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«Gletscherfräulein» und Gründerin

20.06.2022 / Veronika Mergenthal
Edith Ebers rettete ein Naturdenkmal an einer Alpenstrasse in Deutschland und begründete in den 1950er Jahren die CIPRA mit. Das Engagement der hochbegabten Frau und promovierten Geologin blieb lange Zeit verkannt.
Bild Legende:
Die Geologin Edith Ebers um das Jahr 1928. (c) Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum

«Aber Fräulein, das dürfens fei net.» Ein alter Arbeiter versucht vergebens, die zierliche junge Frau aufzuhalten. Er gehört zu einer Sprengkolonne, die 1935 den Weg für die Alpenstrasse zwischen den bayerischen Städten Traunstein und Bad Reichenhall frei machen sollte. Mit ihrem Sachs-Motorrad hat das «Fräulein» plötzlich gebremst, ist auf die Felsen gesprungen und klopft mit einem geologischen Hammer herum. «Ja, Leute, seht ihr denn gar nichts? Das ist ja ein Naturwunder, das ihr zerstört! Das hier ist ein Gletscherschliff! Schaut doch wie der Stein spiegelt! Viele Jahrtausende lang haben Eis und Wasser ihn so blank poliert! Seht ihr nicht in der Politur die tiefen Schrammen? Die haben im Eis eingebackene scharfe Steine einst eingeritzt!» Mit Wut, Verzweiflung und Traurigkeit reagiert die energische Frau auf das Unverständnis der Männer. So schildert es ein alter Zeitungstext ohne Datum im Archiv der Gemeinde Inzell. Es handelte sich, was niemand wusste, um die promovierte Geologin Edith Ebers, später Hauptinitiatorin bei der Gründung der internationalen Alpenschutzkommission CIPRA. 

Der Sprengtrupp hielt sie für verrückt. Im letzten Moment fiel ihr der Name eines hohen Beamten beim Strassenbau ein, mit dem sie als Studentin fröhliche Skitage verbracht hatte. Sie setzte sich auf ihr Motorrad, gab mit dem letzten Rest ihres Geldes ein Telegramm auf, und kurz darauf erging tatsächlich ein Telegramm an die örtliche Bauinspektion, die Sprengungen sofort einzustellen. «Ein Stück Gletscheruntergrund des eiszeitlichen Saalachgletschers, der aus der Gegend von Zell am See bis hierher vorstieß, liegt vor uns», steht heute auf der kleinen Tafel vor dem Gletschergarten zwischen Weissbach an der Alpenstrasse und Inzell. In der Würmeiszeit entstand hier ein in den Ostalpen einmaliges Naturdenkmal. Edith Ebers rettete es in letzter Minute. Doch wer war das «Gletscherfräulein», wie die Arbeiter sie nannten? Geboren 1894 in Nürnberg, entstammt sie der illustren Familie Knote. Ediths Mutter war hochbegabt und als Geschiedene eine frühe Alleinerziehende. Edith studierte von 1913 bis 1919 Geologie und war 1925 eine der wenigen Frauen, die promovierten. Anfang der 1920er heiratete sie den Münchner Maler Heinrich Ebers. Ihr Name war unter den Eiszeitforschern sehr bekannt. 

Als Vertreterin des Bundes Naturschutz in Bayern nahm Edith Ebers 1951 an der Tagung der Weltnaturschutzunion (IUCN) im niederländischen Den Haag teil, wo vor «Grossangriffen auf die Natur» gewarnt wurde: «So war man bei uns daran, alle Flüsse und Seen zu verplanen, in Frankreich sollten Flüsse abgelenkt werden, in Österreich wollte man die Krimmler Wasserfälle zerstören und (…) in Italien einen Leuchtturm auf das Matterhorn bauen», erinnerte sich Ebers 1969 in einem Brief. Kurzerhand lud sie die Vertreter aller interessierten Länder am 5. Mai 1952 zur CIPRA-Gründungssitzung ins bayerische RottachEgern ein. Ihr Anliegen war, nicht nur internationale Richtlinien gemeinsam auszuarbeiten, sondern auch wissenschaftlichen Austausch zu pflegen. Ihr Engagement für die CIPRA über 20 Jahre blieb bis heute verkannt.