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Destination Alpen!?

18.09.2017
Welche «Bestimmung» haben touristische Alpenregionen? Der Kulturphilosoph Jens Badura über Lebenswelten, Erfahrungsbestände und Erwartungshorizonte.

Der lateinische Begriff «destinatio», von dem sich der Destinationsbegriff herleitet, lässt sich mit «Bestimmung» übersetzen. Auch das französische Wort «destin» – Schicksal – speist sich aus dieser Bedeutungsquelle. Destination im Sinne des Tourismusvokabulars ist etwas bodenständiger definiert: als «geografischer Raum, den ein Reisender/Gast (oder ein Gästesegment) als Reiseziel auswählt», wie es im Gabler Wirtschaftslexikon heisst. Und hier fragt sich: Ist es Bestimmung und Schicksal der Alpenregionen, solcherart Destination zu sein?

Destinationen im Tourismus sind Wettbewerbseinheiten, die in Destinationsmarken überführt und durch Destinationsmanagement auf dem Tourismusmarkt als Ensemble von abgestimmten Destinationsprodukten positioniert werden. Doch das, was hier auf den touristischen Aufmerksamkeitsmärkten positioniert wird, ist vor allem eines: Lebensraum und Lebenswelt derjenigen, die dort ansässig sind – inklusive ihrer kulturellen Lebensgrundlagen. Viele Fragen, die aktuell alpenpolitisch bedeutsam sind – wie Demografie, zukunftsfähige Identitätskonzepte, ökonomische Perspektiven im Verbund mit neuen Arbeits- und Kommunikationsformen –, hängen wesentlich davon ab, wie lebensdienlich und zukunftsoffen diese kulturellen Lebensgrundlagen enthalten und entwickelt werden können. Dazu braucht es Räume für produktive Kontroversen, die eine offene, selbstbestimmte Verhandlung von individuellen und kollektiven Erfahrungsbeständen und Erwartungshorizonten der Menschen vor Ort in ihrer generationellen wie auch herkunftsbedingten Eigenart ermöglichen. Wenn aber entsprechende Verhandlungszusammenhänge zunehmend vom Denkstil strategischer Markenbildungsprozesse geprägt werden, hat dies gravierende Folgen für entsprechende Zukunftsprozesse. Vermeintlich kundenorientierte Inszenierungen von Lebensformen zementieren vorurteilsstablisierende Schemata, wie Einheimische versus Touristen, Tradition versus Moderne, Stadt gegen Dorf usw. Diese werden in klischeelastig aufgerüstete Weltbilder mit einer Ästhetik der guten alten Zeit und Ordnung zementiert; nicht nur in den Köpfen der dann mit entsprechenden Erwartungshaltungen anreisenden Kundengäste, sondern vor allem auch in den Selbstbildern derjenigen, die die «Destinationen» beleben.

Was aber wäre die Alternative? Da finden sich Beispiele von Gemeinden, wo produktiv und unter Mitwirkung möglichst vieler Beteiligter Mehrheimischkeit zu denken und zu realisieren versucht wird. Wo Menschen diverser Herkünfte eine gemeinsame Zeitgenossenschaft auf die Zukunft hin betreiben wollen, dazu auch Konflikte auszutragen bereit sind und akzeptierte Ansässigkeit nicht der lokalen Abstammung bedarf. Wo eben nicht jene Weltbilder den imaginären Weg vorgeben, die die aktuelle Destinationsmarkenstrategie für ein Marktplanquadrat gerade vorsieht. Dies schliesst keineswegs aus, dass solche Gemeinden auch touristisch erfolgreich sind – gerade weil sie das Schicksal fremdbestimmter Destination nicht einfach annehmen und eben dadurch attraktiv eigen-artig sein können.

Diese kulturelle Nachhaltigkeit ist nicht zuletzt auch für die Debatte zum nachhaltigen Tourismus von Bedeutung. Denn dieser gerät derzeit selbst in Gefahr, zu einer Art Destinationssegment zu werden, indem einschlägige Botschaften wie sanfte Mobilität, entschleunigte Atmosphäre, klimaneutrale Regionalität etc. mit den gleichen Instrumenten des Destinationsmanagements kommuniziert werden wie jene Segmentspezialitäten, für die etwa die diversen Ischgls der Alpen stehen. Auch hier gilt: Nur wenn lokale und regionale Akteure ihre Vorstellung von Nachhaltigkeit ausbilden, diese mit eckigen Kanten leben anstatt zeitgefällige Schlagworte bzw. Bildbotschaften als vermeintlichen identitären Markenkern zu inszenieren, ist Destination kein Schicksal.

© Anita Affentranger
Bild Legende:
© Anita Affentranger

Kulturphilosoph und Bergwanderführer

Jens Badura ist habilitierter Kulturphilosoph, betreibt das berg_kulturbüro im Bergsteigerdorf Ramsau bei Berchtesgaden/D und leitet das creativealps_lab an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), wo er auch Kulturphilosophie und Ästhetik lehrt. Mit den Alpen verbindet ihn darüber hinaus seine Tätigkeit als Bergwanderführer bei der Salzburger Bergrettung.

www.bergkulturbuero.org