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Gemeinsam besser wirtschaften

01.12.2020 / Irmi Seidl
Von der Allmende zu den Commons: Gemeinschaftliches Wirtschaften hat in den Alpen Tradition. Selbstorganisierte Initiativen zeigen, dass wir Krisen wirtschaftlich besser meistern, wenn wir auf Kooperation und kleine Strukturen setzen.
Bild Legende:
Die Bausteine für einen sozial und ökologisch verträglichen Umbau sind bereits vorhanden. (c) Caroline Begle, CIPRA International

In den Alpen war mancherorts bis ins 20. Jahrhundert die gemeinsame Nutzung von Wald, Wiesen und Weiden verbreitet. Holz wurde in gemeinschaftlichen Sägereien geschnitten (S. 12-13), der Käse im gemeinsamen Keller gereift und zusammen verkauft. Noch heute finden wir Allmenden, Korporationen, Burgergemeinden und Genossenschaften im Alpenraum (S. 10-11). International werden solche Formen der gemeinsamen Nutzung «Commons» genannt. Seit den 1970er Jahren interessiert sich auch die Wissenschaft dafür. Nachdem Elinor Ostrom 2009 den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Arbeiten zu den Commons erhalten hat, ist die Unanfechtbarkeit des Privateigentums gebrochen. Eines von Ostroms Anschauungsbeispielen war das Bergdorf Törbel im Schweizer Kanton Wallis. Schon eineinhalb Jahrhunderte früher hat der Kleinbauer Franz Michael Felder (1839-1869) aus dem Bregenzer Wald in Österreich die Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftens literarisch beschrieben (S. 18).

Wo liegen heute im Alpenraum Potentiale für Commons? Überall dort, wo Wissen, Kreativität und Engagement im gemeinsamen Tun zusammenkommen – zum Nutzen und Vorteil aller: Wenn z.B. DorfbewohnerInnen gemeinsam Vereinsheime bauen und verwalten, Dorfläden wiederbeleben oder Mehrgenerationenhäuser konzipieren. Ein weiteres Beispiel sind Energiegenossenschaften. Vieles davon wäre in Einzelinitiative und mit Privateigentum nicht möglich.

Starke Gemeinschaften als Voraussetzung

Voraussetzung für solche Aktivitäten und deren Dauerhaftigkeit sind starke Gemeinschaften. Sie sind stark, wenn sie sich regelmässig austauschen, bisherige gemeinsame Nutzungspraktiken kontinuierlich weiterentwickeln und Streitigkeiten lösen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass Menschen schnell zusammenfinden, sich gegenseitig unterstützen und das Gemeinsame in den Vordergrund stellen können. Dies ist eine ermutigende Erkenntnis angesichts der vielfältigen Krisen, vor denen wir stehen. Open-Source-Software und ebensolche Plattformen – ein typisches modernes Commons – haben in der Coronakrise schnell Einsatz gefunden. So konnte Gemüse ohne Umweg über den Markt direkt an die Haushalte geliefert werden, dergleichen die Setzlinge zu HobbygärtnerInnen oder das Mittagessen des Lieblingsrestaurants ins Homeoffice. Und hier liegt weiteres Potential: So könnte die Autoabhängigkeit in Bergtälern verringert werden, wenn Mitfahrgelegenheiten und Lieferfahrten per App koordiniert oder Dienstleistungen per Video-Konferenz erbracht würden.

Gesundheit als Commons 

Ein anderer Bereich des Commonings in den Alpen, also des Herstellens von Commons, ist der Pflege- und Gesundheitsbereich. Schon jetzt gibt es genossenschaftlich organisierte Zeittauschsysteme, bei denen Menschen Pflegestunden erbringen und ansammeln, die sie im höheren Alter einlösen können. Von lokalen Gemeinschaften erstellte Ärzte- und Gesundheitshäuser sind am Entstehen –  manchmal gleich mit Infrastruktur für PflegeexpertInnen, die den Ärztemangel teilweise auffangen. Gesundheitsvorsorge ermöglichen auch Selbsthilfegruppen, Zentren für Gesundheitsberatung oder neue Krankenversicherungskonzepte, bei denen sich Menschen gegenseitig unterstützen.

Eigentum und Geld als Commons

Die wesentliche Grundlage der früheren Allmende-Nutzung war das gemeinsame Eigentum. Privateigentum könnte vermehrt in Gemeineigentum überführt werden bzw. Eigentum in öffentlichen Händen gehalten und lediglich in Erbpacht oder ähnlichen Arrangements überlassen werden. Vermehrt gibt es inner- und ausserhalb der Alpen Organisationen, die Boden und Immobilien aufkaufen, in Gemeinschaftseigentum halten und vermieten oder verpachten wie z.B. BioBoden, die Stiftung Edith Mayron, der Verein «Bodenfreiheit» oder das Miethäuser-Syndikat.

Geld ist ein weiterer Bereich, in dem Gemeingut möglich ist. Bekannt sind die Genossenschaftsbanken, die oft die kleinteilige Geld- und Kreditversorgung sicherstellen (S. 14-17). Es kann sogar noch weiter gehen: Mitten in der Weltwirtschaftskrise von 1932 hat der Tiroler Ort Wörgl eine lokale Tauschwährung eingeführt und so seine Wirtschaft angekurbelt. Ein heute noch existierendes Geld aus dieser Zeit ist das Schweizer WIR-Geld, das 30’000 Schweizer Unternehmen halten und sie in ökonomisch schwierigen Zeiten stärkt, weil es den Handel zwischen den Mitgliedern in Schwung hält. Inzwischen gibt es weitere lokale Geldexperimente, z.B. den «Chiemgauer» oder «La Roue» in den französischen Alpen (S. 9).

Selbstorganisation im wirtschaftlichen Wandel

Oftmals entstehen solche Gemeingut-Aktivitäten, wenn Gemeinden sich engagieren, beispielsweise mit Infrastruktur oder Anschubfinanzierung. Viele Gemeinden wissen dies – und sie wissen um die grosse Wirkung der Selbstorganisation von BürgerInnen. Gemeingut-Aktivitäten zu entwickeln und zu pflegen, stärkt Gemeinschaften auch darin, mit rückläufigem Wirtschaftswachstum klar zu kommen – einem unausweichlichen Trend, wie die letzten Jahrzehnte zeigen. Commons stärken weiter die Resilienz gegenüber möglicherweise anstehenden Strukturbrüchen, seien es Veränderungen im Tourismus (S. 19) oder der grundlegende Wandel von Industriesektoren wie der Automobilbranche oder der Energieversorgung.

Wie Krisen die Wirtschaft transformieren

In wachstumsorientierten Wirtschaftssystemen liefern alternative wirtschaftliche Nischenansätze immer wieder Stoff für öffentliche Debatten um neue Praktiken. Unerwartete Ereignisse und Krisen bringen die Nischenansätze in den Mainstream. So entschieden sich beispielsweise Deutschland und die Schweiz angesichts der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 für den Ausstieg aus der Atomkraft. Voraussetzung für diese Entscheidung waren gesellschaftspolitische Diskussionen sowie technische Entwicklungen zu alternativen Energien der vorangegangenen drei Jahrzehnte. Einflussreich war auch die Anti-Atomkraftbewegung. Auf diese gesellschaftliche Diskussion und Erfahrung konnte die Politik beim Atomausstieg setzen.  

Ein anderes Beispiel für den Weg aus der Nische in den Mainstream ist Carsharing: In den späten 1980ern in Nachbarschaften entwickelt, verbreitete sich diese Idee zunächst nur gemächlich. Grosse Schritte in der IT-Entwicklung und schliesslich GPS-Systeme machten Carsharing zu nationalen und schliesslich internationalen Dienstleistungsangeboten. IT und GPS ersetzen Vertrauen, Zuverlässigkeit und soziale Kontrolle, die anfangs noch elementar waren, damit Carsharing funktionieren konnte. In der aktuellen Coronakrise bauen Unternehmen aus Spargründen zunehmend ihre Fahrzeugflotten ab, führen Carsharing ein und verbreiten so das Konzept weiter.


Quelle und weitere Informationen: www.cipra.org/szenealpen

abgelegt unter: SzeneAlpen, Wirtschaft im Wandel