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Veränderte Geometrien und neue Sichtbarkeit

02.09.2014
Die Zusammenarbeit über den Alpenrand hinaus ermöglicht neue Perspektiven. Eine neue Alpenpolitik benötigt aber vor allem den Einbezug der Zivilgesellschaft. Um im weltweiten Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu bestehen, braucht es Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit gegen innen wie auch gegen aussen.
Bild Legende:
Bildunterschrift: Mehr als ein Gebirge: Mit der makroregionalen Strategie verändert sich auch der Blick Euopas auf die Alpen. © Roman Königshofer, flickr

Umwelt- und Raumordnungspolitik in grossen Massstäben sind in Europa heute selbstverständlich. Makroregionale Planungsräume umfassen Gebiete wie die gesamte Ostsee, den Donauraum und das Mittelmeergebiet. In den Alpen ist solch grossräumiges Denken schon seit langem vertraut. Eine offizielle Alpenpolitik gab es seit den 1970er Jahren mit der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Arge Alp) und seit den 1990er Jahren mit der Alpenkonvention. In diesem Rahmen identifizierten die Alpenländer die gemeinsamen Herausforderungen und entwickelten grenzüberschreitende Lösungsansätze. Wichtige Handlungsfelder waren von Anfang an die Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik sowie der Tourismus und die Landwirtschaft. Mit der zeitweiligen Stagnation der Alpenkonvention und der neuen EU-Strategie für die Alpen stehen wir heute an einem Wendepunkt.

Kleine Erfolge mit der Alpenkonvention

1991 unterzeichneten die Alpenstaaten und die EU die Alpenkonvention. Damit formulierten sie erstmals eine alpenweite Politik für die nachhaltige Entwicklung. Die Euphorie der Gründerjahre der Alpenkonvention ist zwar mittlerweile einer gewissen Ernüchterung gewichen. Die Betonung von nationalen Partikularinteressen führten immer wieder zu politischen Blockaden zwischen den Vertragspartnern. So zog die Alpenkonferenz nicht richtig mit, als Deutschland 2009 wegweisende Vorschläge für einen Aktionsplan Klimaschutz lancierte, oder als die Schweiz 2012 die Auswirkungen der Energiewende zum Schwerpunkt machte. Und auch eine gemeinsame Transitverkehrspolitik kommt nicht vom Fleck.

Doch ob dieser Misserfolge auf der grossen politischen Bühne dürfen die Errungenschaften der Alpenkonvention nicht vergessen werden: Heute gibt es eine funktionierende alpenweite Zusammenarbeit zu zahlreichen Themen und Projekten. Engagierte Netzwerke wie diejenige der Schutzgebiete, der Städte, der Gemeinden und der Wissenschaftler sind im Gefolge der Alpenkonvention entstanden. Einzelne Bundesländer, zum Beispiel in Österreich, formulieren ihre Politik des ländlichen Raums auf Basis der Alpenkonvention. Und es wurden übergreifende fachliche Grundlagen erarbeitet, die für eine zukunftsfähige Entwicklung des Alpenraums essentiell sind. Zu nennen sind hier die Alpenzustandsberichte und die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Plattformen der Alpenkonvention zu einer Reihe von Spezialthemen.

In den Alpen hat sich also nicht alles zum Schlechteren, sondern auch manches zum Besseren gewandelt. Die Verkehrsprobleme stehen, wenn sie auch nicht gelöst sind, immer noch auf den politischen Agenden. Zur Unterstützung des Klimaschutzes sind zahlreiche Positivbeispiele herangewachsen. Im Tourismus und im Natur- und Landschaftsschutz gibt es innovative Leuchtturmprojekte. Und in vielen Alpenregionen sind Kulturschaffende aktiv und tragen so zur Stärkung der regionalen Identität und zu einem neuen Denken in den Alpen bei.

Die Alpen Verschwinden

Der Alpenforscher Werner Bätzing warnt vor dem Verschwinden der Alpen. Der Verlust betrifft natürlich nicht die Berge selbst. Aber der Alpenforscher befürchtet, dass die Alpen als eigenständiger Raum mit ihrer besonderen Charakteristik verloren gehen. Parallel dazu verschwinden die Alpen auch immer mehr aus unserem Bewusstsein. Die Gründe dafür liegen im grundlegenden Wertewandel der Gesellschaft sowie in den veränderten Freizeitgewohnheiten der Menschen, aber auch in der Globalisierung der Politik. Als die Alpenkonvention unterzeichnet wurde, hatte die EU erst zwölf Mitgliedstaaten, jetzt sind es deren 28.

Heute ringen die Alpen in der Öffentlichkeit mit deutlich mehr Themen um Aufmerksamkeit als früher. Dies bedeutet aber nicht, dass die Herausforderungen kleiner geworden sind. Weiterhin steht die zunehmende Übernutzung der urbanen Regionen auf der einen Seite der Unternutzung der durch Strukturschwäche und Abwanderung geprägten Gebiete auf der anderen Seite gegenüber. Der Klimawandel ist in den Alpen deutlich stärker spürbar als anderswo; er zeigt bereits heute deutliche Folgen. Neue Energieprojekte bedrohen die Alpenlandschaft. Die Artenvielfalt geht in den Alpen – als einer der wichtigsten Biodiversitäts-Hotspots in Europa – weiter zurück.

Gibt es eine alpenweite Identität?

Die Alpenpolitik ist mit dem Anspruch gestartet, dass aufgrund gleichartiger Probleme gemeinsame, grenzüberschreitende Lösungen gefunden werden können. Die CIPRA hatte diese Vision schon früh formuliert und die Alpenkonvention als politisches Instrument vorgeschlagen. Doch kann es eine solche, an Problemen orientierte alpenweite Identität überhaupt geben, oder entspricht diese einem reinen Wunschdenken? Tatsache ist, dass die Menschen in den Regionen zwischen Ljubljana und Genua den überbordenden Verkehr, den Massentourismus und die immer intensivere Energienutzung sehr wohl als Belastung wahrnehmen – und dass daraus immer wieder ein solidarisches Handeln über die Regions- und Staatsgrenzen hinaus entsteht. Doch um die anstehenden Probleme endlich ernsthaft anzugehen, ist über die alpenweite Identität hinaus die Rationalität einer aufgeklärten Politik noch viel wichtiger.

Alle sind gefordert

Wohin steuert die Alpenpolitik, angesichts eines schwieriger gewordenen Umfelds in den einzelnen Alpenländern, in der EU und auf globaler Ebene? Viele AkteurInnen der Alpenpolitik haben sich in den letzten zwanzig Jahren darauf konzentriert, neue alpenweite Strukturen aufzubauen und diese auf der politischen Ebene zu etablieren. Eine Vielzahl von Konferenzen, Workshops und Sitzungen, die ihren Niederschlag in einer schier unüberschaubaren Zahl von Dokumenten und Publikationen gefunden haben, zeugen davon. Auch die CIPRA hat sich intensiv an diesen Arbeiten beteiligt und stand bei der Gründung einer Reihe von alpenweiten Einrichtungen Patin. Wir müssen heute die Frage stellen, ob diese Strategie noch zeitgemäss ist und ob sie uns den Antworten auf die offenen Fragen tatsächlich näher bringt. Oder ob sich dadurch die Verantwortlichen nicht noch weiter von der Bevölkerung und von den brennenden Problemen der Alpen entfernt haben. Wie sonst kann es möglich sein, dass nach mehr als zwanzig Jahren Alpenkonvention ernsthaft darüber diskutiert werden muss, ob die Zivilgesellschaft Teil des Prozesses im Rahmen der neuen EU-Strategie für die Alpen (EUSALP) sein soll oder nicht?

Dabei böte die EUSALP, die die Geometrien über die Alpen hinaus verschiebt, tatsächlich Chancen, frischen Wind in die festgefahrenen Strukturen der Alpenkonvention zu bringen. Denn eine fortschrittliche Alpenpolitik darf sich nicht in den Alpen einigeln; dies gilt für die VertreterInnen der Alpenregionen ebenso wie für diejenigen des alpinen Natur- und Umweltschutzes. Zukunftsfähige Lösungsansätze liegen vielmehr in einer europäisch orientierten Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, selbstverständlich mit alpiner Ausprägung. Gefragt ist eine solidarische Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Kräfte innerhalb und ausserhalb der Alpen. Unser erstes Ziel sollte dabei sein, die Alpen als wichtigen Kompensationsraum in Europa wieder sichtbar zu machen und die Alpen damit als eigenständigen kulturellen und ökologischen Raum zu erhalten und zu stärken. Aufgabe der CIPRA ist es, als alpenweites Kompetenznetzwerk Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit für den Alpenschutz und die nachhaltige Entwicklung zu betreiben und die Beteiligten und Betroffenen miteinander zu vernetzen.

 

Dominik Siegrist
Präsident CIPRA International
Professor an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil/CH

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Die «Werkzeuge» der EU

Mit der so genannten Kohäsionspolitik möchte die EU den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt festigen, zum Beispiel mit dem Vertrag von Lissabon und der EU-Strategie 2020. Gesucht wird auch nach neuen Formen der Zusammenarbeit – dazu zählen die Makroregionalen Strategien für den Donauraum, das Baltikum und für die Alpen. Probleme werden möglichst nach dem Subsidaritätsprinzip gelöst, das auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung baut.

http://ec.europa.eu

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Quelle und weitere Informationen: www.cipra.org/szenealpen

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