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Neue touristische Megaprojekte - die Rettung der Alpen?

18.12.2009 / Mario F. Broggi
Touristische Megaprojekte als regionale Hoffnungsträger oder vermeintlichen Goldesel von Grossinvestoren? Mario Broggi geht der Frage nach, welche Akteure letztlich profitieren und welche verlieren.
Andermatt ist in vieler Munde. Auf einer Fläche von 1,5 Millionen Quadratmeter soll im schweizerischen Kanton Uri eine touristische Top-Destination mit 3000 bis 5000 Betten in sechs Hotels, 710 Wohnungen, 30 Villen etc. mit Kosten von einer Milliarde Euro entstehen. Möglich machen will dies der ägyptische Investor Samih Sawiris. Ist damit der Lotto-Sechser für Andermatt vorprogrammiert, nachdem das gleiche Gebiet zwei bis drei Jahre vorher in einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich der "alpinen Brache" zugeordnet wurde?
Ein Augenschein im ortsbildgeschützten Dorfkern zeigt, dass die Belle-Epoche-Hotelbauten einige Patina angesetzt haben. Die grossen Zeiten der Transitroute über den St. Gotthardpass sind vorbei. Schuld daran ist der Bau des bislang längsten europäischen Strassentunnels unten hindurch. Doch damit nicht genug: Auch das Militär, der bisher grösste örtliche Arbeitgeber, zieht sich zusehends zurück aus dem mythischen Verteidigungs-Réduit, dem einstigen Herzen des schweizerischen Abwehrdispositivs im 2. Weltkrieg. So ist der Abschwung vorprogrammiert.
Aber jetzt kommt die Erlösung. Allerdings wird von Andermatt ein Bauernopfer gefordert, nämlich die Fläche von sieben Bauernhöfen. Für Herrn Sawiris mit seinem Erfahrungshintergrund am Roten Meer wohl zu langsam, beschleunigen die Behörden auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene die Bewilligungsabläufe für schweizerische Verhältnisse rasant. Der Bundesrat befreit das Projekt "aus staatspolitischem Interesse" innert drei Wochen nach Gesuchseingang von der Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland. Verständlich, dass der Walliser Volkswirtschaftsdirektor Jean-Michel Cina postwendend gleich lange Spiesse für seinen Kanton verlangt. Schweizweit sind etwa 50 weitere Tourismus-Resorts mit einem Investitionsvolumen von rund sechs Milliarden Franken in Planung. Was das wohl für Begehrlichkeiten nach sich zieht?

Erfolg ohne Garantie
Die Idee der Freizeit-Resorts ist nicht ganz neu. Erinnern wir uns der Retorten in den französischen Alpen oder im Wallis aus den Sechzigerjahren. Das schweizerische "Thyon 2000" beispielsweise ging trotz Anfangseuphorie Konkurs und wurde später zu einem Spottpreis verhökert. Obwohl das Angebot mit Übernachtung, Service, Gastronomie und Freizeitangebot aus einer Hand zeitgeistig seinen Reiz zu haben schien, zeitigte es keinen nachhaltigen geschäftlichen Erfolg. Das Bauen an sich, mit Fixierung auf Wohnungsverkauf mit kurzfristigem Gewinn, bleibt verlockend. Gesucht wären heute aber Geldgeber für die Bewirtschaftung so genannt warmer Betten; also vermietbarer, statt leer stehender Zweitwohnungen. Das ist aufwändig, und wer überprüft dies? Die Überwindung der kurzfristigen Investoren-Logik zugunsten des sich langfristig engagierenden Unternehmertums ist schwierig.

Landschaft ist mehr als nur Idyll
Die Welt wird von der US-Immobilienblase durchgeschüttelt. Und die Resorts, bilden diese nicht ebenfalls eine spekulative Seifenblase? Für Resorts, auch für kleinere, braucht es viel Land. Das steht am ehesten dort zur Verfügung, wo es wirtschaftlich kränkelt. Die schöne Landschaft ist das Kapital des Tourismus. So steht es in den Leitbildern. Doch Landschaft ist nicht nur Idyll, sondern auch Aktionsraum ansässiger Menschen. Werden die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung ausreichend berücksichtigt? Wie vertragen sich die Projekte der Superlative mit den regionalen Besonderheiten? Befürchtungen sind angebracht, dass kurzfristig angestrebte Erfolge, die nur Kunstwelt darstellen, über reale Orte in einer realen Zeit gestellt werden. Resorts scheinen ein touristischer Megatrend zu sein. Deren Realisierung muss aber mit den Grundsätzen der Raumplanung und der Nachhaltigkeit kompatibel sein. Und rentabel. Eine Quadratur des Kreises?


Ein Spezialist für den Naturraum Alpen

Mario F. Broggi ist Stiftungsrat derMAVA-Stiftung für Natur und dort Koordinator für die Alpen. Er war Präsident der CIPRA von 1983 bis 1992 und Direktor der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL von 1997 bis 2004.
www.mava-foundation.org (d/f/e)