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Gleichstellung betrifft uns alle

20.04.2017
Meine Mutter wäre gerne Lehrerin geworden. Dafür war auf dem Bauernhof aber kein Geld übrig. Der Vater fand, die Ausbildung sei zu teuer für ein Mädchen; sie heirate ja sowieso. Also wurde meine Mutter Krankenschwester. Auch das war damals keine Selbstverständlichkeit: Meine Mutter musste froh sein, dass sie überhaupt einen Beruf erlernen durfte. Vielen Frauen war das damals verwehrt, gerade in ländlichen Regionen. Heute bin ich als Stellvertretende Geschäftsführerin der CIPRA, einer internationalen Umweltorganisation, keine Ausnahme mehr für eine Frau in einer Führungsposition. Wir haben viel erreicht in den vergangenen 50 Jahren.
Bild Legende:
Barbara Wülser ist stellvetretende Geschäftsführerin bei CIPRA International. © Martin Walser

Mit dieser persönlichen Geschichte greife ich auf, was ich mitnehme von der Konferenz «Die Rolle von Frauen in Bergregionen», die am 18. und 19. April 2017 in Alpbach vom österreichischen Vorsitz der Alpenkonvention ausgerichtet wurde. Bei der Wahrnehmung der Rolle von Frauen in Bergregionen spielt der eigene Kontext mit, wie Marianne Elmi, Stellvertretende Generalsekretärin des Ständigen Sekretariats der Alpenkonvention, an der Konferenz betonte. Es sind die Geschichten und Biografien, die uns weltweit verbinden. In meiner Schlussbetrachtung der Konferenz greife ich auf, was die Teilnehmenden an den zwei Tagen in Alpbach bewegte, angereichert mit persönlichen Überlegungen und kritischen Fragen.

Der österreichische Vorsitz der Alpenkonvention hat mit dieser Konferenz den Spagat versucht, die Rollen und Anliegen von Frauen aus sehr unterschiedlichen Bergregionen zusammenzubringen. Ein mutiges, ein schwieriges Unterfangen! Er hat uns einen Blick über den Tellerrand hinaus verschafft. Ein zentrales Anliegen war herauszuhören: Wie kommen wir zu einem gesellschaftlichen Wandel hin zur Gleichstellung der Geschlechter? Um es vorweg zu nehmen: Auf diese Frage habe ich keine Antwort erhalten. Aber viele Indizien, die uns auf der weiteren Suche nach einer Antwort begleiten können.

Gehen oder bleiben?

Katharina Kaltenhauser als Vertreterin der jungen Bäuerinnen betonte: «Entscheidend ist, dass sich Frauen eine Unabhängigkeit aufbauen können.» Und sind sie dann unabhängig, wandern sie ab. Dieses Phänomen erleben wir gerade in den Alpen: Frauen sind gut ausgebildet, wirtschaftlich unabhängig, und verwirklichen sich ihre individuellen Lebensentwürfe – nicht unbedingt in einer Alpenregion. So folgen wir der Frage, die die Tiroler Landesrätin Beate Palfrader stellte: «Gehen oder bleiben?»

Es gibt einen grossen Unterschied zwischen den Alpen und anderen Bergregionen: In den Alpen wandern Frauen ab, wenn die Lebensbedingungen nicht passen. Sie haben die Wahl. In anderen Bergregionen wie in Nepal würden sie auch lieber gehen, wie uns Tshering Yodin Sherpa vom Zentrum für Frauen im Himalaya Norlha erzählte. Sie haben aber keine Wahl; sie bleiben. Und die Männer wandern ab. Wir kennen diese Geschichten auch aus den Alpen. Noch im 19. Jahrhundert verliessen viele Alpenbewohner ihre Heimat, aus Not oder in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Es waren mehrheitlich die Männer, die abwanderten, während die Frauen zurückblieben und zu Haus und Hof schauten.

Bleiben – mit welchen Perspektiven?

Also stimmen wir überein mit der österreichischen Bundesrats-Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann: «Wir müssen die Perspektiven für Frauen am Land verbessern. Wir brauchen berufliche und familiäre Chancen.» In der Landwirtschaft und im Tourismus gibt es offenbar Perspektiven, Gleichstellung ist – zumindest in Österreich – auf guten Wegen: 32% der bäuerlichen Betriebe werden von Frauen geführt, wie die Bundesbäuerin Andrea Schwarzmann ausführte. Allerdings handelt es sich ausschliesslich um kleine Betriebe. Bäuerin Martha Roth aus Vorarlberg schilderte uns die Landwirtschaft als einen Bereich, wo die Frauen schalten und walten können, wie sie wollen – was bei den Männern gut ankommt. Im Publikum hingegen weniger. Den Frauen genügt das offensichtlich nicht, wie dem Raunen zu entnehmen war.

Wir erkennen: Gleichstellung ist ein emotionales Thema, weil es uns alle betrifft. Gleichstellung ist nicht Gleichschaltung, sondern sollte unterschiedliche Lebensentwürfe ermöglichen. Fakt ist – um Silvia Hofmann, die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Graubünden, Schweiz, zu zitieren: «Alles, was den Arbeitsplatz entfernt von den häuslichen Arbeiten, erschwert die Erwerbsarbeit von Frauen.»

Weitergehen – mit welchen Erkenntnissen?

Was ich mitnehme von der Konferenz, ist das Wissen über die wichtige Rolle, die Frauen in Bergregionen einnehmen. Nur wissen es die betroffenen Frauen offenbar oft selber nicht. Es geht also darum, dieses Wissen zu vermitteln und den Frauen Anerkennung zu geben. Um ihre Perspektiven zu verbessern, braucht es Infrastrukturen wie Kinderbetreuung, Digitalisierung, günstiges Bauland, Bildungseinrichtungen. Entscheidend sind aber auch «weiche» Faktoren wie Mitwirkungsmöglichkeiten in Politik und Wirtschaft. Es geht darum, die Macht und finanziellen Mittel besser zu verteilen. Es braucht mehr Frauen in Führungspositionen – nicht zuletzt als Vorbilder. Es braucht «Gender Heroes», weibliche und männliche, als VorreiterInnen des Wandels. Wir brauchen einen Perspektivenwechsel.

Ein Wechsel der Perspektive wirft neue Fragen auf. Wir haben an der Konferenz vernommen: Frauen sind Verfechterinnen für Wandel und nachhaltige Entwicklung. Können Männer diese Rolle nicht genauso gut einnehmen? Wieso fordern Männer nicht mehr Gleichberechtigung für sich? Ist die Vorstellung geteilter Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit nicht attraktiv? Müssen Männer möglicherweise auch befähigt werden, ihren Lebensentwurf selber zu gestalten? Die Rolle von Frauen in Bergregionen zu diskutieren, ist wichtig und bestärkend. Gleichzeitig ist es ein heikles Thema: Zementieren wir nicht genau damit wieder Stereotypen? Um es mit den Worten der Moderatorin Patti Basler zu sagen: «Wir können nicht über die Rolle der Frau sprechen, ohne nicht auch über die Rolle des Mannes zu sprechen.»

Nochmals zurück zur Berufswahl: Die Mehrheit der jungen Mädchen in den Alpenländern streben klassische Frauenberufe an. Bei Jungen ist es noch ausgeprägter: Fast alle möchten «typische» Männerberufe ausüben. Da frage ich mich, ob die Aussage von Silvia Hofmann wirklich auf alle zutrifft: «Die grösste Errungenschaft des Gleichstellungsprozesses ist die Wahlfreiheit.»

Wenn Frauen und Männer ihr Leben gemäss ihren Neigungen und Talenten gestalten anstatt gemäss Rollenbildern und Prägungen, können sie ihre Potenziale besser nutzen. Eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer ihre vielfältigen Talente nutzen und gleichermassen an der Familien- und Erwerbsarbeit teilhaben, ist anpassungs- und widerstandsfähiger. Gerade Bergregionen sind auf diese Resilienz angewiesen. Und sie sind dank Chancengleichheit attraktiv für Menschen jeden Geschlechts und Alters. So erweitere ich also die Frage nach den Perspektiven für Frauen am Land: Wie kann man Gleichstellung zu einem gesamtgesellschaftlichen Anliegen machen?

Wohin mit den Erwartungen?

«Where, when and who is doing it? – Wo, wann und wer handelt?» ist nun die Frage, die auch Ritu Verma aus Burma stellte. Die Alpenkonvention hat mit dieser Tagung ein wichtiges Thema aufgebracht und Erwartungen geweckt. Damit die Bemühungen Wirkung erzielen, müssen das Engagement weitergeführt und das Thema breiter abgestützt werden. Gleichstellung ist ein Generationenprozess. Mit der an der Konferenz präsentierten Deklaration setzt die Alpenkonvention einen Akzent.

In diesem Sinne hoffe ich, dass das Thema Chancengleichheit den österreichischen Vorsitz in den nächsten eineinhalb Jahren bei allen Aktivitäten begleitet – und dass Bundesumweltminister Andrä Rupprechter es auch den anderen Vertragspartnern schmackhaft machen kann, insbesondere Frankreich, das den Vorsitz der Alpenkonvention im Herbst 2018 übernimmt. Wir folgen den Worten von Bundesumweltminister und Gastgeber Andrä Rupprechter: «Solidarität hält die Gesellschaft zusammen.» Zwischen Frauen, Männern, Frauen und Männern, Generationen hier und dort. 

www.fraueninbergregionen.at