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Landschaft ist verhandelbar – ihr Schutz nicht

05.04.2019 / Katharina Conradin
Von einer Umgebung, die wir mit unseren persönlichen Geschichten verbinden, verwandelt sie sich immer schneller zur austauschbaren Ressource: Ist unsere Landschaft in den Alpen noch zu retten?
Bild Legende:
NaturschützerInnen überwinden Grenzen: Auch in verbauten Landschaften gibt es Nischen für die Natur. (c) Heinz Heiss Zeitenspiegel

Die Landschaft in den Alpen ist einem tiefgreifenden Wandel unterworfen: Der Mensch zieht sich aus den steileren Lagen zurück und gibt die Bewirtschaftung auf, Wald breitet sich aus. Im Talboden hingegen dominieren Strassen, Agglomerationen oder Intensivlandwirtschaft wie im Flachland.

Verändert sich mit diesen räumlichen Veränderungen nicht auch die Beziehung von uns Menschen zur Landschaft, zu unserer Umgebung? In den Alpen lebt die Mehrheit der Menschen mittlerweile in Städten oder verstädterten Gebieten. Damit sind die «schönen» Alpen, mit denen wir uns identifizieren und die wir als unsere Heimat erachten, in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr aus der direkten Umgebung der Menschen verschwunden. Doch wenn uns die Identifikation mit unserem unmittelbaren Lebensraum fehlt – fehlt uns dann nicht auch die Beziehung zum diesem. Verstehen wir ohne diese Beziehung, warum wir unsere natürliche Umgebung schützen müssen. Und sind wir dann noch bereit, uns für unser direktes Umfeld einzusetzen?

Landschaft ohne Gesicht

Damit wir uns mit der uns umgebenden Landschaft identifizieren und mit ihr in Beziehung treten, muss diese ein Gesicht haben, uns eine Geschichte erzählen. Und diese Geschichte muss individuell und einzigartig sein. Die zersiedelten Talflächen, die ewig gleichen Autobahnraststätten und austauschbaren Einkaufszentren: Sie erzählen uns keine individuelle Geschichte.  Diese Landschaft ist unwiederbringlich zerstört. Sich für sie einzusetzen, erscheint vielen Menschen als sinnlos. Und so erfährt diese Art der Landschaft keinen besonderen Schutz, auch wenn es vielleicht sogar dort schützenswerte und selten gewordene Nischen für die Natur gibt.

Umfassendes Verständnis von Landschaft

Doch Landschaftsschutz unterscheidet nicht allein nach dem Kriterium der Ästhetik. Er schützt nicht nur das «Schöne» in der Landschaft. Vielmehr geht es darum, die Funktionen der Landschaft insgesamt zu erhalten – also als Lebensraum für Mensch und Tier, als geschichtlicher Speicher unseres Tuns oder aber als Kapital für den Tourismus, um nur einige zu nennen.

Doch wie gelingt es uns, Landschaft mit ihren vielfältigen Funktionen ganzheitlich zu verstehen? Wie gelingt es uns, eine landschaftliche Entwicklung herbeizuführen, die nicht kapituliert vor ökonomischen Zwängen und politischen Spielen? In den Alpen sind die Instrumente je nach Land sehr unterschiedlich. Die Schweiz hat ein relativ umfassendes und – im Verhältnis zu anderen Alpenländern – recht restriktives Raumplanungsgesetz mit Kompetenzen auf nationaler Ebene. In Bayern schützt der Alpenplan Natur und Landschaft. In Österreich hingegen werden derzeit viele bislang unerschlossene Landschaftskammern touristisch erschlossen. In Italien konzentriert man sich oft auf das Neue in den Tälern, während alte Dörfer und historische Kulturlandschaften verfallen und zuwachsen.

Auf internationaler Ebene hat die Alpenkonvention nur bescheidenen Einfluss. So regelt das Naturschutzprotokoll den Umgang mit Schutzgebieten. Das Bodenschutzprotokoll verpflichtet Staaten dazu, die vielfältigen Funktionen des Bodens zu erhalten. Auch der Europäischen Landschaftskonvention ist Bedeutung beizumessen. Sie macht die Landschaft erstmals zum Gegenstand eines völkerrechtlichen Instruments und gibt Impulse für einen schonenderen Umgang mit derselben, speziell im urbanen und peri-urbanen Raum.

Es braucht uns Menschen

Was all diesen Protokollen und Konventionen gemein ist: Ohne unseren Einsatz bleiben sie tote Buchstaben. Und gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns mit der Landschaft, die uns umgibt, identifizieren sowie einen Bezug zu ihr und eine Vorstellung von deren Veränderung entwickeln. Ob es der erste Schulwandertag am Berg oder der jugendliche Partytreff im verlassenen Gewerbepark war: Erinnern wir uns an persönliche Geschichten, gewinnt unsere Umgebung ihr Gesicht zurück.  So setzt sich auch die Erkenntnis langsam durch, dass Bürgerinnen und Bürger in landschaftliche Planungsprozesse einbezogen werden müssen. Denn was wir als «schöne» Landschaft empfinden, ist individuell unterschiedlich und verhandelbar. Der achtsame Umgang mit Landschaft ist es nicht.

 

Quelle und weitere Informationen: www.cipra.org/szenealpen

Über das Projekt «Re-Imagine Alps»

In Landschaften sind Beziehungen und Erinnerungen eingeschrieben. Machen wir uns diese bewusst, motiviert uns das zu einem nachhaltigeren Umgang mit der Natur. Das auf drei Jahre angelegte Projekt «Re-Imagine Alps» rückt deshalb Landschaft thematisch in den Mittelpunkt. Dabei nutzt es Erfahrungen und Resultate aus anderen Projekten der CIPRA, wie AlpES, WorthWild oder whatsalp.

Diese Ausgabe von SzeneAlpen markiert den Startpunkt dafür. Zusätzlich verortet ab dem Internationalen Tag der Berge am 11. Dezember 2018 eine interaktive Landkarte Landschaftsgeschichten, -porträts und Lieblingsplätze von Menschen anhand von Fotos, Texten und audiovisuellen Inhalten. Die Karte bildet Aktivitäten der CIPRA-Vertretungen zu Landschaft in den Alpenregionen ab und wird laufend ergänzt. Die Ergebnisse aus «Re-Imagine Alps» werden auf der politischen Ebene der Alpenkonvention und darüber hinaus in Wert gesetzt.

re-imagine-alps.cipra.org