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Das Recht auf intakte Alpen

20.06.2022 / Paul Kuncio, CIPRA Österreich
Drei Jahrzehnte nach ihrer Unterzeichnung ist die Alpenkonvention in Anbetracht aktueller Herausforderungen wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust relevanter denn je. Welche Hürden zu überwinden sind, um ihre Vision und ihr Potenzial voll auszuschöpfen, erklärt Paul Kuncio.
Bild Legende:
Gerettete Landschaft: Das Naturschutzprotokoll der Alpenkonvention verhindert den geplanten Bau einer Skischaukel über dem Naturschutzgebiet Wahrscheneck/A. (c) Theo Crazzolara

Obwohl ich ein umweltbewusster Student war, der sich am Ende des Studiums besonders mit Umweltrecht auseinandersetzte, dauerte es für mich bis zum Berufseinstieg in einer Umweltorganisation, um die Alpenkonvention zu entdecken. Knapp sechs Jahre später habe ich das Potenzial dieses Vertragswerks verstanden: Es ist viel mehr als ein völkerrechtlicher Vertrag. Es ist anwendbares Recht – vorausgesetzt die Vertragspartei hat die Alpenkonvention und ihre Durchführungsprotokolle ratifiziert. Es ist aber auch eine Institution, zusammengesetzt aus Expert:innen verschiedener Fachbereiche der Alpenstaaten. Das macht die Alpenkonvention im Vergleich zu anderen völkerrechtlichen Verträgen besonders. Die Unterzeichnung am 7. November 1991 in Salzburg, Österreich, war nicht nur der Startschuss für die inhaltliche Konkretisierung der Rahmenkonvention durch die acht Durchführungsprotokolle, sondern auch das Resultat eines seit 1952 im Gründungsdokument der internationalen Alpenschutzkommission verfolgten Ziels: ein alpenweiter Vertrag zum Schutz der Alpen. Mit Fertigstellung der acht Durchführungsprotokolle und deren Unterzeichnung war es an der Zeit für die Alpenstaaten, die Alpenkonvention in ihre nationale Rechtsordnung zu implementieren. In Anbetracht der Tatsache, dass 30 Jahre nach Unterzeichnung der Rahmenkonvention das Vertragswerk nur unzureichend in der Verwaltung, aber auch in der Bevölkerung bekannt ist, zeugt davon, dass bei der Implementierung Fehler gemacht wurden. Daraus resultierend trat die Alpenkonvention nach anfänglicher Aufmerksamkeit in den 2000erJahren mehr in den Hintergrund.

Verbindlich, aber zu wenig beachtet

Recht kann nur dann seine Wirksamkeit und Verbindlichkeit entfalten, wenn es von den Verantwortlichen (Gesetzgeber, Verwaltung) angewendet wird und den Adressaten (Gebietskörperschaften, Alpenbevölkerung, Wirtschaft, Umweltschutz) bekannt ist. Dass es sich bei der Alpenkonvention aber nicht um totes Recht handelt, zeigen etwa die 44 Stellungnahmen der von CIPRA Österreich koordinierten Rechtsservicestelle Alpenkonvention, die teils zur Rückziehung oder Ablehnung diverser Projekte (z.B. Skigebietserweiterungen, Hochspannungs-Stromleitungen) geführt haben. Ausschlaggebend für eine solche Wirksamkeit ist die stetige Bewusstseinsbildung und Forderung, die Bestimmungen der Alpenkonvention ausdrücklich in Verfahren anzuwenden und einzuhalten. 30 Jahre Alpenkonvention zeugen davon, dass es ein langwieriges und schwieriges Unterfangen ist, das Vertragswerk durch alle Verwaltungsebenen bis hin zur Bevölkerung bekannt zu machen. Der Vermittlung der Inhalte kommt daher besondere Bedeutung zu. Gründe dafür mögen die wiederholt kritisierte mangelnde Bestimmtheit, sowie die falsche Annahme sein, dass die Inhalte der Alpenkonvention bereits zur Gänze durch nationales Recht abgedeckt seien. Die zahlreichen deklarativen Bestimmungen, die keine konkreten Gebote oder Verbote, sondern überwiegend Ziele enthalten, lassen das Vertragswerk sperrig wirken. Genau diese Bestimmungen bieten aber die Möglichkeit, nationales Recht im Sinne der Alpenkonvention auszulegen und Entscheidungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung der Alpen zu begründen. Was es dazu bedarf, ist der Mut der verantwortlichen Entscheidungsträger:innen, die Bestimmungen anzuwenden. An dieser Stelle müssen auch die alpinen Vereine – insbesondere die CIPRA – die Einhaltung und Anwendung der Alpenkonvention einfordern, damit dieses besondere Vertragswerk seine Strahlkraft entfalten kann.

Visionär uns sektorenübergreifend

Ein wesentlicher Bestandteil der Alpenkonvention stellt die Gremienarbeit des Ständigen Ausschusses, des Überprüfungsausschusses und der alle zwei Jahre stattfindenden Alpenkonferenz dar. Oftmals im Verborgenen bleiben dabei die thematischen Arbeitsgruppen, in denen Vertreter:innen der Vertragsparteien sowie die Beobachter:innen – wie etwa die CIPRA – zu Themen wie Verkehr, Raumplanung und nachhaltige Entwicklung oder Bodenschutz zusammenarbeiten. Nicht zu vergessen der 2016 eingerichtete Alpine Klimabeirat, der das Alpine Klimazielsystem 2050 (www.alpineclimate2050.org) und den Klimaaktionsplan 2.0 erarbeitet hat. Die Alpenstaaten haben sich damit zu klimaneutralen und klimaresilienten Alpen bis 2050 bekannt und tragen zum Schutz des besonders vulnerablen Alpenraums vor den Folgen des Klimawandels bei. Der Alpenraum steht unter Druck wie nie zuvor, weswegen der sektorenübergreifende Ansatz (Umwelt, Wirtschaft, Soziales, Kultur) der Alpenkonvention 1991 visionär war und heute nichts an Bedeutung verloren hat. Ich wünsche mir für die Alpenkonvention die erforderliche Aufmerksamkeit und die über alle Vertragsparteien hinausreichende Beachtung dieses umfangreichen Vertragswerks und hoffe auf zumindest drei weitere Jahrzehnte grenzüberschreitende Zusammenarbeit aller Akteure zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraums.

Paul Kuncio, Geschäftsführer CIPRA Österreich und Koordinator der Rechtsservicestelle Alpenkonvention

Pionierin aus den Alpen

In den neunziger Jahren war die Alpenkonvention eine Pionierin ihrer Art, indem sie als weltweit erstes internationales  Abkommen eine transnationale Bergregion in ihrer geographischen Einheit betrachtete. Unterzeichnet wurde die Konvention von den acht Alpenländern: Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich,  Schweiz, Liechtenstein, Slowenien und Monaco sowie der Europäischen Union. Seit 1995 ist sie in Kraft. www.alpconv.org