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Tourismusbranche ohne Fantasie?

17.07.2006 / Vera Neuhäuser
Tauwetter auf den Gletschern, schneeärmere Winter, ansteigende Schneegrenze - schon heute leidet der Skitourismus. Besonders mehrere schneearme Winter in Folge können Existenz bedrohende Folgen haben. Adieu, Wintertourismus? Die Tourismusbranche reagiert weitgehend fantasielos.
Aufrüsten um welchen Preis?
Als Reaktion auf schneeärmere Winter setzt die Tourismuswirtschaft vermehrt mit Subventionen der öffentlichen Hand auf teure und energieintensive Beschneiungsanlagen. Schneekanonen sollen das Schneeproblem lösen. 128 Millionen Euro habe z.B. Österreich im Jahr 2002/03 in Beschneiungsanlagen investiert, vierfach mehr als 1994/95, erläuterte Dr. Christian Baumgartner, Generalsekretär von Naturfreunde Internationale.

Bayrischer Umweltminister: Schneekanonen keine Lösung
Auch in vielen niedrig gelegenen Skigebieten wird in den Ausbau der Liftinfrastrukturen investiert. Wie Baumgartner ("wir bauen heute an den Liftruinen von morgen") und Prof. Helga Kromp-Kolb ist auch Bayerns Umweltminister Dr. Werner Schnappauf skeptisch: Ein immer stärkerer Konkurrenzkampf um sinkende Skifahrerzahlen sei die Folge - dies sei aus ökologischen wie ökonomischen Gründen nicht der richtige Weg, erklärte Schnappauf auf der CIPRA-Jahresfachtagung. "Bei steigender Schneegrenze, höheren Temperaturen und vermehrtem Regen werden Beschneiungsanlagen auch ökonomisch unrentabel", warnte er. Auch angesichts steigender Energiepreise und endlicher fossiler Energiequellen ein verzweifeltes Anstrampeln gegen einen übermächtigen Feind - den Klimawandel.

Kooperation statt Konkurrenzkampf
Entscheidend sei daher, dass Kommunen aus dem Aufrüstungswettbewerb um Skitouristen aussteigen, indem sie a) alternative Angebote machen und b) als Region mit gemeinsamen Projekten und Angeboten auftreten, betonte Dr. Stefan Köhler, Präsident der CIPRA Deutschland. Kooperationen und gegenseitige Abstimmung der Kommunen seien gefragt, mahnte auch Schnappauf an. Es gibt sie schon, die Kommunen, die diesen Weg beschreiten - und sie sind Vorreiter. Das Gemeindenetzwerk Ökomodell Achental e.V. hat z.B. einen Skibus ins Leben gerufen, der Skifahrer aus den Achentalgemeinden kostenlos ins Skigebiet Hoch-Kössen bringt. Die anderen Gemeinden verzichteten bewusst auf einen Ausbau tiefer gelegener Skigebiete und setzen stattdessen auf sanften Tourismus, der das Naturerlebnis in den Vordergrund stellt. Das Achental hat guten Grund, sich auf schneeärmere Tage einzustellen. Vorerst gute Aussichten auf Schneesicherheit hätten nur Schneepisten, die über 2000 Metern lägen, so Helga Kromp-Kolb. Auch könne das Abdecken von Gletscherabschnitten mit Spezialfolien das Schmelzen nur punktuell verlangsamen.

Alternativen ohne Ski?
Die meisten Tourismusorte entwickeln kaum innovative Alternativangebote zum Skitourismus, obwohl deren Problembewusstsein gestiegen sei, bilanzierte Baumgartner. "Visionäre sind gefragt. Hier könnte die Tourismusbranche Trendsetter werden". Stattdessen würden die meisten Alpenregionen weiterhin beharrlich mit Skitourismus werben. Eine Kunstschneepiste mit chemischen Zusätzen in ansonsten schneefreier, grau-gelblicher Umgebung - sieht so die Zukunft des Wintertourismus aus?
Nicht eine reagierende, sondern eine agierende Tourismuswirtschaft sei hier gefragt. Es gibt auch andere Beispiele: zumindest vereinzelt werben Anbieter mit neuen Marketingstrategien für einen entschleunigten Urlaub: "Wir haben für Sie - nichts".
Im Kommen seien geführte Schneeschuhwanderungen, so Baumgartner. Eisgolf, Lama- oder Eseltrekking, Kutschfahrten auf Kufen oder alternativ Rädern, geführte Nordic-Walking-Touren und Angebote aus traditioneller Kultur und Handwerk sind weitere Alternativen. Wer keine Alternativangebote bieten kann und ohne Schnee zur unattraktiven Reisedestination wird, kann von Reiseveranstaltern schnell "links liegen gelassen" werden, so Tourismusjournalist Klaus Betz.
"Keiner anderen Branche ist es möglich, binnen weniger Tage so grosse Menschenmassen zu bewegen, umzusteuern und zu neuen Zielen zu führen wie eben der Reiseindustrie. Gibt es irgendwo Probleme, kann sich die Branche in Windeseile einer anderen, einer problemfreieren Zone zuwenden".