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Scheinargumente und Milchmädchenrechnungen in Debatte um bayerische Seilbahnförderung

07.12.2022 / Uwe Roth, CIPRA Deutschland
Seit 2009 werden in Bayern Modernisierungsvorhaben von kleinen Skigebieten mit bis zu 35% der Kosten subventioniert, inkl. Beschneiung. Trotz aller Argumente, die von Alpin- und Umweltverbänden in Form von Gesprächen, Papieren und einer Petition vorgebracht werden, will der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger die Richtlinie nun für die nächsten drei Jahre verlängern. Die Befürworter der Förderrichtlinie argumentieren dabei allerdings immer wieder mit verdrehten Fakten und Milchmädchenrechnungen und setzen mit einer rein wirtschaftlichen Betrachtung Fehlanreize.
Fotomontage in der Hubert Aiwanger Euroscheine mit einer Schneekanone in der Winterlandschaft verschießt
Bild Legende:
(Bildrechte Aiwanger: Marco Verch; CC BY 2.0)

Seit Jahren setzen sich die unter dem Dach der CIPRA vereinten Alpin- und Umweltverbände BUND Naturschutz in Bayern, Deutscher Alpenverein (DAV), Gesellschaft für ökologische Forschung, Landesbund für Vogelschutz (LBV), Mountain Wilderness Deutschland, NaturFreunde Deutschlands Landesverband Bayern und Verein zum Schutz der Bergwelt dafür ein, ökologischere und sozialere Kriterien bei der Seilbahnförderrichtlinie einzuführen. Bisher allerdings ohne Erfolg. Forderungspapiere, Gespräche mit Politik und Behörden, sowie eine Petition an den Landtag verliefen ergebnislos und das Bayerische Wirtschaftsministerium wird die Richtlinie vermutlich wieder mit nur marginalen Anpassungen fortschreiben.

Die Argumente sind dabei immer die gleichen und es ist bezeichnend, dass sich die Zahlen und Argumentationsketten gleichlautend alle auf einem Flyer des Verbands der Seilbahnen wiederfinden.[1] Dazu ist auch nochmal klarzustellen: Wir positionieren uns nicht gegen das Skifahren an sich. Wir erwarten, dass der Freistaat nicht wahllos alles fördert, was mit Seilbahnen zu tun hat, sondern die Subventionen auch einen Lenkungscharakter haben, hin zu einem ökologisch und sozial verträglicheren Tourismus in den bayerischen Alpen.

Beschneiung ist nicht ökologisch

Eine oft genutzte Aussage, die Beschneiung schütze beispielsweise durch die Schneedecke angeblich die Vegetation vor der Kälte und sei damit sogar gut für die Natur. Dieses Argument, das den Naturschützern erklären soll, wie Natur richtig geschützt wird, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Man fragt sich, wie die alpinen Ökosysteme überleben konnten, als es noch keine künstliche Beschneiung gab. Die ökologischen Schäden der Beschneiung sind belegt und inzwischen in der Wissenschaft weitgehend anerkannt (Bodenverdichtung, Düngeeffekt, Verkürzung der Vegetationsperiode).[2] Davon abgesehen sind die größten ökologischen Probleme der Beschneiung mit dem Landschaftsverbrauch in sehr sensiblen Gebieten verknüpft (Speicherbecken, Leitungsbau und weitere Infrastruktur).

An diesen Auswirkungen ändern auch modernste Beschneiungsanlagen nichts. Diese seien laut den Befürwortern energieeffizienter und damit ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Wird allerdings die graue Energie[3] einkalkuliert, sieht die Rechnung mit Sicherheit schon ganz anders aus. Auch die oft genutzten Rechenbeispiele, die Beschneiung sei nur für 0,x% des bayerischen Gesamtstromverbrauchs verantwortlich, ist eine dieser Milchmädchenrechnungen, die uns immer wieder aufgetischt werden. 16 Mio. kWh können 4000 Vierpersonenhaushalte versorgen. Gleichzeitig die Haushalte aufzurufen, diesen Winter Energie zu sparen, wirkt in diesem Kontext regelrecht zynisch.

Öffentlicher Nahverkehr spart CO2, nicht Ischgl vs. Sudelfeld

Zumindest haben die Befürworter der Seilbahnförderung inzwischen eingesehen, dass der Großteil der Emissionen eines durchschnittlichen Skifahrers bei der Anreise anfällt. Allerdings nutzen sie diesen Fakt, um eine Konkurrenz zu Österreich und anderen Alpenländern, in denen der Skizirkus ganz andere Dimensionen einnimmt, herbeizureden.

Nicht nur, dass eine Förderrichtlinie, die in einer solchen Konkurrenzsituation einseitig eingreift, Wettbewerbsverzerrung ist und damit wohl EU-rechtlich nicht zulässig[4], stellt sich auch die Frage wie stark noch aufgerüstet werden soll, wenn man sich an dieser Konkurrenzsituation ausrichtet. Folgerichtiger wäre es, die Erkenntnis einer klimaschädlichen Anreise als Anreiz zu nehmen, Steuermillionen in den Ausbau von Bus und Bahn in die Erholungsgebiete zu investieren oder zumindest die Förderung der Seilbahnen an entsprechende Kriterien zu knüpfen. Seilbahnbetreiber müssten dann beispielsweise Bus-Shuttles zum nächsten Bahnhof anbieten oder ihren Einfluss in der Lokal- und Regionalpolitik für einen Ausbau der Netze einsetzen.

Ganz grundsätzlich endet diese Argumentationskette ebenfalls in einer Milchmädchenrechnung. Keine dieser so oft zitierten Familien sagt, sie mache keinen Tagesausflug mehr ins bayerische Skigebiet, weil ihnen die Liftanlagen nicht modern genug sind und setzen sich lieber 2-4 Stunden länger ins Auto um zur Konkurrenz über die Grenze zu fahren. Genauso könnte man argumentieren, dass Tagesausflugsziele, was die meisten bayerischen Skigebiete immer sein werden, deutlich mehr Personenkilometer akkumulieren im Vergleich zu den Destinationen in denen die Deutschen klassischerweise ihren längeren Skiurlaub verbringen. Auch hier muss eine ehrliche Diskussion zum Schluss kommen den ÖPNV zu subventionieren, nicht 10er-Sessel und Schneilanzen.

„Soziale Seilbahnen“ als weiteres Scheinargument

Ein weiteres immer wieder vorgebrachtes Argument ist schließlich auch die soziale Komponente mit Bezug auf körperlich eingeschränkte Menschen. Der Naturschützer wolle diesen Menschen das Bergerlebnis vorenthalten, klagen die Befürworter der Seilbahnförderrichtlinie. Ganz unabhängig davon, dass sehr viele Menschen von diesem Bergerlebnis ausgeschlossen sind, weil sie sich die enormen Ticketpreise, verstärkt durch die Beschneiungskosten, nicht leisten können, gibt es inzwischen in allen bayerischen Alpenregionen barrierefreie Aufstiegshilfen um körperlich Beeinträchtigte auch an der Bergwelt teilhaben zu lassen.

Aiwanger blendet ökologische und soziale Realität komplett aus

Das Wirtschaftsministerium gab in diesem Jahr erstmals eine Evaluation der Seilbahnförderrichtlinie in Auftrag.[5] Die Evaluation untersuchte die wirtschaftlichen Effekte der Förderung indem die Genehmigungsbehörden und die Seilbahnbetreiber befragt wurden, welche die Förderung in Anspruch genommen haben. Es wundert nicht, dass das Ergebnis positiv war, blendet die Studie doch die sozialen und vor allem ökologischen Folgen der Förderung aus.

Es ist unbestritten, dass Investitionen in Seilbahninfrastruktur die Einnahmeseite verbessern können. Dies kann aber nicht der einzige Maßstab für Subventionen sein. Selbst die Evaluation kommt nicht umhin, neue Fördervoraussetzungen zu empfehlen, die den Verbändeforderungen nahekommen. So wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass „die umgesetzten Investitionsvorhaben auch mit einem gestiegenen Freizeitverkehr und mit einer Belastung des Straßennetzes durch den motorisierten Individualverkehr verbunden sind. Dies kann wiederum zu Belastungserscheinungen bei der örtlichen Bevölkerung und letztlich auch der Umwelt führen.“[6]

Die örtliche Bevölkerung sollte durchaus erwarten dürfen, dass nur Skigebietsausbauten mit Steuergeld gefördert werden, die ein Mobilitätskonzept vorweisen können. In diesem muss der Betreiber darlegen, wie Überlastungssituationen, die vielerorts durch die Kapazitätssteigerungen erzeugt werden, vermieden werden sollen. Die Evaluation kommt außerdem zu folgendem Schluss: „Es ist wichtig, das Investitionsvorhaben nicht nur solitär, sondern auch in ihrem regionalen Kontext betrachtet werden“6. Damit wird nun auch von dieser Seite die Forderung der Verbände nach seilbahntouristischen Regionalkonzepten unterstrichen.

Als Erfolg wertet die Evaluation, dass die Seilbahnförderung zur Privatisierung der Betriebe beigetragen habe. Wenn nun in einigen Jahren immer mehr kleine Skigebiete zumachen müssen, wie wir es in anderen Alpenländern schon beobachten können, ist zu befürchten, dass die Kommunen wieder einspringen und die Skigebiete retten, da vielerorts die Abhängigkeit vom Skigebiet mit den Kapazitätserweiterungen weiter vergrößert wurde (Stichwort „Systemrelevanz“). Gewinne werden also privatisiert und Verluste sozialisiert, anstatt dass mit den Steuermillionen die so dringend benötigte Diversifizierung der bayerischen Skidestinationen erfolgt.[7]



[2] Veit, H. (2002): Die Alpen: Geoökologie und Landschaftsentwicklung. UTB Geowissenschaften, Ökologie, Biologie 2327. Stuttgart (Hohenheim): Ulmer.
De Jong, C. (2020): Umweltauswirkungen der Kunstschneeproduktion in den Skigebieten der Alpen. Geographische Rundschau 6:34-39

[3] Energieverbrauch bei der Produktion der Anlagen selbst und sonstiger Infrastruktur

[4] Bereits in der Präambel der Richtlinie wird darauf verwiesen: „Die Richtlinien halten sich daher insbesondere hinsichtlich der Definition von „kleinen Skigebieten“ streng an die Vorgaben der EU-Kommission in ihrer Entscheidung vom 27. Februar 2008 für das italienische Skigebiet Venetien (N 731/2007).“

[6] Ebd. S. 10

[7] Ebd. S. 7