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Auf Menschen zugehen und das Verbindende suchen

08.04.2013 / CIPRA Internationale Alpenschutzkommission
Umweltengagement als Grenzüberschreitung – Wolfgang Burhenne, CIPRA-Gründungsmitglied, und Andrea Matt, Geschäftsführerin von CIPRA Liechtenstein, über ihre Aufgaben als «Netzwerker».
Wolfgang Burhenne
Bild Legende:
© Caroline Begle/CIPRA International
Plötzlich war da diese Grenze. Lästig, fand er. Vor dem Krieg, da ging Wolfgang Burhenne, 1924 geboren und in Garmisch aufgewachsen, einfach nach Innsbruck zum Einkaufen. Oder in die Schweiz zum Klettern. Die Grosseltern hatten ein Haus am Bodensee und gingen in den Bregenzer Wald zum Jagen. Plötzlich war alles anders. Die Nazis hatten ihn drei Jahre ins Lager in Dachau gesperrt, weil er Häftlingen geholfen hatte. Und nach dem Krieg gab es wieder Zäune – in den Bergen. «Die Grenze nach Österreich oder in die Schweiz war schwer zu überschreiten», erinnert sich Wolfgang Burhenne. Er war 1952 Mitinitiant, als die CIPRA in Rottach-Egern am Tegernsee gegründet wurde, und wurde erster ehrenamtlicher Generalsekretär. Am gleichen Ort und 60 Jahre später, am 5. Mai 2012, feiert der bald 90-Jährige zusammen mit heutigen CIPRA-Vertreterinnen und -Vertretern, mit Wegbegleitern und Freunden den runden Geburtstag der Organisation.
Ortswechsel, Generationenwechsel. Andrea Matt rückt den grünen Rock zurecht, zupft an den Ärmeln der bestickten Bluse und zieht das hellgraue Wolljacket über. Die Kleidung hat in diesem Fall eine politische Funktion: Die Geschäftsführerin von CIPRA Liechtenstein ist auf dem Weg an die Mitgliederversammlung der Liechtensteiner Jägerschaft. Es geht um die Wurst: Sie möchte die Jäger für die Ideen der CIPRA einnehmen. «Oft liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, Partner zu suchen, die nicht unmittelbar im Naturschutz tätig sind», sagt die 52-Jährige. Manchmal hilft der Dress-Code bei der Verständigung. Vor Wirtschaftsvertretern tritt sie im schwarzen Kostüm auf, an der Mitgliederversammlung der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz (LGU), deren Geschäftsführerin sie ist, erscheint sie in Jeans und T-Shirt. Andrea Matt betrachtet es als ihre zentrale Aufgabe, auf Menschen zuzugehen mit den für sie wichtigen Argumenten, das Verbindende zu suchen und über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg Netzwerke zu knüpfen.

Jagd nach Kontakten
Zwei verschiedene Persönlichkeiten, die gleiche Aufgabe: Man braucht Kontakte, um etwas zu bewirken. Darin hat sich seit der Gründung der CIPRA nichts verändert. Nach dem Krieg wollten die US-Besatzer die Bayern über das Jagdrecht, das traditionell an Grund und Boden gebunden ist, enteignen. Sie warben ihre Soldaten mit «free fishing and hunting» an. Wolfgang Burhenne, der zu dieser Zeit im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten tätig war, kündigte seine Stelle als Protest gegen die Politik der Militärregierung und knüpfte Kontakte zu amerikanischen Naturschützern. 1948 war er bei der Gründung der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur und natürlicher Ressourcen (IUCN) als erster Deutscher dabei. Er bewirkte, dass Deutschland 1950 Mitglied werden konnte. Kein Zufall, dass der erste Präsident der IUCN, Charles Bernhard, auch zum ersten Präsidenten der CIPRA wurde. Er verhalf ihr dazu, international wahrgenommen zu werden.
Strategien entwickeln, Schlachtpläne schmieden, Argumente schärfen, hartnäckig sein Ziel verfolgen: Das hat auch Andrea Matt als Politikerin gelernt. 2005 bis 2009 war sie Abgeordnete im Landtag. Sie verfolgt eine klare Linie, Kompromisse inklusive. «Ich kann nur einfordern, was innerhalb eines existierenden Rahmens machbar ist.» Eine ähnliche Daumenregel formuliert Wolfgang Burhenne: «Man darf nichts fordern, das man nicht begründen kann.»
Wolfgang Burhenne: «Die Wissenschaftler dachten früher, wenn sie eine neue Erkenntnis haben, muss die Politik diese automatisch übernehmen.» Aber dem sei nicht so. Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen müssten die politischen Schlussfolgerungen gezogen werden – in dieser Rolle sieht er sich und Umweltorganisationen wie die CIPRA. Als er nach dem Krieg geholfen hatte, in Bayern ein neues Jagdgesetz durchzubekommen – «das natürlich nicht den Vorstellungen der Amerikanern entsprach» –, bat ihn der Bayerische Ministerpräsident, auch am Bundesgesetz mitzuarbeiten. Das war der Beginn eines legislativen Langstreckenlaufs: Er gründete und leitete den Rechtsausschuss der IUCN, vertritt die Alpenkonvention in der IUCN, war Vorsitzender des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Ausarbeitung der Weltcharta für die Natur und regte das internationale Artenschutzabkommen und weitere Abkommen an.
Ein Vorbild, findet Andrea Matt. «Er machte das, was ich auch am liebsten machen würde», mitgestalten am rechtlichen Rahmen. Das europäische Umweltrecht sorge für hohe Standards, davon ist die Designerin mit juristischer Zusatzausbildung überzeugt. Gesetze verstehe man heute vor allem als Lenkungsmassnahme für ein bestimmtes Verhalten. Die Gesellschaft einige sich in der politischen Diskussion auf einen Zustand, den sie als richtig akzeptiere und anstrebe. «So bringen juristische Diskussionen auch unsere Wertestruktur weiter.»

Vernetztes Denken und Handeln
Wolfgang Burhenne ist da etwas pessimistischer. Die Welt sei in den vergangenen Jahrzehnten, trotz gestiegenem Umweltbewusstsein, nicht viel besser geworden. Warum? «Weil die Menschen nicht besser werden.» Besorgt sieht er, dass es immer enger wird auf der Welt und der Druck auf die Umwelt zunimmt. Andrea Matt, Vertreterin einer neuen Generation in Führungsverantwortung, sieht darin auch Chancen: «Mit dem Klimawandel kommen wir an den Punkt, wo wir Naturschutz nicht mehr einfach machen, um die Natur zu erhalten, sondern um unser eigenes Leben zu schützen.»
Dazu müssen Ländergrenzen überschritten werden. Wenn die Geschäftsführerin von CIPRA Liechtenstein mit Kolleginnen und Kollegen aus Österreich oder Frankreich zusammensitzt, erfährt sie, an welchen Lösungen diese arbeiten. «Das kann ich als Inspiration für Konzepte nutzen, die auch bei uns funktionieren.» Deshalb sei die CIPRA als Netzwerkorganisation so wichtig. Schliesslich sei das Spannende an den Alpen: «Du hast ein verbindendes Element, den gemeinsamen Lebensraum Alpen, der analoge Herausforderungen stellt. Und sehr unterschiedliche Menschen, die diesen Lebensraum gemeinsam gestalten.»
Sie zusammen zu bringen, ist eine Aufgabe über Generationen hinweg. Eine Aufgabe der CIPRA.


Barbara Wülser
CIPRA International

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Designerin und politische Gestalterin
Andrea Matt, Jahrgang 1960, engagiert sich seit vielen Jahren für die nachhaltige Entwicklung in Liechtenstein und darüber hinaus. Zurzeit ist sie Geschäftsführerin von CIPRA Liechtenstein und der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz. Zuvor war sie Landtagsabgeordnete. Die Designerin und Wissenschaftsjournalistin eignete sich das Rüstzeug für ihre politischen Aufgaben bei Studien mit Schwerpunkt Frauenrecht und Umweltrecht an.

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Naturschützer der ersten Stunde
Wolfgang Burhenne, Jahrgang 1924, verlor seinen
Vater, als er sechs war. Im Krieg wurde er verwundet und ver­brachte drei Jahre in Konzentrations- und Straflagern. Nach dem Krieg studierte er Recht, Forst und politische Wissenschaften. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft engagierte er sich stets für den Naturschutz und die Umweltpolitik. Er ist Ehrenmitglied der CIPRA und erhielt 2011 von CIPRA Deutschland den 3. Deutschen Alpenpreis.

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Quelle: Jahresbericht 2012 CIPRA International
www.cipra.org/de/CIPRA/cipra-international