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Der Klimawandel findet statt

19.07.2006 / Thomas Frey
Expertinnen und Experten sind sich einig: Das Klima wandelt sich in rasantem Tempo. In den Alpen sind die Temperaturen in den letzten 50 Jahren wesentlich schneller angestiegen als, im weltweiten Durchschnitt.
"Wir befinden uns inmitten eines umfangreichen globalen und regionalen Klimawandels mit erheblichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen", so Prof. Wolfgang Seiler vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch Partenkirchen auf der CIPRA-Jahresfachtagung in Bad Hindelang. "Die bodennahe Temperatur ist in den letzten 120 Jahren weltweit um ca. 0.8 °C angestiegen. Dieser Anstieg hat sich in den letzten 30 Jahren noch einmal deutlich beschleunigt. Im Alpengebiet hat die Temperatur in den vergangenen 50 Jahren um bis zu 1.5 °C zugenommen. Im Vergleich dazu betrug die Temperaturdifferenz zwischen der heutigen Warmzeit und der letzten Eiszeit gerade einmal 4-5 °C. Gleichzeitig haben sich die Niederschlagsmengen und ihre saisonale Verteilung signifikant verändert."

Auswirkungen schon deutlich spürbar
Die Auswirkungen des Klimawandels sind heute schon bei uns in den Alpen spürbar. Das zeigt beispielsweise der Rückgang der Tage mit Schneebedeckung in deutschen Skigebieten in den letzten Jahren um ca. 13% oder das Auftreten von drei so genannten hundert- bis vierhundertjährigen Hochwassern innerhalb von sechs Jahren im bayerischen Alpenraum.
Als Folge des Klimawandels haben sich seit den 1960er Jahren die Wetterkatastrophen verdreifacht, bilanzierte Dr. Gerhard Berz, ehemaliger Leiter der Abteilung Geo Risiko Forschung der Münchener Rück. Zwischen 1980 und 2005 habe es weltweit 15.000 Schadensereignisse gegeben, die zusammen 1.5 Millionen Todesopfer forderten - zwei Drittel gingen dabei auf das Konto von Wetterkatastrophen. Die volkswirtschaftlichen Schäden beliefen sich auf 1.63 Milliarden US Dollar.
Bergregionen gehören dabei zu den besonders anfälligen Regionen. Folgen der Extremwetterereignisse sind dort u.a. Hochwasser und Muren. Es gibt bereits heute bis zu 30% mehr Niederschlag, der Hochwasserereignisse weiter begünstige, so Prof. Helga Kromp-Kolb, Klimaexpertin des Instituts für Meteorologie der Universität Wien. Durch das Auftauen alpiner Permafrostböden steigt das Risiko für Rutschungen. Ausserdem haben inzwischen auch Gebiete mit Naturgefahren zu kämpfen, die bisher als sicher galten. Und in Zukunft werden es deutlich mehr Regionen sein, die als Risikogebiete einzustufen sind. Im Alpenraum werden die naturgefahrensicheren Siedlungsräume damit kleiner.

Ursache Mensch
Als Ursache für diesen Temperaturanstieg wird von Wissenschaftlern wie Wolfgang Seiler zu 70% der Mensch angesehen. Seit der Industrialisierung steigen die durch den Energieverbrauch bedingten CO2-Emissionen exponentiell an. In den nächsten 30 Jahren wird unabhängig vom Kyoto-Protokoll ein weiterer Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen um über 50% prognostiziert. Auch wenn ab sofort der Klimagasausstoss massiv reduziert würde, ist der zukünftige Temperaturanstieg wegen der Trägheit der Systeme nicht mehr aufzuhalten. Die Aufgabe der heutigen Generation liegt deshalb umso mehr darin, Klimaschutz für die nächste Generation zu betreiben!
Die Spannweite des möglichen durchschnittlichen Temperaturanstieges wird vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zwischen 1.4 und 5.8 °C geschätzt (siehe Grafik S. 5). Es muss gelingen, durch intensive weltweite Klimaschutzanstrengungen, den Temperaturanstieg im unteren Bereich dieser Spannweite zu halten.
Dazu ist nach Wolfgang Seiler eine Verringerung der Klimagasemissionen bis zum Jahr 2100 im Vergleich zu 1990 global um 50%, in den Industrieländern um 80% nötig. Ansonsten sind weltweit katastrophale Folgen zu erwarten, die das bisher Geschehene weit in ihren Schatten stellen: Starkniederschläge verursachen Hochwasser, Stürme und Hurrikane verwüsten ganze Landstriche, Hitze- und Trockenperioden führen zur Ausbreitung der Wüsten, zu Missernten und zu Kreislaufzusammenbrüchen bei Menschen. Die schrecklichsten Auswirkungen werden dabei die südlichen Länder zu tragen haben.
Es ist daher notwendig, dem Klimawandel zweigleisig zu begegnen: Zum einen müssen alle Potenziale zum Klimaschutz genutzt werden. Zum anderen ist es zwingend notwendig, ökologisch und ökonomisch tragfähige Anpassungsstrategien weiter zu entwickeln.

Das Klima von morgen ist die Aufgabe von heute
Anpassungen sind in vielen Bereichen notwendig: Beim Hochwasserschutz, den Frühwarnsystemen, der Land- und Forstwirtschaft oder dem Tourismus. Es gibt dabei aber nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner. So steht zum Beispiel der Land- und Forstwirtschaft ein neues Betätigungsfeld bei der Erzeugung von Biomasse ins Haus.
Anpassungen brauchen aber ihre Zeit. Da es sich bei vielen Massnahmen um Veränderungen an Infrastrukturen handelt, muss heute mit den Planungen begonnen werden. Denn Erfahrungen zeigen, dass Infrastrukturprojekte von der Planung bis zur Fertigstellung oft 30 Jahre benötigen, so Wolfgang Seiler. Um also die Auswirkungen der Klimaänderung in 30 Jahren besser beherrschen zu können, müssen wir heute handeln.

Erfolge beim Klimaschutz sind möglich
Klimaschutz muss immer aus einem Bündel von Massnahmen bestehen. Das grösste Potenzial liegt in der Energieeinsparung. Die Änderung finanzieller Anreizsysteme ist eine elegante Methode, welche dem Staat zudem nichts kostet. Viele Gesetze, Verordnungen und Regelungen bieten heute keinen Anreiz, Energie einzusparen. Wolfgang Seiler sieht in Deutschland daher Änderungspotenziale u.a. beim Mietrecht, der Kraftfahrzeugsteuer, der Wärmeschutzverordnung, der Entfernungspauschale oder der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure.
Daneben ist der Austausch fossiler Energieträger durch CO2-neutrale regenerative Energieträger nötig. Dass eine solche Umstellung unter den heutigen Rahmenbedingungen möglich ist, zeigt die Gemeinde Wildpoldsried, zu der eine Exkursion auf der CIPRA-Jahresfachtagung führte. Sie erzeugt durch viele dezentrale Wind-, Biogas-, Wasserkraft- und Solaranlagen das Zweieinhalbfache des eigenen Stromverbrauchs (siehe auch Interview mit dem Bürgermeister der Gemeinde auf S. 8).
Dass umweltpolitische Massnahmen zielführend sein können, beweisen die Erfolge bei saurem Regen, FCKW, Abwasser und dem Abfall. "Wir haben alle technischen Voraussetzungen um die genannten Klimaschutzziele zu erreichen", so Wolfgang Seiler. "Warum sollen wir diese Erfolge nicht auch beim CO2 erreichen?"