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Die Isar zwischen Wildfluss, Energiegewinnung und touristischer (Über)Nutzung?

07.11.2018 / Anne Heinze
Einmal im Jahr wird vom Jungen Forum ein großes Treffen abgehalten, bei dem ein für die Verbände wichtiges Thema intensiv behandelt wird sowie mit entsprechenden Vorträgen um eine fachliche Betrachtungsweise ergänzt. Grundsätzlich soll dieser Termin aber auch dazu dienen die Themen zur Sprache zu bringen die einer Abstimmung unter den Jugendverbänden bedürfen oder bei denen engere Zusammenarbeit erwünscht ist. Zu Beginn 2018 wurde von den Aktiven das Thema Wasser gewählt. Gleichzeitig ist das Junge Forum im Projekt Living Labs aktiv. In diesem internationalen Projekt sollen nationale Teams sich in ihrem Land mit den Themen Landschaft und Tourismus auseinandersetzen. Um diese Themen mit dem Thema Wasser zu verknüpfen, widmeten wir uns der "letzten alpinen Wildflusslandschaft in Deutschland": der Isar.
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Die VertreterInnen des Jungen Forums mit Isar-Ranger Bernhard März

Tag 1

Obere Isar bei Krün

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Michael Schödl zum Krüner Wehr (Hintergrund)

Morgens halb zehn in Deutschland trafen wir, zehn junge Erwachsene, uns in Garmisch am Bahnhof. Trotz tristem Regenwetter starteten wir höchst motiviert zu unserem ersten Exkursionspunkt Krün an der Isar zu einem Treffen mit Michael Schödl, seines Zeichens LBV-Gebietsbetreuer für die Obere Isar. Die Isar ist hier geprägt durch das 1923 gebaute Wehr zur Umleitung des Isarwassers zum Walchenseekraftwerk. Damals eine Errungenschaft für die Region, wurde doch damit naturverträglicher Strom produziert, wird es heute von vielen eher kritisch gesehen. Zu viele Nachteile bringt es für die Isar mit sich. Der Großteil des Isarwassers wird abgeleitet (ca. 80%). Nur noch ein Bruchteil fließt seit 1990 regulär weiter. Davor wurde sogar das gesamte Wasser zur Stromproduktion genutzt. Die Isar lag in weiten Teilen des oberen Abschnitts an durchschnittlich 300 Tagen im Jahr trocken. Erst in Wolfratshausen bekommt sie heute ihr gesamtes Wasser über die Loisach wieder. Zum Hochwasserschutz wird der Flusslauf in mehrjährigen Abständen ausgebaggert und vom mitgelieferten Kies befreit. Das reduziert die Gefahr, dass der Abschnitt im Ortbereich über den Damm läuft und die Keller vom Grundwasser volllaufen. Der Kies wird der Isar weiter flussabwärts zurückgegeben. Der Kies wandert in die nahegelegene Kiesgrube. Die Isar gleicht hier einem Wildfluss, der den Kies benötigt, um Vögeln und Pflanzen ein Habitat zu geben. Kiesbrüter, wie der Flussregenpfeifer oder der Flussuferläufer, brauchen diese Umlagerungsstrecken. Zumindest der Flussregenpfeifer weicht in Kiesabbaugebiete oder auf Baustellen aus. 

„Es ist hier etwas erhalten geblieben, was anderswo verloren gegangen ist. Trotz Eingriffen ist das eine der letzten Wildflusslandschaften.“

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Das Krüner Stauwehr - rechts Magerrasen, links Stausee

Michael Schödl zeigt uns aber auch ein anderes Bild des am Stauwehr gebauten Stausees und damit auch das Dilemma des Naturschutzes. Es gibt dort einen Magerrasen, der mit Schafen und Ziegen beweidet wird und einen Stausee, der im Winter nicht zufriert. Gäbe es den Stausee nicht, wäre hier die Isar ein Fluss, so ist ein neuer Lebensraum für Pflanzen und Tiere entstanden, der im Winter und Sommer Nahrung und Schutz bietet.

Obere Isar zwischen Wallgau und Vorderriß

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Tamarisken zählen

Zum Schluss zeigte uns Michael die Tamarisken zwischen Wallgau und Vorderriß, eine Strauchart die sich auf Schotterflächen von Voralpenflüssen ansiedelt. Die Tamariske benötigt für eine schnelle Keimung feinkörnigen Streusand und sich regelmäßig umlagernde Kiesbänke. Die Deutsche Tamariske (Myricaria germanica) ist vom Aussterben bedroht. Deshalb werden etwa alle zehn Jahre die Individuen gezählt. Man unterscheidet  junge (reichen maximal bis zum Knie) und  alte (höher als das Knie) Tamarisken. Seit 2014 steigt die Individuenzahl kontinuierlich an. Wir zählten auf einem kleinen Abschnitt circa 130 alte Exemplare und 140 junge. Zum Abschluss gibt uns Michael Schödl folgende Worte mit:

"Es ist unkalkulierbar, wie es sich hier weiterentwickelt. Haltet die Augen offen!"

Sylvensteinspeicher

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Diskussion am Sylvensteinsee über die Energiewende

Nach einer kleinen Mittagspause (welche um unsere Brotzeit vor Regen zu schützen im Bus stattfand) ging es weiter an den Sylvensteinspeicher. Eigentlich wurde er zum Hochwasserschutz gebaut, später dann um Kraftwerke erweitert. Der Stausee hat nicht nur ökologische Folgen, sondern auch soziale. Der Ort Fall musste dem Stausee weichen. An diesem Ort kann man zweifelsohne die Diskrepanz zwischen erneuerbaren Energien, sozialen und ökologischen Faktoren sehen. Schützen erneuerbare Energien die Natur wirklich besser, oder sollte nicht vielmehr der Stromverbrauch der Bevölkerung reguliert werden? Es ergab sich eine angeregte Diskussion zwischen den Teilnehmern zum Thema Energieverbrauch und Konsum. Durch verschiedene Expertisen der Mitglieder des Jungen Forums wurden viele interessante Informationen ausgetauscht.

Abend auf der Lenggrieser Hütte

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Diskussion auf der Lenggrieser Hütte

Unseren Abend verbrachten wir auf der Lenggrieser Hütte. Nach Aufstieg und leckerem Abendessen diskutierten wir noch über die Themen des Tages sowie über die Zukunft des Jungen Forums. So wurden beispielsweise Themenvorschläge für weitere Treffen gesammelt.

Tag 2

Jugendsiedlung Hochland (JuSi), Königsdorf

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Abstieg in Schnee und Nebel, jedoch ohne Regen

Nach einem kräftigenden Frühstück mit Blick auf nebelverhangene und schneebedeckte Berge machten wir uns an den Abstieg zurück zum Parkplatz. Von dort fuhren wir nach Königsdorf zur Jugendsiedlung Hochland, wo uns Robert Wenzelewski empfing. Die Jugendsiedlung ist eine Umweltbildungsstation und führt auch selbst naturverträgliche Bootsfahrten durch. Dabei wird folgendes Konzept befolgt: Schonzeiten während der Vogelbrut werden eingehalten, gefahren wird nur auf bestimmten Strecken, Landungen erfolgen nur an störungsfreien Kiesbänken in Notfällen, es wird kein unnötiger Lärm gemacht und Müll wird wieder mitgenommen. Die Bootsfahrten der JuSi Hochland werden immer nach aktuellen Sicherheitsstandards durchgeführt und von ökologisch geschulten Guides begleitet. Dank diesen Erklärungen wird uns klar, dass es möglich ist, die Isar mit dem Boot zu befahren, ohne einen großen Einfluss auf dieses Ökosystem zu hinterlassen.

Weiterhin erzählt Robert von der Problematik der Freizeitnutzung an der Isar: die größte Gefahr ist das Fahren bei wenig Wasser. Viele Touristen kommen nicht aus dem Wassersport und können daher den Isar-Wasserstand nicht einschätzen. Das kann dann sehr gefährlich für die Fauna werden, da in Flachwasserbereichen gefahren wird, wo Fische ihren natürlichen Rückzugsort suchen oder ablaichen. Im Vergleich zu „früher“ hat die Isar einfach viel weniger Wasser, da für Energiegewinnung Wasser abgeleitet wird. Die gesetzlich vorgeschriebene Restwassermenge ist nur noch ein Bruchteil des ursprünglich verfügbaren Wasseranteils. Der Hinweis, dass Lenggries früher eine große Flößerstadt war und man heute mit einem Floß die Isar nur noch einige Kilometer weit befahren könnte (aufgrund seichten Fahrwassers) lässt einige aus unserer Runde ins Grübeln kommen. Früher war die Isar um einiges breiter, weshalb „automatisch“ durch die natürliche Mäandrierung des Flusses Altwasserarme und sporadisch überspülte Gumpen entstanden, wo Fische laichen können. Daher gab es damals auch nie Probleme mit großen Flößen welche auf der Isar zum Güter- und Holztransport verkehrten.

„Das Problem ist die Einengung der Isar. Aus diesen Grund konzentriert sich heute alles auf einen sehr engen Raum.“

Die Bootsproblematik begann vor knapp 15 Jahren, als erste Rafting-Organisationen gegründet wurden und Fahrten auf der Isar anboten.  Einige Fischer und Naturschützer sehen das Bootsfahren auf der Isar kritisch. Die Jugendsiedlung wurde als Moderator angefragt, um zwischen den einzelnen Interessen der Verbände zu verhandeln. Laut Robert braucht es nicht immer Verbote. Außerdem haben alle Verbände das gleiche Ziel, jedoch mit unterschiedlichen Interessen, weshalb 2015 zunächst eine Interessensklärung  gemacht wurde. Daraus entstand eine freiwillige Selbstverpflichtung. Zunächst waren alle Verbände davon begeistert, als es jedoch ernst wurde, unterschrieben lediglich 12 von 15-20 kommerziellen Anbietern die Vereinbarung. Der Rest veranstaltet weiter Touren, die teilweise umwelt-unverträglich sind und das Problem weiter verschärfen.

"Die schwarzen Schafe nutzen die Isar bis ein Verbot kommt."

 Eine Lösung wäre die Verpflichtung zur Selbstverpflichtung für alle! Die letzte Instanz ist, die Isar zu sperren.

Das Landratsamt hat nun einen Entwurf zu einer Regelung hervorgebracht, welche im Grunde ein Befahrungsverbot für gewerbliche Fahrten darstellt. In dieser Regelung ist vorgesehen, dass man ab Inkrafttreten eine Genehmigung zur Befahrung braucht, generell die Nutzung der Isar für den Bootsverkehr nur noch 6 Wochen/Jahr erlaubt ist und daher auch Bildungsangebote (wie von der JuSi Hochland) ausgesperrt werden würden. Diese Regelung hält Robert Wenzelewski für unsinnig, da es seiner Meinung nach einen Konsens braucht und keine Aussperrung der Nutzer. Für die JuSi ist es enorm wichtig über die Ökologie und den Schutz der Isar aufzuklären. Bei einer Aussperrung der Nutzer, ist dies in Zukunft nicht mehr möglich.

Für die Zukunft wurde das Qualitätssiegel Netzwerk Isar gegründet, ein Netzwerk welches sich als Ziel setzt, die Isar freizeit- und fachsportlich zu nutzen und gleichzeitig die ökologische Vielfalt und Schönheit dieses Naturraums zu erhalten. Wir verlassen Robert Wenzelewski mit der klaren Botschaft:

"Verbote sind keine Lösung."

Isar bei Geretsried

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Müllexperiment an der Isar bei Geretsried

Im Anschluss an das Gespräch mit Roland Wenzelewski ging es nach Geretsried, um dort Fabian Unger (Hotspot-Projektmanager Isar und Loisach) und Bernhard März (Isar-Ranger) zu treffen. Auch hier im doch intensiver genutzten Abschnitt der Isar findet sich auf den ersten Blick ein schöner Naturraum mit kleinen Seitenarmen und Kiesbänken wieder. Fabian Unger koordiniert die Anlaufstelle Isar und Loisach. Ein Ziel des Projektes ist Aufklärung und Sensibilisierung für eine naturverträgliche Freizeitnutzung an der Isar. Eine wichtige Zielgruppe sind Bootsfahrer. Fabian hat mehrere Infostände an Einstiegsstellen in den Schutzgebieten aufgebaut und versucht, Besucherinnen und Besucher für naturverträgliches Verhalten zu sensibilisieren.

Bernhard März zeigt uns Verbauungen am Uferrand, welche errichtet wurden, um ein weiteres Abtragen der Uferbereiche zu verhindern. Trotz menschlichen Eingriffs hat sich die Isar Seitenarme und überspülte Nebenflussbereiche geschaffen. Als kleines „Forschungsexperiment“ haben wir auf mehreren 1 m² großen Abschnitten Müll gesammelt und dokumentiert. Dabei fiel uns allen auf, dass unglaublich viele Zigarettenstummel herumliegen, im Durchschnitt 20 Stück/m². Weitere Fundstücke waren Kronkorken von Bierflaschen, diverse Flaschendeckel sowie Glasscherben. Ein weiteres, doch überraschendes Thema war der Sex- und Nackttourismus. Niemand in der Gruppe hätte gedacht, welch große Ausmaße dieses Thema an bestimmten Teilbereichen der Isar annimmt. Laut Fabian hat der Sextourismus dazu geführt, dass der Großteil der Menschen gerade die Isar zwischen Puppling und Ascholding nicht mehr betreten.

Bernhard ist schon seit bald 30 Jahren Isar-Ranger und seine Hauptaufgabe ist die Aufklärung von Benutzergruppen und Schulklassen. Dabei ist es wichtig, die ökologischen Zusammenhänge zu vermitteln. Viele Leute wissen z.B. nicht, dass ein Kiesbett der Isar nicht nur eine Kies-“wüste“ ist, sondern einen wichtigen Brutplatz für z.B. Flussregenpfeifer darstellt. Er hat auch von Schwierigkeiten berichtet, in denen  ein sensibler Umgang mit Menschen nötig ist, z.B. bei alkoholisierten Gruppen oder uneinsichtigen „Wiederholungstätern“. Gleichzeitig schildert er aber auch Erfolge, beispielsweise wenn ihn Gruppen wiedererkennen oder er einsichtiges Verhalten erlebt.

„Es ist wunderschön zu sehen, dass viele Münchner die Isar lieben und diesen einzigartigen Naturraum schützen wollen“

Fazit

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"Bayrisch Kanada": Die "wilde" Isar zwischen Wallgau und Vorderriß

Die Exkursion an der Isar hat uns tolle Einblicke in verschiedene Problematiken an der Isar gegeben. Es ist ein wunderschöner, im oberen Teil ursprünglicher Naturraum, welcher stark touristisch genutzt wird. Tourismus ist und soll existieren, jedoch weder den Naturraum stark beeinträchtigen noch lokale Bevölkerung durch eine Übernutzung abschrecken. Fakt ist, dass es umweltverträgliche Nutzungsarten gibt, welche in einer gemeinsamen Regelung kommuniziert werden müssen. Es wurde berichtet, dass die lokale Bevölkerung die Isar als wunderschönen Erholungsraum ansieht und das Bewusstsein zur Reinhaltung und Erhaltung vorhanden ist. Gleichzeitig ist es ein komplexes Thema mit vielen Teilaspekten (Touristische Nutzung, Nutzung zur Energiegewinnung, Ökosystem). Durch gebündelte Aktivitäten von Vereinen, Gebietsbetreuern und wichtigen Mediatoren wird versucht, eine gemeinsame nachhaltige Lösung für die Isar zu finden.

Am 9.11.2018 fand im Alpinen Museum auf der Praterinsel ein Fachsymposium „Neue Wege an der Oberen Isar“ statt, organisiert vom DAV. Auch das Junge Forum war dort mit drei Vertretern anwesend. Über viele der hier besprochenen Themen (Restwasser, Bootsthematik und Totholz) konnten sich die drei bereits bei der Exkursion ein Bild vor Ort machen. Entsprechend rege war die Beteilung in den Workshops.

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Mehr Bilder von der Exkursion

Hier findet Ihr weitere Impressionen der Isarexkursion!

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Die Exkursion wurde finanziell unterstützt von Erasmus+ im Rahmen des Projekts Living Labs von CIPRA International.