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Respecter le vide – die Leere respektieren

14.10.2016
Unmöblierte Räume sind zentral für unser Wohlbefinden. Karina Liechti und Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz plädieren für einen neuen Blick auf die Landschaft.
Bild Legende:
Die Leere

Welche Vorstellung hatte ich als Kind, wenn ich einen freien Nachmittag oder gar die Sommerferien vor mir hatte? Welche Welt entstand – real oder imaginär – spielend an einem Sommertag im Wald? Und wie oft haben wir heute noch unverplante Zeit und unverstellten Raum vor Augen? Lassen wir solche Zeiten und Räume überhaupt noch zu? Ein verpasster Zug – und erst dann entdecke ich das vergessene Quartier hinter dem Bahnhof. Eine falsche Abzweigung am Ende der Rodelbahn – und ich finde eine Landschaft ohne künstliche, vom Menschen hergerichtete Objekte, bin plötzlich «allein auf der Welt», auf mich gestellt. Was gibt uns der Blick auf eine unberührte Naturlandschaft oder auf eine wertvolle Kulturlandschaft – unbehelligt von schreienden Artefakten, die den Blick auf sich ziehen, oder Konsumangeboten, die uns unsere Bedürfnisse und unser Handeln vorgeben?

Wir sind überzeugt: Ein solcher Blick gibt uns sehr viel. Denn der Mensch wirkt nicht nur auf die Landschaft ein, die Landschaft wirkt auch auf den Menschen. In einer Zeit der vielen Reize – ästhetisch, auditiv, olfaktorisch – braucht es «unmöblierte» Räume, Landschaften, die der eigenen Imagination Raum lassen.

Solche Landschaften tragen massgeblich zu unserem Wohlbefinden bei: Wir erholen uns von geistiger Müdigkeit und Stress, unsere kognitive und emotionale Entwicklung wird gefördert und die Konzentrationsfähigkeit sowie die positiven Emotionen nehmen zu. Wir kommen in Bewegung, fördern unsere motorische Entwicklung. Wir machen gemeinsame Naturerfahrungen mit der Familie oder mit Freunden, entwickeln uns sozial weiter. Kurzum: Das psychische, physische und emotionale Wohlbefinden steigt. Und nicht zu vergessen: Wir identifizieren uns, bilden Erinnerungen, Erfahrungen, Assoziationen, die uns wieder Kraft und Stabilität geben für den verplanten Alltag in «vollen» Räumen. Solche Landschaften drängen sich nicht auf, man geht eine Beziehung mit ihnen ein. Und man verlässt sie wieder, ohne Spuren zu hinterlassen. In uns aber wirken sie nach.

Was zeichnet solche Landschaften aus? Es sind Orte, wo der Natur eine Eigenentwicklung, eine Alterung zugestanden wird: kleinteilig, inmitten des Stadtdesigns, grossflächig, abseits der grossen Erschliessungs- und Rationalisierungsräume. Sie werden immer rarer. Wir müssen sie suchen und beschützen. Aber auch erkennen lernen, wenn wir sie gefunden haben.

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Zwei Stimmen für den Landschaftsschutz

Karina Liechti ist Projektleiterin, Raimund Rodewald Geschäftsleiter bei der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. In ihrer täglichen Arbeit setzen sie sich für den Erhalt der wertvollen Natur- und Kulturlandschaften der Schweiz ein und kämpfen unter anderem gegen deren fortschreitende «Möblierung» mit immer neuen Angeboten. Ein Projekt der Stiftung befasst sich mit der Wirkung von Landschaft auf das menschliche Wohlbefinden.

www.sl-fp.ch