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Der Grundstein einer gemeinsamen Alpenpolitik

07.02.2011 / Andreas Götz
Die Alpenkonvention schafft Raum für Visionen - Sie sind das höchste Gebirge Europas, Lebensraum für knapp 14 Millionen Menschen, für 30’000 Tier-und 13’000 Pflanzenarten. Die Alpen sind eine besondere Region – und ein besonderes Abkommen soll ihre nachhaltige Entwicklung sichern. Über das Experiment «Alpenkonvention»: Was sie ist, warum es sie braucht,wo sie hinkt und was sie kann.
Flaggen der acht Vertragsparteien der Alpenkonvention
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Flaggen der acht Vertragsparteien der Alpenkonvention © Laurent Mignaux, Meddat
Die UmweltministerInnen der Vertragsparteien unterzeichnen die Alpenkonvention am7. November 1991in Salzburg/A.
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Die UmweltministerInnen der Vertragsparteien unterzeichnen die Alpenkonvention am7. November 1991in Salzburg/A. © CIPRA International
Salzburg im November 1991. Die UmweltministerInnen der sieben Alpenstaaten und der Europäischen Union setzen ihre Unterschriften unter ein viersprachiges Papier und damit unter ein gemeinsames, verbindliches Ziel: «unter Beachtung des Vorsorge-, des Verursacher- und des Kooperationsprinzips eine ganzheitliche Politik zur Erhaltung und zum Schutz der Alpen […] unter umsichtiger und nachhaltiger Nutzung der Ressourcen sicher[zustellen].» Mit der Unterzeichnung des «Übereinkommens zum Schutz der Alpen», kurz Alpenkonvention, treten die Alpenstaaten erstmals als ein Akteur auf, gehen einen gemeinsamen Weg in der bisher nationalstaatlich geprägten «Alpenpolitik».

Für einen lebenswerten Alpenraum
Die Alpen sind durch ihre Topographie ein sensibles Ökosystem, an das verschiedene, miteinander in Konkurrenz stehende Ansprüche gestellt werden: TouristInnen wollen schnelle Aufstiegsanlagen, TransporteurInnen breitere Strassen und die Menschen, die in den Alpen leben, Arbeit und ein Heim. Die Probleme, die daraus entstehen, sind im französischen Manosque ganz ähnlich wie im österreichischen Mürzzuschlag. Allerdings: Die breite Öffentlichkeit begann erst in den 1970er Jahren zu verstehen, dass ein ungebremstes Wachstum von Tourismus, Verkehr und Siedlungen Folgen für Mensch und Natur in den Alpen hat – und dass es daher gemeinsame Lösungen braucht. Zwar wurden auf regionaler Ebene Arbeitsgemeinschaften gegründet, aber man beschränkte sich auf den Austausch von Informationen.
Die Alpenkonvention wurde zum Grundstein einer neuen «Alpenpolitik»: Statt politischer Absichtserklärungen wollte man verbindliche, einklagbare Regelungen festlegen, die alpenweit gelten sollten. Da die Alpen nicht nur ein Naturraum, sondern auch ein Lebens- und Wirtschaftsraum sind, beschränkte man sich nicht auf ein Thema wie bei anderen internationalen Konventionen. Ökologische Tragfähigkeit sollte mit ökonomischer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit verbunden werden. Trotzdem: Die politische Zuständigkeit liegt bei den Umweltministerien und im offiziellen Titel wird nur der ökologische Aspekt genannt. So wird immer wieder der Vorwurf laut, die Konvention sei bloss eine «Käseglocke», die die Ökonomie zugunsten des Umweltschutzes ausbremse. Tatsächlich aber ist ihr Ansatz von Nachhaltigkeit sehr breit, was dazu führt, dass die Umsetzung und rechtliche Überprüfung der Konvention sehr komplex ist.

Zwölf Themen, acht Protokolle, zwei Deklarationen
Die Alpenkonvention ist ein Experiment. Es ist der erste Versuch einer grossen Gebirgsregion, ihre zukünftige Entwicklung durch einen gemeinsamen Vertrag zu lenken. Dafür gibt es keine Vorlage. Auch die Europäische Union kennt keine alpenspezifische Politik oder Verwaltung.
Die Alpenkonvention besteht aus einer allgemeinen Rahmenkonvention mit Grundsätzen. Ihr Herzstück aber sind die acht Protokolle, die festlegen, wie die Ziele konkret erreicht werden sollen. Sie wurden noch in der Anfangseuphorie der 1990er Jahren ausgearbeitet. Weitere geplante Protokolle wie «Wasserhaushalt» oder «Bevölkerung und Kultur» kamen nie zustande. Zu Letzterem gibt es seit 2006 eine nicht verbindliche Deklaration, wie auch zu «Klimawandel».
Eine Pflicht, die Durchführungsbestimmungen zu unterschreiben, gibt es nicht. Im Grossteil der Staaten sind sie in Kraft. Italien und die Schweiz hingegen haben kein einziges Protokoll ratifiziert. In die Reihe jener Vertragsparteien, die sich zieren, stellt sich auch die Europäische Union. Die Protokolle selbst sind grösstenteils recht schwammig formuliert. Diese Unschärfe erschwert die rechtliche Umsetzung. Für die Mehrheit der Staaten dient diese Vagheit ausserdem als Vorwand, dass ihre Rechtsordnung nicht an die Protokolle angepasst werden müsse. Vor Gericht ist es demnach schwierig, einen Verstoss gegen die Alpenkonvention geltend zu machen. Auch ist es nicht möglich, einen Staat für einen Verstoss gegen ein Protokoll zu verurteilen. Alpenkonferenz und Ständiger Ausschuss (siehe Seite 7) können nur mahnen und appellieren. Es fehlt am Willen der nationalenPolitikerInnen, diesen beiden Organen grössere Kompetenzen zu geben. Ist die Alpenkonvention also nicht mehr als ein zahnloser Papiertiger?

Das Gesicht der Alpenpolitik
Das «Übereinkommen zum Schutz der Alpen» steht im Vergleich zu anderen Konventionen nicht schlecht da. Es ist europaweit der konkreteste Versuch, ein umfassendes Konzept der nachhaltigen Entwicklung in einer grossen und vielsprachigen Region umzusetzen. Nach seinem Vorbild wurde 2003 die Karpatenkonvention unterzeichnet (sieheSeite 11). In den Alpen wurden inzwischen, durch die Konvention angeregt, Netzwerke geknüpft (siehe Seite 10). Es geht um Wissenstransfer, Kooperationen und um die Umsetzung der Ziele der Alpenkonvention. Der Vertrag bringt so Menschen zusammen, schafft ein Bewusstsein für die Alpen und Identifikation mit einem besonderen Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum. In diesem Geiste werden Projekte zu einzelnen Themen lanciert, die in der Alpenkonvention nicht enthalten sind. Klimaschutz zum Beispiel. Im März 2011 vergibt Liechtenstein einen hoch dotierten alpenweiten Architekturpreis für nachhaltiges Bauen. Ziel des Wettbewerbs: Sichtbar machen, wie das Klima konkret geschützt werden kann. Damit schafft die Alpenkonvention Raum für Visionen – und genau darin liegt ihre Stärke.
Soll die Alpenkonvention aber wirklich sichtbar werden, braucht es mehr solch erfahrbare Resultate. Der unpräzise, mancherorts unbeliebte Text könnte dann der gemeinsamen «Alpenpolitik» ein Gesicht gegeben. Die Alpenstaaten müssen aber die Courage haben, über die Konvention als «lästiges Umweltschutzpapier» hinaus zu denken, sie vollständig zu geltendem Recht und als Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen, und ihren Geist mit Umsetzungsprojekten erlebbar zu machen.

aus: Szene Alpen Nr. 95 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/4586)
abgelegt unter: Alpenkonvention, Staatsabkommen