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#Alpentourismus

08.08.2019 / Maya Mahias
Einsame Bergseen, malerische Ortschaften, unberührte Natur: Die Tourismuswirtschaft in den Alpen vermittelt die immer gleichen Bilder. Im slowenischen Bled zeigt sich beispielhaft, wie Massentourismus das Leben bestimmt. Die CIPRA fragte an ihrer Tagung: Wie die eigene Identität stärken?
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Objekt der Begierde: Die Insel in Bled ist eines der beliebtesten Fotomotive. (c) Uroš Abram, Kostanjevica na Krki/Sl

Gregor schiebt seine Sonnenbrille in die Stirn und stützt sein Bein beim Erzählen lässig auf der Pletna ab, dem traditionellen Plattenboot aus Lärchenholz mit dem blau gestreiften Sonnendach. Die Gesichter der Umstehenden blicken ihn verständnislos an. Bürgermeister Janez Fajfar erhebt seine mächtige Stimme und übersetzt ins Englische, ihre Mienen hellen sich auf.

Gregor ist Pletna-Bootsführer. Er fährt seine Gäste über den See zur berühmten Insel von Bled. Die Bootsfahrten haben Tradition und sind schon lange Teil des Stadtbilds und Selbstverständnisses der slowenischen Kleinstadt. Pletnafahren ist Familiensache, vernehmen die Umstehenden aus dem Mund des Bürgermeisters. Die heissbegehrten Lizenzen werden von Generation zu Generation weitergegeben, erzählt Gregor. Janez Fajfar übersetzt wortgewaltig. Früher sei es ein Zusatzverdienst für arme Leute gewesen, heute ein lukrativer Job. «Seit sechs Generationen rudert meine Familie die Pletna.»

Germanisch-slawisch-romanische «Alpenmischung»

Die Umstehenden sind aus verschiedenen Alpenländern nach Bled gereist, um bei der gemeinsamen Jahrestagung von CIPRA International, CIPRA Slowenien und vom Gemeindenetzwerk «Allianz in den Alpen» über Tourismus und Lebensqualität in den Alpen zu diskutieren. Der Tourismus hat relativen Wohlstand in die Alpen gebracht. In vielen Regionen ist er nach wie vor eine wichtige Einnahmequelle. Gleichzeitig bringt er jedoch auch Herausforderungen mit sich, wie Übererschliessungen oder ungelenktes Wachstum. Viele Gäste, eine lautstarke Fun-Szene und Blechkolonnen rufen bei den Einheimischen vielerorts Skepsis gegenüber dem Tourismus hervor.

Bled als Tagungsort ist ein anschauliches Beispiel dafür. Die idyllische Lage am See, die mittelalterlichen Höhenburg und das beeindruckende Bergpanorama der Julischen Alpen und Karawanken machen die 8'000-Seelen-Gemeinde in den slowenischen Alpen zum Tourismusmagneten. Mit 8’000 Gästebetten verdoppelt sich die Anzahl der Menschen während der Hochsaison – eine Herausforderung für Politik, Bewohnerinnen und Bewohner.

Eine Kulisse von nationaler Bedeutung

Die Helden von Bled heissen Arnold Rikli, Ivan Kenda, Anton Vork, Jula Molnar. Streng blicken sie von steinernen Reliefs an der grünen Gedenksäule unter den schattigen Bäumen im Kurpark. Selber erkrankt, habe der Schweizer Naturheiler Rikli Bled 1855 als Kurort entdeckt – und das Konzept später in die Schweiz zurückexportiert, wie Fajfar behauptet. «Kein Alkohol, kein Fleisch, jeden Morgen den Berg hoch.» Der Bürgermeister schüttelt sich. Die dunkelblaue Jacke lässig um die Schultern gelegt, den Geniesserbauch unter dem karierten Hemd vorstreckend, erzählt er aus der Geschichte Bleds, als ob er dabei gewesen wäre. «Luft, Sonne und Wasser können alles heilen», zitiert er Rikli. Migration habe es schon immer gegeben: Bauernkrieger Peter Passler im 16. Jahrhundert, reiche Juden während des zweiten Weltkriegs… Das Ergebnis sei eine germanisch-slawisch-romanische «Alpenmischung» – und die Häufung des Namens Peter in vielen Familien.

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«Der Tourismus ist schnelllebiger geworden.»

Selber spricht der Bürgermeister, der die Geschicke Bleds seit 2006 lenkt, acht verschiedene Sprachen. Er stellt eine rasante Entwicklung fest: «Der Tourismus ist schnelllebiger geworden.» Für viele sei Bled nur ein kurzer Stopp auf der Europa-Reiseliste, den es abzuhaken gelte. «Für uns stellt sich die Frage, wie wir die Gäste länger hier behalten können.» Und wie sie ihnen beibringen könnten, nicht überall zu baden. «How to behave», heisst ein Kurzfilm, den die Gemeinde vor kurzem gedreht hat.

«20, 21, 22…» die jüngeren Exkursionsteilnehmenden sitzen auf der Mauer und zählen die ankommenden Busse im Zehnsekundentakt. Sie haben als erste den Burghügel erklommen und warten oben auf die Gruppe rund um den Bürgermeister. Die Busse spucken Touristinnen nach Touristen aus. Diese halten ihre Kamera hoch, machen ein paar Selfies mit dem Kran, der Baumulde und der mittelalterlichen Burg im Hintergrund und reihen sich in die Schlange ein. Menschen aus Asien, Europa, Amerika, Afrika warten in der Mittagssonne vor dem Tickethäuschen, manche mit Schirm, andere mit Sonnenhut, alle mit Kamera.

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Die Burg ist zwar die Attraktion in Bled, doch die Gemeinde bekommt nur den Verkehr ab. Vor einiger Zeit, als sie immer mehr Gäste anzog, hat der slowenische Staat sie zum Staatseigentum erklärt und heimst seither die Eintritte ein. Sie sei, so hiess es, ein Kulturgut von nationaler Bedeutung.

Auf der kopfsteingepflasterten Burgterrasse, dem touristischen Epizentrum, liegen Gäste aus aller Welt auf der Lauer und schiessen über die Burgmauer hinweg Fotos von der Insel im See. Durch die sozialen Medien, Zeitungen und das Internet in die Welt getragen, verspricht dieses Bild Idylle, Kulturerlebnisse und Einzigartigkeit. Um genau dieses Foto zu schiessen, stürmen jedes Jahr Tausende Touristinnen und Touristen die Kleinstadt und die Burg. Mal schneebedeckt im Winter, mystisch im Nebel oder auch im satten Blattgrün wie am heutigen Frühlingstag Ende Mai 2018 – das Licht, die Jahreszeiten ändern sich, das Motiv bleibt. Was diese Fotos nicht zeigen, sind die Massen links und rechts. Die Exkursionsteilnehmenden zücken ebenfalls ihre Smartphones.

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In der kleinen Bäckerei Zima drängen sich Menschen dicht an dicht und versuchen, die Aufmerksamkeit von Besitzer Klemen Zima zu erregen. «One of these, one of those please!». Der Geruch nach Frischgebackenem und Süssem liegt in der Luft. Zum Abschluss eines Besuchs von Bled gehört eine Cremeschnitte. Bilder an der Wand erzählen von der Vergangenheit: Seit 1880 gibt es die Bäckerei, seit 2007 führt die Familie Zima den Back- und Konditoreibetrieb. Die Angestellten eilen hin und her, um die Kundschaft zu verköstigen. Für einen Schwatz mit den Gästen bleibt keine Zeit. Aus der Backstube wird gleich das nächste Blech der mit Puderzucker bestäubten Süssigkeit geliefert.