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Patient Alpenkonvention: Wie weiter?

07.02.2011 / Claire Simon
Rückbesinnung auf die eigenen Stärken - Mit 20 Jahren müsste die Alpenkonvention eigentlich im besten Alter sein; vielleicht noch etwas naiv, aber fest entschlossen, die Welt zu verändern. Und dennoch hat man den Eindruck, dass sie tief in der Midlife Crisis steckt, dass sie am Rande der Depression steht. Was lässt die Konvention so schnell altern?
Zurück zum Wesentlichen: Die Alpenkonvention könnte die Grundlage sein für eine ganzheitliche Alpenvision.
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Zurück zum Wesentlichen: Die Alpenkonvention könnte die Grundlage sein für eine ganzheitliche Alpenvision. © Modis 2002
Mehrere Faktoren führen zum vorzeitigen Alterungsprozess der Alpenkonvention. Zum einen leidet sie unter der Schwerfälligkeit der Debatten im Ständigen Ausschuss. Dieser scheint die gemeinsame Vision aus den Augen verloren zu haben. Diese lautet: «Eine ganzheitliche Politik zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraums sicherzustellen.» So ist sie jedenfalls in der Präambel der Rahmenkonvention festgehalten. Denn die Vertragsparteien bekennen sich gemäss dem Protokoll «Raumplanung und nachhaltige Entwicklung» dazu, «dass bestimmte Probleme nur grenzübergreifend gelöst werden können und gemeinsame Massnahmen der Alpenstaaten erforderlich machen». Der Ständige Ausschuss und die weiteren Gremien der Alpenkonvention bleiben hingegen häufig in formalen Details stecken. MitarbeiterInnen und VertreterInnen von NGOs diskutieren, schreiben Texte – und verlassen die Sitzungen erschöpft und frustriert, weil sie sich fragen, wofür sie soviel Zeit und Energie investiert haben.

Nicht alle Symptome diagnostizierbar
Die Alpenkonvention ist geschwächt, weil die Schweiz und Italien noch keine und die Europäische Union sowie Monaco nur einige Protokolle ratifiziert haben, und weil die übrigen Staaten die Umsetzung nur zaghaft vorantreiben. Es werden vor allem Verwaltungsverfahren und es wird viel Papier produziert. Wie könnte es auch anders sein. Denn der Tätigkeitsbereich des Ständigen Sekretariats beschränkt sich auf die Verwaltung der Alpenkonvention. Es gibt so gut wie kein Budget für die Umsetzung von Projekten, die Wirkung und Aufmerksamkeit in den Alpengebieten erzielen. Unabhängige Initiativen, beispielsweise von Gemeinden oder Vereinen, zur Umsetzung der Alpenkonvention, sind sicherlich willkommen, aber sie werden nur selten gezielt unterstützt. Und während einige Staaten konkrete Projekte vorschlagen, stellen sich andere aus unerklärlichen Gründen quer. Selbst ausgezeichnet funktionierende Netzwerke wie das Netzwerk alpiner Schutzgebiete Alparc (siehe Seite 10) werden in Frage gestellt.

Verkannt oder gar unbekannt
Die politische Akzeptanz der Alpenkonvention war von Anfang an beschränkt. Zwar werden die Gebietskörperschaften und ihre VertreterInnen ebenso wie die alpine Bevölkerung im Text der Alpenkonvention mehrfach als Akteure dernachhaltigen Entwicklung im Alpenraum erwähnt. Aber immer noch wissen nur relativ wenige Menschen in den Alpen, dass es diese Konvention gibt. Und diejenigen, die sie kennen, fühlen sich von ihr nicht angesprochen oder sehen darin zusätzliche Einschränkungen zu den bereits bestehenden Gesetzen. Ein Top-down-Ansatz, der nur schwer durchsetzbar ist. Zwar wurde in der Präambel der Rahmenkonvention festgelegt, «dass der Schutz der Umwelt, die gesellschaftliche und kulturelle Fortentwicklung sowie die Wirtschaftsentwicklung im Alpenraum gleichrangige Ziele sind, und dass deshalb zwischen ihnen ein langfristig tragfähiges Gleichgewicht gesucht werden muss». Dennoch werfen Kritiker der Alpenkonvention immer noch Schutzlastigkeit vor.
Manche Vertragspartner selber räumen der Alpenkonvention immer weniger politisches Gewicht ein. Und was die Europäische Union betrifft, so bekundet diese offen ihr Desinteresse, wenn nicht gar ihre Missbilligung – was wiederum die volle Entfaltung der Alpenkonvention in Ergänzung zum europäischen Ansatz verhindert.

Welche Therapie für die Alpenkonvention?
Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Wie die Artikel in dieser Ausgabe der SzeneAlpen zeigen, sind die Errungenschaften und die Herausforderungen zu gross, als dass die Hände in den Schoss gelegt werden könnten. Die Alpenkonvention existiert und ist in fünf von neun Vertragsstaaten voll in Kraft. Ihre Umsetzung hat begonnen.
Die Alpen werden geliebt und bewundert. Als Instrument für den Erhalt dieses Lebensraums müsste die Alpenkonvention bei der Bevölkerung und den Verwaltungen eigentlich auf mehr Akzeptanz stossen. Es liegt an den Vertragsparteien, sich auf die Grundsätze der Konvention zu besinnen und entsprechend zu handeln, an ihrem Image zu arbeiten und sie mit den notwendigen Mitteln auszustatten, konkrete Projekte zu realisieren, die vor Ort wahrgenommen werden, und nicht zuletzt die Gremien für die betroffenen Akteure aus Regionen, Provinzen, Kantonen und Gemeinden zu öffnen – diese sind bereit dafür.
Ausserhalb des Alpenraums gilt die Alpenkonvention alsVorbild. Setzen wir uns also dafür ein, dass sie es bleibt, und dass die Alpen international als Vorreiter in Sachen nachhaltige Entwicklung angesehen werden. All dies wird diesem grossen gemeinsamen Projekt neues Leben einhauchen. Ob die viel diskutierte «Makroregion Alpen» der Alpenkonvention Heil bringen wird, hängt sehr von deren Ausgestaltung ab (siehe Kasten und Seite 19). Auf jeden Fall bietet die Diskussion darüber den Verantwortlichen und Befürwortern der Alpenkonvention Gelegenheit, sich mit grundsätzlichen Fragen zu befassen und sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die Alpenkonvention künftig Früchte trägt.

aus: Szene Alpen Nr. 95 (www.cipra.org/de/alpmedia/publikationen/4586)
abgelegt unter: Alpenkonvention, Staatsabkommen