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Das Lebenselixier alpiner Gemeinschaften

01.12.2020 / Bianca Elzenbaumer, Rovereto/I
Wiederbelebte Almen, einzigartige Milchsäurebakterien oder eine Akademie im Bahnhof: Gemeinsam gestalten engagierte Menschen Gemeingüter und Commons und hauchen so verloren geglaubten Orten neues Leben ein.
Bild Legende:
Investition für junge Menschen: Das genossenschaftliche Projekt «Fuoco» belebt stillgelegte Almen neu. (c) Elisa Buguloni

Die Wirtschaft der Alpen, das heisst die Gesamtheit aller Tätigkeiten, die Existenzen sichern und Wohlstand garantieren, stützt sich auf eine jahrhundertealte Tradition der gemeinschaftlichen Verwaltung von Gütern und Ressourcen. Tatsächlich gibt es in den Alpen bis heute Gemeineigentum, bürgerliche Nutzungsgesetze und kulturelle Praktiken, die diese Form der gemeinschaftlichen Verwaltung bewahren und weitergeben. Jede Alpenregion hat ihre eigenen Gemeingüter und Commons, die ein soziales und wirtschaftliches System bilden. Drei Beispiele aus dem Trentino in Italien zeigen, wie die Pflege der Gemeingüter heute zum Elixier für ein gutes Leben in den Alpen wird.

Almen aufwerten

Im Gebiet der «Giudicarie Esteriori», der Tallandschaften nordwestlich des Gardasees, sucht die Bürgergenossenschaft «Fuoco» nach neuen Nutzungsmöglichkeiten für stillgelegte Almen. Sie will ein genossenschaftliches Projekt für die Tourismusentwicklung in den Tälern aufgleisen. Die Genossenschaft sieht sich als Investition für junge Menschen, die die Orte lieben, an denen sie aufgewachsen sind. Die Aufwertung der Almen soll wirtschaftliche Tätigkeit vor Ort ermöglichen und so verhindern, dass die Jugend abwandert und ihren Lebensunterhalt anderswo verdienen muss. Die Genossenschaft «Fuoco» steht deshalb im Dialog mit den lokalen Eigenverwaltungen bürgerlicher Nutzungsgüter (ASUC). Diese traditionellen Institutionen spielen eine wichtige Rolle beim Schutz und der kollektiven Verwaltung lokaler Ressourcen. Die ASUC haben in letzter Zeit mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Ihre Mitglieder sind oft alt, die Teilnahmeregeln streng, ortsspezifisch geprägt und mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. Sie tun sich deshalb häufig schwer, Antworten auf die Veränderungen der heutigen Gesellschaft zu finden. Mit dem Projekt «Fuochi nelle malghe» (Almfeuer) will die Genossenschaft die vielen ASUC vernetzen, um die Verwaltung der Almen als kollektive Güter zu erneuern.

Bakterien bewahren

Auch Roberta Raffaetà beschäftigt sich mit der Welt der Almen und untersucht ein weiteres wichtiges Gemeingut der alpinen Wirtschaft. «Die mikrobielle Biodiversität macht den Käse jeder Alm einzigartig und unterscheidet ihn von allen anderen», erklärt die Anthropologin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Almwirtschaft nach und nach aufgegeben. Wissen, Praktiken und Bakterienkulturen sind verloren gegangen. In den letzten Jahren versuchten einige Organisationen, Forschungsanstalten und junge Menschen, diese Praktiken wieder zu entdecken und gleichzeitig erneuern, um deren kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung aufzuwerten. Die angewandten Produktionsmethoden und Wirtschaftspraktiken sind vielfältig. Sie werden deshalb demokratisch diskutiert, um verschiedene Ansichten in Einklang zu bringen und das kollektive Wissen über Milchsäurebakterien zu bewahren. Denn die sorgen beim Käse für das Geschmackserlebnis, das eine Verbindung zur Natur- und Kulturlandschaft herstellt.

Menschen vernetzen

Ein weiteres Beispiel kommt aus der Stadt und handelt von einem neuen Common. Im Bahnhof von Rovereto entsteht in einem ungenutzten Raum eine Gemeinschaftsakademie. Sie verfolgt das Ziel, die Fähigkeiten, Kenntnisse und Beziehungen, die für ein solidarisches, ökologisches und resilientes Leben im Tal notwendig sind, zu vervielfachen und zu erweitern. Die Akademie hat sich den Namen «La Foresta – Der Wald» gegeben, weil sie sich als ein Ökosystem sieht, in dem neue Synergien und Wirtschaftsformen zwischen verschiedenen Akteuren geschaffen werden: Kulturvereinen, Akteuren aus dem Sozialbereich, der Gemeindeverwaltung, aber auch UnternehmerInnen und EigentümerInnen von stillgelegter Infrastruktur, wie zum Beispiel der Bahn.

Mitbestimmung stärkt Resilienz

Was können wir aus diesen drei Beispielen lernen? Damit die Commons als soziale Systeme zur Vitalität der Alpen beitragen können, müssen sie inklusiv und offen für den Dialog mit der Welt sein, die sich im Wandel befindet. Frauen, junge Menschen und neue Bewohner, die häufig von der Verwaltung traditioneller alpiner Gemeingüter ausgeschlossen sind, müssen die Möglichkeit haben, sich an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Ihre Ideen und Ansichten sind eine Quelle der Erneuerung und Revitalisierung im Rahmen konkreter Projekte. Gleichzeitig gilt es, sie gegen Tendenzen zu schützen, die Mitbestimmungsprozesse allein auf das Kriterium der Effizienz beschränken wollen. Denn nur Zeit, Begegnungen und Beziehungen können eine Gemeinschaft formen, die ein Gut pflegt, das so zu einem gemeinsamen Gut wird und zur Stärkung der sozialen und wirtschaftlichen Resilienz der lokalen Bevölkerung beiträgt. Früher dienten Gemeingüter oder Allmenden wie Wälder, Weiden oder Almen in den Alpen dazu, das harte Leben in dieser fragilen Landschaft zu bestreiten. Heute schützen sie die Biodiversität, eine identitätsstiftende, lokal angesiedelte aber offene Kultur und verbinden die Landschaft mit den Menschen. Durch ihr Wirken tragen sie massgeblich zum Lebensunterhalt der Gemeinschaft bei, weil sie verschiedene Wirtschaftsformen integrieren und ihr zentrales Anliegen darin besteht, das Wohl von Mensch und Natur in Einklang zu bringen.

 

Quelle und weitere Informationen: www.cipra.org/szenealpen