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Aus der Mitte der Gesellschaft

13.07.2012 / CIPRA Internationale Alpenschutzkommission
Partizipation der Zivilgesellschaft braucht einen Perspektivenwechsel: eine Entwicklung aus der Mitte der Gesellschaft. Dazu soll nicht die Zivilgesellschaft am Entscheidungsprozess partizipieren dürfen, sondern die Behörden und ExpertInnen partizipieren an einem Prozess der Bevölkerung. Die Entstehung des Parc Ela in der Schweiz zeigt Aspekte dieses Ansatzes.
Aus der Mitte der Gesellschaft
Bild Legende:
Der Schweizer Parc Ela ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bevölkerung des Albulatals und des Surses. © Thom Held
Vor Jahren wollten drei an der Revision des Planentwurfs Graubündens beteiligte Raumplaner nicht warten, bis die Regierung diesen festsetzte und damit die Schaffung von Regionalparks als eine der Entwicklungsmöglichkeiten propagierte. Ihr Vorstoss fand bei der Bevölkerung der dreisprachigen Schweizer Region Albulatal und Surses Gefallen. Die Planer-Idee wurde zum Regionsprojekt. Nach einem monatelangen Gesprächs- und Suchprozess kam jener berühmte Moment, der, wenn er eintritt, Welten bewegen kann.
Während eines Workshops unter Bauern der zwei Talschaften meinte Biobauer Bruno Salis: «All diese Pläne sind beeindruckend. Sie zeigen, was wir alles an Wertvollem bei uns haben. Doch...», er stiess die Unterlagen demonstrativ von sich weg, «das Wichtigste zeigen sie nicht, nämlich: WIR sind der Park!» Diese vier Worte schlugen ein wie ein Blitz. Ab diesem Moment war es ihr Projekt: der Parc Ela. Die Einheimischen übernahmen das Zepter. Regionalplaner, Tourismusberater, Pro Natura und Kantonsvertreter waren nun gern geduldete Coaches des Prozesses und des Kreierens konkreter Ideen. Mehr nicht. Noch jahrelang war der «WIR...!»-Ausspruch Referenzpunkt, wenn die eigene Rolle in Frage gestellt wurde. 2012 anerkannte der Bund den Park. Seitdem heisst es: «Wir sind Park. Nous ischan igl parc. Siamo il parco».

Behörden und Experten partizipieren
Aus dem innersten Kern der Parc-Ela-Geschichte ist eine fundamentale Umkehr von Governance ableitbar: Wir sprechen nicht von «Partizipation der Zivilgesellschaft», erst recht nicht von Partizipation, zu welcher die Behörden die Bürger und Bürgerinnen in einer patriarchalischen Geste einladen. Ausgangs- und ständiger Mittelpunkt sind die «local heroes», Aktivposten der Zivilgesellschaft. Das Denken in «Top-Down» vs. «Bottom-Up» wird überwunden zugunsten einer Entwicklung aus der Mitte der Gesellschaft. Die Umkehr bedeutet: Es sind die Behörden und Experten, die partizipieren. Behördliche «Führung» bedeutet dann: Zuerst empathisches Aktivieren der Menschen vor Ort, damit diese ihre Lust, ihre Kreativkraft und das Vertrauen entdecken können, die Zukunft selbst – als Regisseure – in die Hand zu nehmen. Darauf folgen begleiten, inhaltliche Impulse setzen und beim Netzwerkaufbau über die Region hinaus helfen.

Multilevel-Governance aus dem Lokalen
Jede Region muss ihre eigenen Governance-Formen entwickeln, in Abhängigkeit ihres geschichtlichen, kulturellen, naturräumlichen, politischen oder aufgabenspezifischen Kontextes. Also weg von «Best Practices» von anderswo hin zu den Talenten vor Ort. Dabei stets im Hinterkopf, dass das Lokale in regionalen, nationalen und immer mehr auch internationalen Strukturen und Denkweisen eingebettet sein muss. Dazu braucht es Vertrauen nicht nur unter den örtlichen Akteuren, sondern auch zwischen den institutionellen Ebenen: vom Bürger zur Gemeinde zur Region zum Kanton bis hin zum Bund und zurück. Und es braucht regionale oder externe Vermittler, die dieses gegenseitige Vertrauen aufzubauen helfen und die den anfänglichen Euphoriefunken vor politischen Zugriffen schützen, damit ein gemeinschaftliches, im besten Sinne unternehmerisches Feuer sich entfachen kann. Wenn zuletzt Zukunftstaugliches aus der Küche der Zivilgesellschaft in Verbindliches bei Gemeinden, Kanton und Bund mündet, kann man von einer Multilevel-Governance sprechen, bei der sich die Zukunft aus dem Lokalen heraus entwickelt. «Multilevel» könnte dann Freude für alle auf allen Stufen bedeuten – Bruno Salis sagt es so: «Das Leben ist spannender geworden mit dem Park.»

aus: Szene Alpen Nr. 96 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/4960)