranstaltung bewegten sich die Teilnehmenden nicht nur inhaltlich durch die Matrix sondern auch physisch. Diese wurde nämlich in überdimensionalem Format auf den Boden übertragen. Antwortend auf verschiedene Fragen, zum Beispiel welches Feld sie persönlich oder für die CIPRA am wichtigsten finden, sollten sich die Teilnehmenden auf einem Matrixfeld positionieren.

Via Foto von der Galerie der Tiefstollenhalle konnten so die jeweiligen Schwerpunkte im Plenum zu jeder Frage identifiziert werden - und aufgrund der Wiederholung dieser Aufstellung im Raum vor und nach der Durchführung des eigentlichen Spiels ebenso Vorher-Nachher Unterschiede identifiziert werden. Eine Erkenntnis war beispielsweise, dass alle 5 Themenfelder rund um den Wert „Ökologische Nachhaltigkeit“ als auch alle 4 Themenfelder in Bezug zur Berührungsgruppe „Gesellschaftliches Umfeld“ - vor und nach dem Spiel - vom Plenum tendenziell am wichtigsten eingestuft wurden.

Das Projekt Knotenpunkt Alpen und die Knotenpunkt Partnerbörse

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Bild: A. Virag

Neben der GWÖ war das Projekt Knotenpunkt Alpen und das Netzwerken ein zentrales Thema der Veranstaltung. So konnte sich jeder während der Veranstaltung über das Projekt informieren, Anregungen und Wünsche abgeben, neue Akteure für das Netzwerk vorschlagen und auch über die Nutzung von einem Online-Portal abstimmen.

Zudem konnten alle Teilnehmenden einen Steckbrief über die eigene Person bzw. Organisation ausfüllen, der die Expertise bzw. benötigte Expertise der jeweiligen Person widergibt. Anhand dieses Steckbriefs versucht das Knotenpunkt-Team nun Partner unter den Akteuren zu finden, die sich gegenseitig unterstützen können und so das Knotenpunkt-Netzwerk aktivieren.

Kulinarisch begleitet wurde die Veranstaltung vom Bio-Catering BioMichl und dem Esspressomobil von #Oismehrwert.

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Diese Veranstaltung wird gefördert von Umweltbundesamt und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.

Partner

Diese Veranstaltung wurde unterstützt von der Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e. V. und dem Markt Peißenberg.