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Das Erdölzeitalter neigt sich dem Ende zu Nicht ewig sprudelt die Ölquelle

08.06.2010 / Daniele Ganser
In den nächsten 20 Jahren ist der Höhepunkt der Erdölfunde erreicht. Es ist ungewiss, wie der Energiehunger der Welt danach gestillt werden soll. Eines aber ist sicher: Mit dem Peak Oil sind auch die Grenzen des materiellen Wachstums erreicht. Erdöl wird massiv teurer. Auch die Alpen müssen sich anpassen.
Ölsandabbau in Kanada
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Rücksichtslose Ausbeutung: Beim Ölsandabbau in Kanada werden die massiven Umweltschäden ausser Acht gelassen. © David Dodge - The Pembina Institute www.pembina.org
Chance für die Alpen als Tourismusdestination in Zeiten der Erdölknappheit?
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Chance für die Alpen als Tourismusdestination in Zeiten der Erdölknappheit? © Artur Riegler
Erdöl ist der mit Abstand wichtigste Energieträger der Welt. Industriell gefördert wird es erst seit 1859, also seit gut 150 Jahren. In dieser aus historischer Sicht relativ kurzen Zeit hat der billige und stete Zufluss von Energie unsere Welt fundamental verändert. In den industrialisierten Ländern der Welt wurde der Wohlstand enorm erhöht. Zudem bildete das Erdöl in vielen Fällen die Basis für die Produktion und den Transport einer Vielzahl von materiellen Gütern.

Der Peak Oil ist ein Naturgesetz
Doch Erdöl ist nur in endlichen Mengen vorhanden. In den nächsten Jahrzehnten wird die globale Erdölförderung das Maximum erreichen, den Peak Oil, und danach zurückgehen (siehe Seite 9, Grafik 1). Auch nach dem Peak Oil gibt es noch Erdöl, aber jedes Jahr weniger. Das Erdölangebot wird schrumpfen, woraus Verteilungskämpfe und Energiekrisen resultieren können. Im Jahr 3000 schliesslich wird ein Historiker auf unsere Zeit zurückblicken und sagen: «Dies war das Erdölzeitalter. Es war eine sehr turbulente Zeit, aber nun ist sie vorbei.» In den USA hat die Erdölförderung ihren Höhepunkt schon 1970 erreicht. Später erreichten auch Norwegen, Grossbritannien, Rumänien, Ägypten und Mexiko den Peak, ihre Produktion fällt. Wer, so die bange Frage, kann diese Ausfälle kompensieren und darüber hinaus den Mehrbedarf der Schwellenländer China und Indien abdecken? Russland scheint am Limit zu sein. Ob und wie stark Saudi-Arabien, Nigeria und Irak die Förderung noch erhöhen können, ist umstritten. Nigeria und Irak sind von Unruhen und Krieg geplagt. Indonesien, das ebenfalls den Peak erreicht hat, musste im Mai 2008 sogar aus der Organisation der Erdöl produzierenden Länder (OPEC) austreten, als es zum Netto-Erdölimporteur wurde. Probleme erkennt man auch in Venezuela und Iran: Dort ist der Treibstoff billig, der Konsum steigt, die verfügbare Exportmenge wird kleiner. «Gerade jetzt, wo die Energienachfrage stark anzieht, geht die Produktion von vielen konventionellen Erdölfeldern auf der Welt zurück», klagte Shell im Juni 2007. Die Zeichen sind deutlich: Es gibt noch Erdöl, aber die Zeit des billigen Erdöls ist vorbei.
Wann der globale Peak Oil kommt, ist unter Experten umstritten. Zentral ist die Einsicht, dass die Erdölförderung nicht endlos erhöht werden kann. 1914 lag die globale Förderung bei einer Million Fass (à 159 Liter) pro Tag, 1945 bei sechs Millionen Fass. In den letzen 50 Jahren folgte ein regelrechter Erdölrausch. Heute liegt die Tagesförderung bei 85 Millionen Fass pro Tag. Doch wie viel höher kann das noch gehen? Die französische Erdölfirma Total warnt, der Peak Oil sei nahe. «Wir können froh sein, wenn wir 100 Millionen Fass schaffen», sagte Christophe de Margerie, der Chef von Total, im November 2007. Wenig später, im Februar 2009, korrigierte er seine Prognose nochmals drastisch nach unten: «Wir werden weltweit nie mehr als 89 Millionen Barrel schaffen.» Gemäss Total sind wir also schon in der «Peak Oil Zone». So oder so: Der Peak Oil ist ein Naturgesetz und kann weder durch Technik noch durch Geld abgewendet werden. Wir stossen an die Grenzen des materiellen Wachstums.

Ständig neue Prognosen
Jeweils im November publiziert die Internationale Energie Agentur (IEA) den World Energy Outlook (WEO), ein Standardwerk zur globalen Energieversorgung, das von den Regierungen in Europa – darunter auch die Alpenländer – als Grundlage für ihre langfristige Energieplanung verwendet wird.
Aus Sicht der Peak-Oil-Forschung ist die wichtigste Zahl im umfangreichen WEO die, welche das Produktionsmaximum beim Erdöl angibt. Es erstaunt sehr, dass diese Zahl immer wieder anders angegeben wurde und dass die IEA ihre Prognosen von Jahr zu Jahr nach unten korrigieren musste. Im WEO 2005 erklärte die IEA noch, die globale Erdölproduktion könne bis 2030 auf 120 Millionen Fass pro Tag gesteigert werden, ein Peak Oil sei weit und breit nicht in Sicht. Die IEA musste diese Aussage dann aber herunterkorrigieren, zuerst auf 116 Millionen Fass, und im Bericht 2008 auf 105 Millionen Fass.
Doch wer die Grafiken im WEO 2009 genau studiert, sieht, dass die produzierenden Erdölfelder einbrechen, und zwar schon heute (siehe Seite 9, Grafik 2, dunkelblaues Feld). Um überhaupt auf 105 Millionen Fass pro Tag im Jahre 2030 zu kommen, hat die IEA selber neue Rohölkategorien eingeführt, die sich auf Erdöl beziehen, das erst noch gefunden oder erschlossen werden muss oder aus verbesserter Ausbeute bekannter Felder stammt (siehe Grafik 2, Seite 9). Ob und wie diese benötigte Menge je produziert werden kann, ist fraglich.
Auf der Basis dieser umstrittenen Grafik erklärte die IEA im WEO 2009 auch, dass der Ölverbrauch noch bis zum Jahre 2030 auf dann 105 Millionen Fass pro Tag gesteigert werden könne. Doch diese Zahl scheint unrealistisch, wie unlängst ein IEA-Insider, der seinen Namen nicht angeben wollte aus Angst seine Stelle zu verlieren, der britischen Zeitung «Guardian» gestand. «Bereits die Zahl 120 von 2005 war Unsinn», so der IEA-Insider. «Aber auch die heutigen Zahlen sind übertrieben, und die IEA weiss das. Viele innerhalb der IEA glauben, dass es nicht möglich sein wird, die Produktion bei 90 bis 95 Millionen Fass pro Tag zu halten. Aber wenn die Zahlen weiter gesenkt werden, befürchten einige, dass an den Finanzmärkten Panik ausbrechen könnte.»

Weniger Güter und mehr Touristen für die Alpen
Seit den Warnungen des Club of Rome in den 1970er Jahren ist bekannt, dass Erdöl und auch Erdgas nur in beschränkten Mengen auf der Erde vorhanden sind und irgendwann eine Krise kommen muss. Dass aber aller Wahrscheinlichkeit schon vor dem Jahre 2020 der Peak Oil erreicht sein wird, ist den meisten Menschen noch völlig unbekannt. «Wir sollten das Erdöl verlassen, bevor es uns verlässt», rät Fatih Birol, Chefökonom der IEA. Diese Warnungen sollten ernst genommen werden.
Gerade auch die Alpenregionen sehen sich durch den Peak Oil vor neue Herausforderungen gestellt. Alles, was nicht in den Alpen produziert werden kann, muss in die Alpen gebracht werden. Die Transporte sind heute billig, weil das Erdöl billig ist. Nach dem Peak Oil werden die Transporte teurer sein. Das heisst, man muss in verschiedenen Bereichen mit höheren Kosten rechnen. Das betrifft nicht nur die Mobilität, sondern auch die Güter und die Heizungen, sofern mit Erdöl geheizt wird. Ohne Anpassung geht es nicht. Es gilt, gut isolierte Häuser, leichte und sparsame Autos sowie erneuerbare Energien verstärkt zu fördern. Auf der andern Seite kann davon ausgegangen werden, dass internationale Flüge nach dem Peak Oil deutlich teurer sein werden – weshalb die Europäer ihre Ferien wohl vermehrt in den Alpen und nicht in der Karibik verbringen werden.
abgelegt unter: Erdöl, Fossile Energien