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Transitverkehr

Die Belastungen von Mensch und Natur in den engen Alpentälern durch den Transitverkehr sind ein Dauerbrenner der europäischen Verkehrspolitik. Die geplante Klimaneutralität des Verkehrssektors bis 2050 ist nur mit einem ehrgeizigen Umdenken im europäischen Verkehrsnetz und der Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene erreichbar.
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Es ist vollkommen unstrittig, dass es keine nachhaltigere Möglichkeit gibt, Güter zu transportieren, als auf der Schiene. Pro transportierter Tonne stößt ein LKW 110 mal mehr CO2 aus als der Schienenverkehr. Von der 2019 alpenquerend transportierten Gütermenge wurden in Österreich am Brenner insgesamt 73% auf der Straße befördert. Davon nahmen rund ein Drittel aller LKW einen Umweg von 60 Kilometern oder mehr in Kauf, um Kosten einzusparen; jeder fünfte LKW fuhr sogar einen Umweg von bis zu 120 Kilometern. Lediglich 40% aller Transit-LKW waren auf direktem Wege unterwegs – am Gotthardpass in der Schweiz sind dies im Vergleich dazu 97%. Während die Schweiz dank einer hohen und leistungsabhängig berechneten Schwerverkehrsabgabe (Maut) und dem neu gebauten, längsten Bahntunnel der Welt am Gotthard rückgängige LKW-Zahlen verzeichnet, leiden auch die Alpentäler in Norditalien und Frankreich an den Übergängen Mont Cenis/Fréjus an einer viel zu hohen Straßenverkehrsbelastung. In der Schweiz werden von den alpenquerenden Gütern nur noch 28% auf der Straße transportiert (Stand 2020), in Frankreich sind es derzeit noch 88,5%.

Alpentransit in der EU-Politik: die Eurovignette

Innerhalb der EU wird der Rahmen für die Steuerung des Transitverkehrs von der EU-Wegekostenrichtline, der sog. Eurovignette, gesetzt. Im Februar 2022 wurde durch das EU-Parlament eine Aktualisierung der Vorschrift verabschiedet. Diese Novelle strebt mit massiven Vergünstigungen an, den Güterverkehr auf der Straße auf sog. „Zero-Emission-LKW“ umzustellen. Selbst wenn es gelingen sollte, alle LKW in Europa elektrisch oder mit Wasserstoff zu betreiben, wird die Schiene immer noch weitaus nachhaltiger unterwegs sein, da sie den (grünen) Strom ungleich effizienter einsetzen kann. Hierzu kommt, dass einzig und allein grüner Wasserstoff tatsächlich klimaneutral produziert werden kann. Es wird jedoch auf absehbare Zeit weder gelingen genug Ökostrom noch genug grünen Wasserstoff zu produzieren, um die Wirtschaft, den Individualverkehr und (!) den gesamten Straßengüterverkehr in Europa umweltverträglich zu gestalten.

Die angestrebten Vergünstigungen würden die Konkurrenzfähigkeit des Schienenverkehrs massiv untergraben. Derzeit besteht ohnehin schon ein Ungleichgewicht, da jeder Kilometer Schiene mit ungleich höheren Trassengebühren versehen ist. Des Weiteren wird der Schutz besonders belasteter Lebensräume nicht gewährleistet:. Vor allem belastete Gebiete, wie die Alpen oder europäische Ballungsräume, müssen durch regionale Aufschläge im LKW-Mautsystem entlastet werden. Hier werden regionale Zuschläge benötigt, um das Verkehrsaufkommen steuern zu können.

Die nationalen und regionalen CIPRA-Organisationen haben an ihrer Delegiertenversammlung im Oktober 2019 in Altdorf und Ende April 2020 die nachfolgenden Forderungen als Grundlage ihrer Aktivitäten in der Transitverkehrspolitik beschlossen.

Das Verkehrsaufkommen im Alpentransit muss grundsätzlich reduziert, besser gesteuert und auf umweltfreundlichere Transportwege verlagert werden.

  • Auf den Bau neuer hochrangiger Alpentransitstrassen[1] ist zu verzichten.
  • Das Straßenverkehrsaufkommen auf den Transitstrecken muss reguliert und reduziert werden.
  • Im Gütertransit sind für jeden Alpenübergang maximal zulässige Mengen an LKW-Fahrten[2] pro Jahr zu definieren. Ein Handel dieser Kontingente ist zu prüfen (Alpentransitbörse).
  • Überlastungen von Transitstrecken müssen im Speziellen im Straßentransit durch eine Best-Wege-Strategie[3] vermieden werden.
  • Nicht notwendige Transporte (z.B. Leerfahrten) sind zu vermeiden.
  • Die Nationalstaaten sind gefordert, mit entsprechender Infrastruktur (Verladebahnhöfe, Zulaufstrecken, Ausbau bestehender Verbindungen, etc.) ein gesamteuropäisch effizientes Güterverkehrsnetz auf der Schiene zu ermöglichen.
  • Gefahrengüter sind auf der Schiene zu transportieren.
  • Der Güterverkehr darf nicht zu einer weiteren Belastung (Schallemissionen) der Bevölkerung führen. Insbesondere in den engen Alpentälern, wo sich durch die Topografie der Schall sehr weit ausbreiten kann, darf im Speziellen bei der Bahn nur modernstes, schallarmes Rollmaterial eingesetzt werden.
  • Die CO2-Emissionen im ganzen alpinen Transitverkehr (Schiene und Straße) müssen auf null (0) reduziert werden, um im Rahmen der gesamteuropäischen Bemühungen bis 2050 die Klimaneutralität[4] zu erreichen.
  • Die Einhaltung von EU-Grenzwerten (NOx, Feinstaub, Lärm etc.) auf den Transitstrecken sowie in den Ballungsräumen der Alpen muss unter allen Umständen gewährleistet sein.
  • Im Perimeter der Alpenkonvention ist die Höchstgeschwindigkeit zu limitieren, auf 100 km/h auf Straßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen und mindestens zwei Fahrstreifen je Richtung, ansonsten 80 km/h.
  • Im Perimeter der Alpenkonvention ist ein generelles LKW-Überholverbot zu erlassen, geltend für LKW auf Straßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen und nur zwei Fahrstreifen je Richtung.


[1] Gemäß Art. 11, Abs. 1 des Verkehrsprotokolls der Alpenkonvention: «Die Vertragsparteien verzichten auf den Bau neuer hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr.» Dabei gelten gemäss Art. 2/Begriffsbestimmungen als alpenquerender Verkehr der «Verkehr mit Ziel und Quelle außerhalb des Alpenraumes»; als hochrangige Strassen gelten «alle Autobahnen und mehrbahnige, kreuzungsfreie oder in der Verkehrswirkung ähnliche Strassen».

[2] Es ist näher zu untersuchen, ob die sinnvollste Regulierungsgrösse LKW-Fahrten oder Nettotonnen sein müssen, da daraus u.a. unterschiedliche Lenkungswirkungen entstehen.

[3] Bestwegstrategie = kürzester Weg = Vermeidung von Umwegfahrten aus Kostengründen. Damit auch Vermeidung unnötiger CO2-, Lärm- und Schadstoff-Emissionen.

[4] A Clean Planet for all - European strategic long-term vision for a prosperous, modern, competitive and climate neutral economy / Bruxelles, 28.11.2018  / Art2. : The aim of this long-term strategy is to confirm Europe's commitment to lead in global climate action and to present a vision that can lead to achieving net-zero greenhouse gas emissions by 2050 through a socially-fair transition in a cost-efficient manner. (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52018DC0773)

Quellen und weitere Informationen:

Pressemitteilung Land Tirol (16.01.2022): Ein Drittel der Brenner-Lkw hätte kürzere Routenalternative. Umfangreiche Studie zum Lkw-Ausweichverkehr. Online verfügbar unter https://www.tirol.gv.at/presse/meldungen/meldung/lh-platter-und-lhstvin-felipe-ein-drittel-der-brenner-lkw-haette-kuerzere-routenalternative-1/.

Studie im Auftrag der Tiroler Landesregierung, Abt. Mobilitätsplanung (Dezember 2021): Untersuchung der Routenwahl im Alpenquerenden Straßengüterverkehr in Westösterreich und der Schweiz 2019. Online verfügbar unter https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/verkehr/verkehrsdatenerfassung/Studie_
ROUTENWAHL_IM_ALPENQUERENDEN_STRASSENGUETERVERKEHR_2019.pdf
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Schweizer Bundesamt für Statistik (2021): Beförderte Mengen im alpenquerenden Güterverkehr (durch die Schweiz) 2020. Online verfügbar unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/gueterverkehr/alpenquerend.html.

Verkehrsrundschau (28.06.2019): Güterverkehr: In Frankreich dominiert die Straße. Online verfügbar unter https://www.verkehrsrundschau.de/nachrichten/transport-logistik/gueterverkehr-in-frankreich-dominiert-die-strasse-2977065.

abgelegt unter: Alpenquerender Verkehr, Transit

Novelle Eurocharging (Wegekostenrichtlinie)

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Am 17. Februar 2022 wurden die neuen Vorschriften zur Eurovignette im EU-Parlament verabschiedet. Das Ziel der neuen Regelung ist, die Straßenbenutzungsgebühren von einem zeitbasierten auf ein entfernungsbasiertes Mautmodell zu verlagern. Die Mitgliedsstaaten müssen nun die zeitbasierten Vignetten in den nächsten acht Jahren abschaffen und mit der Erhebung von Mautgebühren beginnen.

CIPRA Deutschland hatte gemeinsam mit allen anderen nationalen CIPRAs und CIPRA International Vorschläge für eine effektive Umgestaltung der Wegekostenrichtlinie erarbeitet, damit diese für die genannten Probleme Lösungen bieten kann. Die Appelle zeigten jedoch anhand der Entscheidung der Parlamentarier:innen keine Wirkung.

Neuer Verkehrsminister – Dr. Volker Wissing (FDP)

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Volker Wissing (Quelle: Pressefoto FDP)

Die Verkehrspolitik der kommenden vier Jahre liegt nun in den Händen der FDP unter der Leitung von Dr. Volker Wissing. Die LKW-Maut will dieser CO2-abhängig gestalten, ohne Doppelbelastung durch den CO2-Preis. Ob er die ökologisch kurzsichtige LKW-Politik seines Vorgängers fährt oder einen neuen Weg einschlägt, wird sich in Zukunft zeigen.